Friedhöfen wohnt eine ganz besondere Aura inne. Meist zentral gelegen, bieten sie geschützte Ruheinseln inmitten der Stadt. Es ist seltsam, doch kaum hat man das Eingangsportal durchschritten, legt sich eine angenehme Gelassenheit über die Situation, verlangsamt sich der Schritt, schärft sich der Blick für Blüten und Bäume. Friedhöfe sind Orte für die Toten, an denen sich die Lebenden durchaus wohlfühlen. Und dennoch: Die Vorstellung, in einer ehemaligen Leichenhalle auf einen Latte Macchiato einzukehren, einen Ingwertee zu trinken oder ein Glas Wein, hat schon etwas Bizarres. Genau das kann erleben, wer das Cafй Strauß in Kreuzberg besucht. Vor gut vier Monaten haben Martin und Olga Strauß in der ehemaligen Aufbewahrungshalle auf dem Friedrichwerderschen Friedhof ihr kleines Cafй eröffnet. Früher hatte man in dem Backsteingebäude die Toten drei Tage lang aufgebahrt, bevor sie ihre letzte Ruhe unter der Erde fanden. Heute sitzen Besucher auf der überdachten Terrasse und genießen in der Nachmittagssonne die legendäre Friedhofsruhe.
Im Gastraum merkt man sofort, dass hier jemand mit Sachverstand und Sensibilität bei der Umgestaltung zu Werke gegangen ist. Hohe Decken, dicke Säulen, opulente Bögen unterstreichen das ehemals Sakrale des Raumes. Schlichtes Holzmobiliar in dunklen Tönen bildet einen schönen Kontrast zu den weißgetünchten Wänden, die bis auf drei Strichzeichnungen ganz ohne Dekoration auskommen. In einer Ecke des Raumes wurde der Tresen aufgestellt, hinter dem die Bedienung Orangen für die Säfte auspresst, verschiedenste Kaffee- und Teespezialitäten zubereitet oder Tortenstückchen auf Teller drapiert. Das Angebot an Speisen ist übersichtlich: Croissants, Quiches und Brezeln, Kuchen, Kekse und Roggenbrotschnittchen, die etwa mit Rote-Beete-Creme, Hummus oder Rucola-Walnuss-Pesto belegt sind, 90 Cent kostet das Stück.
Der Hingucker im Gastraum aber ist die Kaffeeröstmaschine, ein mannshoher Glaskubus mit Zylinder, gebogenen Rohren und großem Trichter. Die Chefin hat früher einmal in einer Kaffeerösterei gearbeitet, erklärt die nette Serviererin, diese Profession findet nun hier ihre Fortsetzung. Tatsächlich schmeckt der Kaffee sanft und aromatisch, wer mag, kann auch laktosefreie oder Sojamilch dazu bestellen. Einmal im Monat finden im Cafй auf dem Friedhof Veranstaltungen statt, Ausstellungen, Konzerte oder Lesungen. Am 28. September zum Beispiel „Mord nach Noten“ im Rahmen des 4. Berliner Frauen-Krimifestivals – Gruseln inklusive.
Text: Marion Hughes
tip-Bewertung: Empfehlenswert
Cafй Strauss Bergmannstraße 42, Kreuzberg, Tel. 69 56 44 53, www.cafestraussberlin.de, Di–So ab 9 Uhr geöffnet, die Schließzeiten sind abhängig von den Friedhofsöffnungszeiten, September bis 19 Uhr, Oktober bis 18 Uhr, November bis 17 Uhr, Dezember und Januar bis 16 Uhr.
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