Interview

Berliner-Berg-Chefin: „Bier muss nicht reisen“

Die Brauerei Berliner Berg wird ihr Pils, Lager oder Pale Ale von nun an nur noch im Radius von 50 Kilometern um den eigenen Brauereistandort in Neukölln vertreiben. Begonnen hatte alles 2015 in einem Hinterhof in der Neuköllner Kopfstraße. 2021 dann die eigene Brauerei in der Treptower Straße in Neukölln. Ein Gespräch mit Geschäftsführerin Michéle Hengst über die naheliegenden Dinge – also auch über gutes und schlechtes Bier, Lieblingskneipen, Geschichte und Geschmack.

Schönes Erlebnis plus gutes Bier: Michéle Hengst mit tip-Redakteur Clemens Niedenthal Foto: Jana Vollmer

Berliner Berg schreibt Brauereigeschichte und -zukunft

tipBerlin Michéle Hengst, wir sitzen hier in Ihrer Brauerei bei einem frisch gezapften Pils. Vorbei die Zeiten, in denen es einer Neuberliner Braukultur noch vor allem um exzentrische, vorwiegend anglo-amerikanische Braustile ging?

Michéle Hengst Auch wir waren ja 2015 mit der Intention gestartet, die coole Berliner Craftbeer-Institution zu werden, mit einer eigenen Sauerbierbrauerei, langer Fasslagerung, wilden Hefekulturen. Dann ist uns der Gedanke gekommen, dass wir in dieser Stadt eine reiche Brauereigeschichte haben, die lange ein zentraler Bestandteil der Berliner Lebenskultur war und irgendwann verschütt gegangen ist. Seitdem sind die Berliner Braustile, die Weiße und die Lagerbiere, vor allem das Pils, unser Thema. 

Die Brauerei Berliner Berg wird ihr Pils, Lager oder Pale Ale von nun an nur noch im Radius von 50 Kilometern um den eigenen Brauereistandort in Neukölln vertreiben.
Ein Fass, das morgens die Brauerei verlässt, hängt nachmittags in einer Berliner Lieblingskneipe am Hahn. Marcel Wogram/Berliner Berg

tipBerlin Nun wurden Lagerbiere einmal entwickelt, um lange zu lagern und damit auch weit transportiert werden zu können. Sie wollen nun im Gegenteil noch lokaler werden.

Michéle Hengst Soszusagen. Wir werden unser Bier nur noch im Umkreis von 50 Kilometer um den Schornstein verkaufen. Es geht uns dabei vor allem um diese Message: Bier muss nicht reisen. In allen Regionen Deutschlands gibt es fantastische Biere. Wenn ich in München bin, will ich ein Münchener Bier trinken. Und in Köln, na gut, dort sogar ein Kölsch. 

Michéle Hengst: „Mit Geschmack sind viele Gefühle und Erinnerungen verbunden.“

tipBerlin Aber heißt das Dogma in unserer Epoche der Start-up-Kultur nicht eigentlich: wachsen, wachsen, wachsen? 

Michéle Hengst Wer aber sagt, dass ökonomisches Wachstum immer nur größer, höher, weiter meint? Wenn ich künftig, sagen wir, dem Michelberger Hotel erzählen kann, dass sie ihren Gästen ein Bier anbieten können, dass es nur in Berlin gibt, dann ist das doch eine tolle Geschichte. Vom ökologischen Impact ganz zu schweigen. 

Die Berliner Berg Brauerei in der Treptower Straße 39 in Neukölln
Das Team: In der Berliner Berg Brauerei sind Bier-Enthusiasten am Werk. Foto: Marcel Wogram/Berliner Berg GmbH

tipBerlin Beim Bier geht es demnach immer auch um Geschichten. Überlagert dieser sentimentale, romantische Blick nicht manchmal buchstäblich den Geschmack? 

Michéle Hengst Leider, oder eben glücklicherweise. Ich komme aus Chemnitz. Da gab es ein paar Jungs, mit denen ich regelmäßig Skat gekloppt habe, die hatten sogar ihre Datsche in den Farben der lokalen Brauerei gestrichen: Braustolz, dunkelgrün mit goldenen Fensterrahmen. War das ein gutes Bier? Nein. Und dennoch habe ich, wenn ich in der Heimat bin, das Bedürfnis, ein kühles Braustolz zu trinken. Mit diesem Geschmack sind einfach sehr viele Gefühle und Erinnerungen verbunden. 

Um die Ecke gedacht: Berliner Berg Brauerei liefert nur noch in und um Berlin

tipBerlin Braucht es am Ende also gar kein gutes Bier? 

Michéle Hengst Natürlich doch. Wenn man so viel Aufwand betreibt, ein gutes Produkt herzustellen, der Naturhopfen, die längere Reifezeit, der handwerkliche Brauprozess, dann schmeckst du den Unterschied. Das sehen wir ja regelmäßig in unseren Blindverkostungen.  Vor allem aber spiegeln es uns die Gastronom:innen. Hier sind wir wieder bei der Entscheidung, unser Bier künftig nur noch nach Berlin und knapp hinter die Stadtgrenze zu liefern. Ein Fass, das morgens die Brauerei verlässt, hängt nachmittags in deiner Lieblingskneipe am Hahn. Besser und frischer kann ein Pils nicht schmecken. 

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tipBerlin Wie schmeckt schlechtes Bier denn?

Michéle Hengst Sehr belanglos, sehr einheitlich. Bier war zu einem industriell gefertigten Grundnahrungsmittel geworden, mit dem man sich einfach keine Mühe mehr gibt.

tipBerlin Und die Berline Biertrinker:innen schmecken den Unterschied?

Michéle Hengst Wir merken ja, dass wir in der Gastronomie gut funktionieren und dass wir auch im Einzelhandel kontinuierlich wachsen, obwohl wir verglichen mit den Industriebieren empfindlich teurer sind, empfindlich teurer sein müssen. Die Gründe hierfür können ja nur sein, dass unser Bier tatsächlich besser schmeckt und dass die Geschichte, die wir erzählen, bei den Leuten ankommt und verstanden wird. 

Michéle Hengst  am Tresen der Berliner Berg Brauerei.
Geschäftsführerin Michéle Hengst macht auch am Zapfhahn eine gute Figur. Foto: Jana Vollmer

Berliner Berg und die Renaissance der traditionellen Berliner Kneipe

tipBerlin Womit wir wieder bei den Geschichten sind. 

Michéle Hengst Deswegen ist die Dose ja so ein tolles Tool. Überlege mal, wie viel Storytelling auf eine Bierdose passt. Aber nein, wir werden auch künftig nicht in Dosen abfüllen. Berlin, das ist die Flasche – und vor allem das Fass. 

tipBerlin Aus dem Fass kommt das frisch gezapfte Fassbier, zumal Berlin einmal die Stadt mit der größten Kneipendichte Europas war. Ist die Kneipe noch eine Berliner Institution? 

Michéle Hengst Es hatte sich schon vor der Pandemie abgezeichnet, dass die traditionelle Berliner Kneipe eine Renaissance erlebt. Bestimmte Kneipen waren wieder cool geworden, das Willy Bresch in der Greisfwalder etwa oder der Blaue Affe im Schillerkiez. Es waren gerade diese ein wenig abgeschrabbelten Orte, die plötzlich zu einer neuen Popularität gefunden hatten. Auch weil es dort um Begegnungen jenseits der eigenen Blase geht, um eine Portion Real Life. 

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tipBerlin Biertrinken ist Kommunikation? 

Michéle Hengst Am Ende geht es im Leben doch darum, schöne Erlebnisse miteinander teilen. Das ist die Essenz, deswegen sitzen wir in der Kneipe, deswegen gehen wir in gute Restaurants. Dafür ein Bier zu schaffen, das ein guter Begleiter durch den Abend ist, das ist doch das wichtigste und schönste, das wir als Brauerei leisten können. 

Alkoholfreies Pils aus Neukölln: Die Brauerei Berliner Berg interpretiert den vernünftigsten aller Bierstile angenehm gradlinig.
Alkoholfreies Pils von Berliner Berg: Hier lest ihr mehr darüber. Foto: Berliner Berg

tipBerlin Aber hatte die Pandemie nicht auch zum Cocooning geführt, zu einer neuen Häuslichkeit und zum Erfolg der Lieferdienste? 

Michéle Hengst Auch das mag es geben. Nur ist das glücklicherweise nicht unsere Klientel. Berlin hat einen Biermarkt von jährlich 40 Millionen Hektolitern. Wir könnten hier in der Treptower Straße, wenn die Brauerei einmal fertigentwickelt ist, bis zu 40.000 Hektoliter brauen. Das wären ein Prozent des Berliner Biermarkts, also ein Prozent der Berliner Biertrinker:innen, die ihr Bier lieber in Gesellschaft, unter guten Leuten und vielleicht auch bei gutem Essen trinken. 

tipBerlin Apropos, wo trinken Sie ein Berliner Berg denn am liebsten? 

Michéle Hengst Das Krüger auf der Lychener Straße hat für mich eine sehr besondere Atmosphäre. Da kann ich nach zehn Jahren in Berlin endlich mal alleine reingehen und weiß, es sitzt garantiert jemand am Tresen, mit dem ich kurz schwatzen und ein Bier trinken kann. Ein sehr besonderer Ort, wo ich durchaus einen gewissen Stolz empfinde, ist das Berliner Ensemble, das Brecht-Theater. Dort sind wir seit diesem Jahr im Ausschank und es war witzigerweise das erste Mal, dass meine Eltern so richtig stolz darauf waren, dass ihre Tochter eine Brauerei hat.

  • Berliner Berg Brauerei Treptower Straße 39, Neukölln, Biergartenausschank April bis September Do 17–21 Uhr, Fr 17–23 Uhr, Sa 14–23 Uhr, So 14–20 Uhr, Tel. 030/64 43 59 06, online

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