Selten kämpften zwei Seelen so heftig in einer Brust. Da ist schon mal die Adresse, die klingt erst mal gut, nämlich Uhlandstraße, doch die Hausnummer 195 befindet sich in der Nähe des Steinplatzes. Das Restaurant liegt im Erdgeschoss eines Wohnkomplexes, umgeben von Fenstern, sodass die Nachbarschaft immer in den Raum sehen kann. Daran kann man sich gewöhnen, wie auch an die puristische Einrichtung. Designzeitschriften werden ihre Freude daran haben. Doch es fehlt eine gewisse Nähe, eine atmosphärische Wärme. Das macht zu einem Teil der kompetente Service wieder wett sowie der sympathische Neuzugang: Küchenchef Ben-Moshe lässt es an Charme und Gastfreundschaft nicht mangeln, er spricht leider sehr wenig Deutsch. Denn jedes Gericht hat seine eigene Geschichte. Zu den Speisen: Die sogenannte Ochsenschwanzexplosion ist tatsächlich eine aromatische Überraschung – eine kleine Maultasche, in der die Essenz, der Ochsenschwanz, butterweich obenauf liegt – die im Mund ihre ganze Bandbreite an Geschmack entfaltet. Das macht Lust auf mehr. Doch leider sind die Portionen recht übersichtlich, sodass die Befürchtung, dass acht Gänge sehr reichlich sind, sich als völlig unbegründet herausstellt.
Es kommen noch drei Gänge, die dem Gemüse huldigen. Unterhaltsam auch der Gang unter dem Motto Stadtgarten, in dem der gebürtige Tel Aviver seine Eindrücke von den zahlreichen urbanen Gärten Berlins einfließen lässt. Alles bissfest, ein wenig molekular zubereitet, zum Beispiel aufgepimpt mit Trockeneis. Der Heilbutt und die Schweinerippchen als Hauptgänge sind Beweise der herausragenden Kochkunst von Ben-Moshe. Dass er zudem Humor besitzt, beweist das Dessert, die sogenannte Candy-Box. Auf einer silbernen Folie breitet der Berliner Neuzugang auf dem gesamten Tisch eine Kindheitserinnerung aus Gelee, Schokokügelchen, Knallbrause, Schokoschaum (wieder Trockeneis) und Blüten aus. Einfach herrlich albern und macht Spaß – aber von Raffinesse zu sprechen?
Weinbegleitungen sind so eine Sache, vor lauter verbalisierten Sinneseindrücken kommt man in die Nähe eines Hochschulseminars, deshalb fällt die Entscheidung auf eine Flasche Tokaji Furmint, ein Wein aus einer uralten ungarischen Rebsorte mit facettenreicher Note. Eventuell könnte Ben-Moshe ein wenig die Lücke füllen, die Michael Hoffmann mit seiner Schließung des Margaux aufreißt – zumindest was den Umgang mit Gemüse betrifft. Alles andere wird das Zusammenspiel von Berlin und Gal Ben-Moshe zeigen müssen. „Und auch die Stadt Berlin als Hauptstadt des freien Denkens, der Kultur und der Kunst übt einen besonderen Einfluss auf uns, unsere Speisen und das Ambiente aus.“
Text: Eva-Maria Hilker
Foto: Julia Nimke / HiPi
tip-Bewertung: Empfehlenswert
Glass Uhlandstraße 195, Charlottenburg, Tel. 54 71 08 61, www.glassberlin.de, Di-Sa 19-23 Uhr, Menüs 45 bis 59 Ђ, Softdrinks ab2,50 Ђ, Bier 3,30 Ђ, Wein (0,2 l) 5 Ђ, Fl. Wein (0,75 l) 35 Ђ
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