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Barista erzählt: „Berlin war der abgefuckteste Ort zum Arbeiten“

Dass die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie schlecht sein können, ist kein Geheimnis. In dieser kaputten und gebeutelten Branche nehmen jedoch Cafés, gerade in Berlin, eine Sonderrolle ein. Denn um in einem Berliner Café zu arbeiten, muss man nicht unbedingt deutsch können – wohl aber die Kunst des Kaffeemachens beherrschen und bereit sein, unter schwierigen Bedingungen zu arbeiten. Ein Barista erzählt.

Kaffee kochen können alle? Der Job als Barista bringt viele an ihre Grenzen – und die Bedingungen sind nicht die besten. Foto: Unsplash/Ian Harber
Kaffee kochen können alle? Der Job als Barista bringt viele an ihre Grenzen – und die Bedingungen sind nicht die besten. Foto: Unsplash/Ian Harber

Barista-Jobs: Seelisch zermürbend und anstrengend

„Es ist eine seelisch zermürbende, anstrengende Arbeit. Ich kann so nicht weitermachen, das ist verrückt“, sagt Jacob. Wie Christian und Laurence hat auch er kürzlich seinen Job gekündigt. Wir vier haben uns in einer der führenden Berliner Kaffeeröstereien kennengelernt, in der ich gleich nach meiner Ankunft in Berlin im Jahr 2019 zu arbeiten begann. Zusammen besitzen wir jahrzehntelange Erfahrung, was Kaffeespezialitäten aus der ganzen Welt angeht. Doch nach mehreren Jobs sowohl bei den großen Playern als auch bei einigen der unabhängigen Shops, die die Berliner Kaffeelandschaft ausmachen, haben wir alle die Branche verlassen. Aber wie ist es denn dazu eigentlich gekommen?

Die Baristas der Berliner Kaffeespezialitäten sind zum größten Teil Ausländer:innen. Als ich anfing, in der Stadt zu arbeiten, gab es etwa 85 Angestellte, die sich auf zehn Cafés verteilten – ich kann mich nicht an einen einzigen deutschen Barista erinnern. In der Regel kommen wir an und nehmen einen Job in dem Geschäft an, in dem wir innerhalb einer Woche anfangen können. Das Herstellen und Servieren einer Reihe von Kaffeesorten erfordert präzises Geschick und einen ausgeprägten Gaumen. Wir stehen den ganzen Tag an der Kaffeemaschine, schenken handgebrühten Filterkaffee ein und bedienen Kund:innen in einer Mischung aus Deutsch und Kauderwelsch, während wir Shots abzapfen und Milch aufschäumen.

Zudem müssen wir den Laden auf Trab halten, also den Gästen und den anderen Baristas hinterherräumen. Und natürlich müssen wir den Kund:innen auch neue Kaffeesorten vorstellen. 2019 haben wir das für nur 9,50 Euro pro Stunde gemacht. Bei einer 35-Stunden-Woche macht das nach Abzug von Steuern und Versicherungen rund 1114 Euro im Monat. Das ist nicht gerade viel Geld, und die Trinkgelder in dieser Stadt sind auch nicht gerade üppig.

Job als Barista: Beliebt bei Zugezogenen aus dem Ausland

Der Vorteil für einen ausländischen Barista, der einfach nur einen Lebenslauf mitbringt, liegt auf der Hand: Er kann sofort in einem angesehenen Coffee Shop oder einer Kaffeerösterei arbeiten und muss nicht unbedingt die Sprache gelernt haben. Diese einfachen Vorteile können ausreichen, um die Baristas davon zu überzeugen, den mickrigen Lohn mit einem Lächeln zu akzeptieren. Für die Arbeitgeber:innen gibt es zwei Vorteile: Die deutsche Kaffeeszene hat lange Zeit hinter dem Rest der Welt hinterhergehinkt, und die Fortschritte, die sie in den vergangenen Jahren gemacht hat, sind größtenteils der Erfahrung der ausländischen Baristas in Produktion und Service zu verdanken.

An der Siebträgermaschine ist niemand unersetzlich

Hinzu kommt die Tatsache, dass „man als Ausländer die Sprache nicht versteht und die Gesetze nicht kennt“, sagt Jacob, der in mehreren Ländern als Barista gearbeitet hat, bevor er sich in Berlin niederließ. Angesichts des scheinbar unendlichen Angebots an qualifizierten Baristas, die in die Stadt strömen (wir bekamen täglich Lebensläufe ausgehändigt), ist es leicht nachvollziehbar, dass ein Arbeitgeber sich mit der Einstellung anfreunden kann, dass wirklich alle leicht ersetzt werden können. Diese Gleichgültigkeit macht sich auch bemerkbar, wenn Arbeitnehmer:innen den Wunsch nach einem gewissen Mitspracherecht bei den Arbeitsbedingungen hegen.

Für uns alle war die Terminplanung eine wahrhaftige Plage. Dienstpläne für den folgenden Tag wurden routinemäßig erst am Vorabend verschickt – extrem schwierig, wenn man noch irgendwelche sozialen Pläne haben möchte. Obwohl wir Anspruch auf Urlaub hatten, war es hoffnungslos, diesen genehmigt zu bekommen. Ein Tag hier oder da, sicher, aber nie während der Stoßzeiten. Und man brauchte viel Glück, dass man einen freien Tag am Wochenende bekam. „Sie haben es einfach nicht erlaubt“, sagt Laurence. Da es mehrere Filialen gab, konnten die Manager:innen die Mitarbeitenden ohne Rücksicht auf ihre Wünsche hin- und herschieben.

„Ich war stinksauer darüber“, erklärt Christian, „vor allem, weil man mich vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Ich wurde nicht gefragt, mir wurden keine Optionen gegeben. Ich fühlte mich wie ein Rädchen.“ Diese Behandlung erweckt kaum Loyalität bei den Mitarbeitenden. Dementsprechend hatten viele von uns angefangen nach einem Ausweg zu suchen. Aber wahrscheinlich hätten wir anderswo noch mehr vom Gleichen Schauder erlebt, und es könnte natürlich noch schlimmer kommen. Für einige von uns reichte allein die Sprachbarriere aus, um bei dem gleichen Arbeitgeber zu bleiben. Andere würden ihr Visum verlieren, wenn sie keinen Job bekämen. Vor Covid war das ein ganz normales Geschäft. Es gab immer genügend Gründe, um auszusteigen, aber wir haben stets durchgehalten.

„Was die Gastronomie angeht, war Berlin der abgefuckteste, illegalste Ort, an dem ich je gearbeitet habe“, berichtet Jacob, der das Land inzwischen verlassen hat. Als Covid einschlug, wussten diejenigen, die schon länger dabei waren, wie der Hase laufen würde. In meinem Betrieb traten die Anspannung zwischen den Mitarbeitenden, die sich kaum besser behandelt fühlten als austauschbare Automaten, und den Eigentümern, die sich nun mit einer noch nie dagewesenen finanziellen Bedrohung für ihr Unternehmen konfrontiert sahen, sofort an die Oberfläche. Die Geschäftsleitung wurde sehr zurückhaltend, wenn man sie nach unseren Rechten oder der Rechtmäßigkeit ihres Handelns fragte.

Wenig Gehalt, schlechte Arbeitsbedingungen und unmögliche Arbeitszeiten – das kann die Arbeit als Barista in Berlin mit sich bringen. Foto: Unsplash/Kevin Schmid

Null-Stunden-Verträge und hoher Druck

Wenn man zu viele Fragen stellte, konnte man leicht auf Dauer beurlaubt werden, wie ich sofort feststellte. Jacob wurde mit Entlassung gedroht, wenn er sich weigerte, „einen Null-Stunden-Vertrag zu unterschreiben“, den wir schließlich doch alle unter erheblichem Druck unterzeichneten. Die Regierung erstattete über das Kurzarbeitergeld bis zu 60 Prozent des entgangenen Lohns, aber für das Grundgehalt eines Barista bedeutete das weniger als 700 Euro pro Monat. Selbst dieses Geld wurde erst Wochen später ausgezahlt, als es eigentlich hätte ausgezahlt werden müssen, und einmal fehlten unerklärlicherweise 20 Prozent.

Die Rhetorik der Eigentümer, dass „alle an einem Strang ziehen“, passte nicht zu der Tatsache, dass sie die Verträge der Mitarbeitenden nicht verlängerten, Arbeitsplätze innerhalb des Unternehmens ohne vorherige Diskussion abbauten und „schwierige“ Mitarbeiter hinhielten, indem sie gewissermaßen auf die Ersatzbank gesetzt wurden.

Covid: Neues Zeitalter der Unsicherheit für Baristas

Es wurden sogar Mitarbeitende aus völlig fadenscheinigen Gründen entlassen, so dass sie ohne Arbeit blieben und keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten. Covid läutete ein neues Zeitalter der Paranoia und der finanziellen Unsicherheit für alle Baristas und Mitarbeitenden im Gastgewerbe ein.

Für mich war der Zeitpunkt besonders ärgerlich, weil in einem bekannten Magazin der Kaffeebranche ein schmeichelhaftes Profil meines Chefs erschien. Darin schwadronierte er ausführlich über die spitzfindigen Philosophien und den Ethos, auf den er seinen Erfolg zurückführte. An einer Stelle warb er sogar für den Verkauf signierter Exemplare in den Cafés.

Obwohl er Lippenbekenntnisse darüber abgab, dass Coffeeshops „auf demokratische Weise Orte der Gemeinschaft“ seien, blieb etwas seltsamerweise unerwähnt: nämlich die Belegschaft, die seine Vision über ein Jahrzehnt hinweg aufgebaut hatte. Die Belegschaft, auf die er sich verließ und von der er nur wenige Wochen später erwartete, dass sie unendlich viel Verständnis und Vertrauen für sein Wohlwollen aufbringen würde.

Als ob das noch nicht genug wäre, schickte er ein Video an den Rest seiner ausgedünnten Crew, in dem er sich über die Beeinträchtigung der Geschäfte durch die Einhaltung der Covid-Beschränkungen beklagte. Darin forderte er seine Mitarbeitenden auf, auch im Krankheitsfall zur Arbeit zu erscheinen: „Es wäre ein Alptraum, wenn plötzlich jeder zu Hause bleibt, der ein bisschen Husten hat. Das heißt nicht, dass man Covid hat“. Das war im Herbst 2020, lange bevor es in jeder Straße ein Schnelltestzentrum gab, ein eklatanter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben. Trotz der Loyalität, die sie ihren Arbeitnehmern schuldig zu sein glaubten, reichten ihre eigenen Verpflichtungen nicht weiter als bis zum Rand des Arbeitsvertrags, und oft nicht einmal so weit.

Als Barista in unabhängigen Cafés arbeiten: Zu schön, um wahr zu sein

Verlockt durch das Versprechen, dass alles anders werden würde, nahmen viele von uns eine Stelle in unabhängigen Cafés an. Es stellte sich heraus, dass dies der letzte Sargnagel für unsere Karrieren in der Kaffeespezialitätenbranche war. „Wir dachten, wir bekämen gleiche Bezahlung, demokratische Entscheidungsfindung, Autonomie und Aufstiegschancen“, erinnert sich Jacob. „Das klang alles zu schön, um wahr zu sein. Und das war es auch.“

Laurence erklärt, wie der vertraute Druck bei der Terminplanung ihn verfolgte. Alle seine Wünsche bezüglich des Dienstplans wurden völlig ignoriert, und er musste so viel arbeiten – jedes Wochenende mehr als 20 Stunden –, dass „ich erschöpft war. Ich konnte es einfach nicht erwarten, hier rauszukommen. Christian wurde unterdessen gefeuert, weil er sich zu Wort gemeldet hatte, nachdem der Chef beim Stehlen von Trinkgeldern erwischt worden war.

Es ist verständlich, dass man nach Erklärungen dafür sucht, was sich in den vergangenen zwei Jahren verändert hat. Diese Erfahrungen deuten jedoch darauf hin, dass die Arbeit in der Gastronomie schon immer anstrengend und emotional zermürbend war und dass es immer legitime Spannungen zwischen den Arbeitnehmer:innen und ihren Chefs gab. Ihre Positionen stehen in einem symbiotischen Verhältnis zueinander, aber die Interessen beider Seiten sind zugleich miteinander verbunden und konfliktreich. Und was ohnehin schon ein Kampf war, wurde unter Covid unerträglich. Wenn es hart auf hart kommt, sind es die Arbeitnehmer:innen, die den Wölfen zum Fraß vorgeworfen werden.

Das mag alles sehr bitter klingen. Aber ich sehe es als hart erkämpften, gerechten Zorn… (das hat noch nie ein verbitterter Mensch gesagt). Im August 2020 wurde eine Art offener Brief/E-Mail von einer langen Liste der verbleibenden (und einiger ausgeschiedener) Kolleg:innen an den Eigentümer geschickt, in dem einige der Probleme, mit denen die Mitarbeiter konfrontiert waren, ehrlich angesprochen wurden. Diese reichten von „schändlich unhöflichen E-Mails“, die man als Antwort auf einen Antrag auf fünf freie Tage erhielt, obwohl man zwei Monate vorher gekündigt hatte, bis hin zu einer Beschwerde, dass „niemand daran dachte, dass es professionell und rücksichtsvoll wäre, sich hinzusetzen …, um die Änderungen zu erklären, die man vornahm“. Stattdessen „erhielten sie eine E-Mail – eine einfache E-Mail! – um mir mitzuteilen, dass ich keinen Job mehr haben werde“.

Eine der am stolzesten zur Schau gestellten Federn der Kaffeerösterei waren die Beziehungen zu den Kaffeebauern in aller Welt. Das ganze Gerede darüber war für meinen Geschmack etwas paternalistisch, chauvinistisch und klang ein bisschen nach „white saviour“. Es ist seltsam, dass jemand, der im Ausland (angeblich) so rücksichtsvoll ist, sich nicht verpflichtet fühlt, diese Großzügigkeit auch in die Heimat zu bringen.

Was dieser Brief am deutlichsten zum Ausdruck brachte, war ein allgemeines Gefühl innerhalb des Unternehmens: „Die Liebe und Fürsorge, die Sie den Bauern entgegenbringen, gilt nicht für Ihre Mitarbeitenden hier in ihren Cafés.“

Wenn es hart auf hart kommt, geht es zurück an die Arbeit – wieder als Barista

Bei der Vorbereitung dieses Artikels habe ich festgestellt, dass die Menschen trotz der weit verbreiteten Verbitterung und des gerechten Zorns äußerst vorsichtig waren, wenn es darum ging, sich zu beteiligen oder Details zu nennen, die sie zu eindeutig identifizieren würden. Ich habe Pseudonyme verwendet, aber selbst Leute, die die Branche oder sogar das Land verlassen haben, zögern noch immer, ihre Erfahrungen zu Protokoll zu geben.

In einer so kleinen Szene kennt jeder jeden, und einige Leute haben sehr viel Einfluss. Selbst wenn wir diese Jobs verlassen haben oder ganz aus der Branche ausgestiegen sind, wissen wir nie, für wie lange. Denn wer würde schon bewusst einen Rachefeldzug riskieren, wenn wir alle wissen, dass wir keine andere Wahl haben als wieder als Barista zu arbeiten, wenn es hart auf hart kommt.


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