An der Feldberger Seenplatte haben Nicole und Daniel Schmidthaler mit der Alten Schule Fürstenhagen ein kulinarisches Hide-Away geschaffen: radikal lokal, aber immer vollmundig. Mit einem Michelin-Stern und noch mehr Entdeckungshunger. Für ein Kochbuch ist Daniel Schmidthaler nun in den Wald gegangen. Ein Gespräch über Statusprodukte, Farngewächse und ein Lob der Provinz.
Daniel Schmidthalers Alte Schule ist Teil solidarischer Landwirtschaft
tipBerlin Daniel Schmidthaler, würden Ihre Teller anders schmecken, läge Ihre Küche nicht an der Feldberger Seenplatte sondern, sagen wir, in der Friedrichstraße?
Daniel Schmidthaler In einer Großstadt, erst recht in Berlin, wäre ich sicher nicht diesen konsequenten Weg gegangen. Es war ja auch nicht so, dass wir, wie etwa das Nobelhart und Schmutzig, mit einem klaren regionalen Konzept oder einem Manifest an den Start gegangen sind. Klar wollten wir möglichst viel aus der Region verwenden – aber dann stehst du hier in Mecklenburg und merkst, dass es dieses „möglichst viel“, zumindest damals, überhaupt nicht gibt. Dass daraus aber so ein konsequent anderes Kochen und so ein konsequent anderes Arbeiten geworden ist, das war nicht abzusehen.
tipBerlin Was also unterscheidet Ihre Arbeit in der Alten Schule in Fürstenhagen von der alten Schule der klassischen Gastronomie? Welche Produkte sammeln Sie selbst?
Daniel Schmidthaler Schon einmal alle Kräuter und was der Wald und die Wiesen sonst als Würze bereitstellen, also Triebe, Sprossen und so weiter. Zudem sind wir seit diesem Jahr Teil einer SoLaWi, einer Solidarischen Landwirtschaft, wir bekommen so Milch und Gemüse und können den Anbau künftig auch selbst gestalten. Ich weiß schon auch, dass man selbst Douglasiennadeln inzwischen kaufen könnte, aber das kommt für mich nicht in Frage.
tipBerlin War 2022 bis dato ein gutes Jahr für einen Koch und Sammler?
Daniel Schmidthaler Dieses Jahr ging und geht alles extrem schnell. Durch die Trockenheit ist alles viel früher fertig, wir hatten vielleicht zwei Wochen, um beispielsweise Holunderkapern zu machen. Ein gewisse Demut gegenüber der Natur schwingt da immer mit. Wenn die Saison, die Mikrosaison für etwas vorbei ist, dann ist sie eben vorbei. Wir arbeiten radikal im Moment.
tipBerlin Wie muss man sich dieses Momentum vorstellen? Gehen Sie in den Wald und lassen sich überraschen?
Daniel Schmidthaler In der Regel weiß ich, wann und wo ich etwas finde. Meistens kommt man dann mit anderen Sachen zurück, als man eigentlich im Kopf hatte. In diesem Jahr haben wir durch die Stürme etwa viele junge Lärchen- und Fichtenzapfen sammeln können. Das sind ja die frischen Triebe von ganz oben, da käme man sonst nur mit einem Kran ran.
„Es gibt einen Farn, der tatsächlich diese Lakritzaromen hat“
tipBerlin Ihre bisher geschmackvollste Entdeckung?
Daniel Schmidthaler Der Lakritz des Waldes. Da bin ich bei der Recherche für das Waldkochbuch drauf gekommen, dass ich gerade gemeinsam mit den Mecklenburger Forsten gemacht habe. Es gibt einen bestimmten Farn, der tatsächlich diese Lakritzaromen hat. Verarbeitet wird er ähnlich wie etwa Waldmeister. Wir lassen den Farn auf einem Tisch ausgebreitet an der Luft trocknen und geben ihn dann in Butter und lackieren etwa ein Reh damit. Im Ergebnis haben wir einen intensiven Gewürzauszug, auf den ich auch regelmäßig von Gästen angesprochen werde.
tipBerlin Verweigern Sie sich mediterranen Zutaten, wie es in der brutal lokalen Berliner Küche ja gerade en vogue ist?
„Da wird die Sauce am Ende mit Kiefernnadeln aromatisiert“
Daniel Schmidthaler Nein, dafür bin ich vermutlich nicht radikal genug. Die Zitrone etwa gehört für mich als Österreicher einfach zur Küche. Auch die Saucen werden bei uns noch klassisch angesetzt, ohne Portwein und generell mit wenig Alkohol, aber wir kochen noch über Stunden Karkassen aus. Wir haben aktuell einen Zander auf der Karte, da wird die Sauce am Ende mit Kiefernnadeln aromatisiert, aber bis dahin ist alles klassisches, ja manchmal geradezu französisches Küchenhandwerk.
tipBerlin In einem guten Haus, und die Alte Schule ist ein sehr gutes, erwarten die Gäste bestimmte Statusprodukte. Müssen Sie da auch gegen Erwartungshaltungen ankochen?
Daniel Schmidthaler Die Frage ist doch: Wie definiere ich ein Statusprodukt? Die Grundprodukte sollen in meiner Küche aus Deutschland kommen, vielleicht noch aus Skandinavien, das ist von hier auch nicht mehr so weit. Andererseits bin ich kein Freund davon, das Radieschen aus der Nachbarschaft zu verarbeiten, nur weil es aus der Nachbarschaft kommt. Ich habe auf meinen Tellern nur drei oder vier Zutaten, die müssen alle wirklich großartig sein. Nur vier Zutaten, aber mit richtig Wums.
tipBerlin Ist es leichter, einen eigenen Stil fernab der kulinarischen Hotspots zu entwickeln?
„Es gibt keine Hypes, die einen ablenken“
Daniel Schmidthaler Absolut, weil ich hier draußen ganz unbewusst eine eigene Stilistik entwickeln konnte. Man beschäftigt sich automatisch intensiver mit sich selbst. Es gibt keine Hypes, die einen ablenken. Wir konnten gar nicht anders, als unsere eigene Geschichte zu erzählen.
tipBerlin Eben eine radikal lokale Erzählung.
Daniel Schmidthaler Heinz Reitbauer, der Küchenchef vom Steirereck in Wien, den ich sehr schätze, hat mal ganz richtig gesagt: Der Gast soll wissen, wo er sitzt. Bei uns eben in Südmecklenburg.
tipBerlin Sie selbst sind, wie Reitbauer, Österreicher. Schmeckt man diese Wurzeln auch noch?
Daniel Schmidthaler Spätestens bei den Petit Fours, Buchteln etwa oder einem Hefekuchen mit Wacholdersahne. So können wir auch in den Desserts etwas mutiger werden, weil danach noch etwas kommt, das für alle süß genug ist.
- Alte Schule Fürstenhagen Zur alten Schule 3-5, 17258 Feldberger Seenlandschaft, Mi–So ab 18 Uhr, sieben Gänge 150 Euro, DZ ab 100 Euro, online
- Aus dem Wald auf den Tisch von Daniel Schmidthaler, Südwest Verlag, 244 Seiten, 30 Euro
Die Michelin-Stadt: Wir stellen euch die Berliner Sternerestaurants vor. Die Küche unseres Nachbarlandes: Französische Restaurants, Bistros und Brasserien in Berlin.
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