Brandenburg

Die Krise des Landgasthofs

Das Glas ist halb voll: In Brandenburg kann man so gut essen wie noch nie – das aber an immer weniger Orten. Über die Krise des Landgasthofs als kulinarische Heimat und sozio-kulturelle Institution

Foto: Hohlfeld / imago images

In Brandenburg hat der Hunger Saison. Und wer im nicht mehr fernen Oktober nach Gerswalde in der Uckermark kommen wird, wird vermutlich nicht viel mehr finden als ein paar Schilder an verrammelten Türen: „Sind schon wieder in Berlin.“

Dabei steht das beschauliche ­Gerswalde mit seinem Großen Garten, dem japanischen Café zum Löwen und Michael Wickerts Fischräucherei Glut & Späne doch gerade für das neue, kulinarisch so aufgeschlossene, ja an den internationalen Zeitgeist aufschließende Brandenburg. Eine demokratische Küche aus regional-saisonalen Produkten, atmosphärisch cool und wenn schon nicht unbedingt billig, so doch gar nicht teuer: Auch die alten Gerswalderinnen, alt an Jahren und an Jahren im Ort, kommen gerne hier her.

Und jetzt kommt Michael Wickert und sagt, dass er das an einem Abend am Feuer ja auch schon mal durchgerechnet habe, mit ein paar Freunden einen Gasthof aufzumachen für das ganze Jahr und für die ganze Gegend. Er blieb bei seiner Fischräucherei und dem Saisongeschäft von Ostern bis zum 3. Oktober: „Selbst wenn die Gemeinde mit der Immobilie hilft, bleiben immer noch Investitionen von 100.000 Euro, eher mehr.“

Die Stühle hochgestellt

Das Landgasthaus steckt in der Krise. Bundesweit geht die Zahl der Gasthöfe kontinuierlich zurück, von gut 20.000 Betrieben zur Jahrtausendwende auf, so zählte der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DeHoGa) 12.635 Wirtshäuser im Jahr 2017. Gerade schlug sogar das gastronomisch verwöhnte Baden-Württemberg Alarm: Jede zweite Ortschaft sei bereits ohne Lokal. Und in Bayern hat der Verband eine Beratungshotline eingerichtet, für Betriebe, die Unterstützung bei der Geschäftsübergabe brauchen. Das weiß man nämlich auch in Brandenburg: Sind die Stühle erstmal hochgestellt, öffnet die Dorfgaststätte in drei von vier Fällen nie mehr. Im gesamten Bundesland sind in den vergangenen zehn Jahren so rund 600 Wirtschaften verschwunden, die meisten davon im dörflichen Raum.

Gerswalde, um in die Uckermark zurückzukommen, hatte mal vier Wirtshäuser. Heute ist der Grüne Baum in Ringenwalde 20 Autominuten entfernt. Das zweite Lokal in Ringenwalde, die ehemals so empfehlenswerte Gaststätte zur Eisenbahn, wurde nach mehreren Pächterwechseln nun immerhin von einem Verein übernommen, mit eingeschränkter Karte und eingeschränkten Öffnungszeiten.

Was jungen Gastronominnen fehle? Es gebe dieser Tage viel verklärte Gastronomieromantik, sagt Michael Wichert. Vor allem aber hätten die alteingessenen Betriebe immerhin noch den Vorteil einer abgezahlten Immobilie und der familiären Verankerung in der Region: „Wenn es da plötzlich 30 Grad werden, ist, zack, ein großes Netzwerk organisiert, das so einen Tag gemeinsam wuppt.“

Wovon Wickert aber überzeugt ist: „Eine ehrliche Bratwurst auf Kartoffelstampf, dazu ein kaltes Bier – die Leute wollen wieder ihr Lokal.“ Die Zeit, in der sich alle ins Private geflüchtet hätten, „auf die Terrasse oder in den Hobbykeller“, die sei jedenfalls vorbei.


Ankerpunkt der Dorfgemeinschaft


In Neuzelle, an einem anderen Ende Brandenburgs, kocht Manuel Bunke in seiner Wilden Klosterküche. Die gehört zwar zu einem Hotel und liegt in ihrer kreativen Handwerklichkeit auf Augenhöhe mit dem kulinarischen Zeitgeist in Hamburg oder Berlin. Ankerpunkt einer intakten Dorfgemeinschaft zu sein, ist aber auch Gastgeber Bunke in Neuzelle wichtig: „Bei uns kann man auch nur mal bis nachts an der Theke sitzen, dass ist ein Angebot, dass ich dem Ort unbedingt machen will.“

Also, lassen sich die Leute auf dieses Angebot ein? „Klar gibt es auch die, die sich lieber ihren Kasten Bier beim Netto holen, ohnehin wird von uns Brandenburgern, ich bin ja selbst einer, jede Neuerung erstmal schief angeguckt. Ich habe aber schon das Gefühl, dass sich die Menschen hier freuen, dass jemand etwas Neues macht und sie dabei auch mitnehmen will.“ Auch Manuel Bunke hat nämlich beobachtet: In den Nachbarschaft von Neuzelle machen die Gasthäuser vor allem – zu.

Was auch am fehlendenden Personal liegen könnte, weshalb der Hotel- und Gaststättenverband immer wieder auf einen gravierenden Fachkräftemangel verweist. Zuletzt haben Daniela und Jörg Hieronimus, Wirtsleute aus Oderberg-Neudorf im Barnim, diesem Dilemma ein Gesicht gegeben: „Fachkräftemangel zwingt uns zur Geschäftsaufgabe“, hatten sie eine Anzeige in der Lokalzeitung überschrieben – und ihren seit 73 Jahren bestehenden Familienbetrieb, eines dieser ganz normalen Dorfgasthäuser, zum 30. Juni geschlossen.

„Du musst reininvestieren in die Leute“, sagt auch Manuel Bunke, der deshalb ins kommende Jahr mit drei Auszubildenden gehen wird: „Es gibt ja viele, die wirklich Lust haben auf die Branche, vielleicht sogar mehr denn je. Nur sind das eben nicht die, die den ganzen Tag nur Schnitzel braten wollen.“ Aber wenn man die etwas feinere, vor allem aber kreativere Küche so unprätentiös an die Leute bringt wie er, sollte das auch auf dem Land zu wuppen sein, das mit den Gästen und das mit den Mitarbeiter*innen.

Michael Wickert wiederum glaubt, dass sich das Bild der Dorfkneipe ändern wird, „dass man auf dem Land offen ist für andere, ­urbanere Konzepte.“ Dass eine intakte Dorfkultur aber ihr Wirtshaus brauche, sei unbestritten: „Die Leute haben auch im November Geburtstag und sterben auch im Januar, dann gibt es hier in Gerswalde aber momentan keinen Ort, an dem alle zusammenkommen können.“

Brandenburger Dorfgasthäuser

Schmeckt allen: Fünf Orte, an denen das (empfehlenswerte) Wirtshaus noch im Dorf liegt

Foto: Fotoatelier Straubel in Bad Belzig

Landhaus Alte Schmiede
Dem erfahrenen Koch Dirk Krause gelang mit der Alten Schmiede die Rehabilitation einer in Brandenburg oft vernachlässigten Institution: dem Landgasthof. Regionale Karte, fair kalkuliertes Menü und Gästezimmer für Besucher*innen aus Berlin.
14823 Niemegk-Lühnsdorf, Dorfstr. 13

Zum Grünen Baum
Diese regionale Gaststube verbindet das Nachhaltige mit dem Naheliegenden. Die Kuchen sind hausgebacken und vom Schnitzel kennt der Wirt nicht nur den Bauern, sondern sogar das Schwein.
17268 Temmen-Ringenwalde, Dorfstr. 57

Gasthaus Wolfgang Döring
Wolfgang Döring bezieht die meisten Produkte vom nahen Gut Pretschen, einem Demeter-Betrieb. Alles wird hausgemacht, auch das empfehlenswerte Speiseeis. Und wer sich mit der Dorfgemeinschaft festquatscht: Es gibt auch ein paar Zimmer.
15913 Pretschen, Pretschener Anger 29

Zur Linde
Südwestlich von Berlin wuppt die Linde die Idee eines im Großen wie im Kleinen funktionierenden Landgasthofes vielleicht am konsquentesten: ­herzhafte Küche, gute Grundprodukte und der Service stimmt auch, wenn der Gastgarten im Hochsommer so richtig brodelt.
14552 Wildenbruch, Kunersdorfer Str. 1

Schwalbennest
Das Schwalbennest in der Feldberger Seenplatte liegt schon in Mecklenburg. Betrieben wird es von der Tante von Wenzel Pankratz aus dem Forsthaus Strelitz. Regional-saisonale Karte, Fleisch aus eigener Schlachtung.
17258 Wittenhagen, Hullerbuscher Weg 25

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