Ruhiger Sonntagnachmittag? Nicht seitdem es das Dirty Bistro im Tulus Lotrek gibt. Clemens Niedenthal findet, besser als hier isst man in Berlin derzeit nirgends.

Am Ende dieses aus mannigfaltigen Gründen beglückenden Sonntagmachmittags gibt es dann doch noch diesen einen typischen Max-Strohe-Moment. Ob man denn auch ein Bild vom Koch machen wolle. Und, ja, Max Strohe will. Ein Küchenchefklischeebild soll es werden. Einzig, es fehlt ein entscheidendes Detail. Schnell ist ein Edding gefunden. Dann hat auch Max Strohe sein „Unterarmtattoo“.
Willkommen also im Tulus Lotrek. Dem kleinen riesengroßen Restaurant in der Kreuzberger Fichtestraße – das wir eben Max Strohe zu verdanken haben. Und Ilona Scholl, Mitinhaberin und Gastgeberin.
Beide haben erfolgreiche Kolumnen in den Digitalangeboten vom Spiegel beziehungsweise der Zeit. Zudem hat Max Strohe vor zwei Jahren eine vielbeachtete biografische Erzählung vorgelegt: „Kochen am offenen Herzen“, kein Titel hätte besser gepasst. Er ist TV-Koch und neuerdings auch Fotograf.
Was aber das Tollste ist: Sitzt man einmal vor den herrlich barocken Thementapeten, jede einzelne Serviceperson trägt das Muster zudem entweder als Rock, Weste oder Hemd, ist von alldem überhaupt nichts zu spüren. Kein anderes Restaurant dieser Stadt ist in jeder Sekunde so sehr im Moment und so nah am Gast. Dazu ein Brut Zero aus dem Jura, ein Schaumwein, da kann man sich im Tulus Lotrek sicher sein, der sich nicht entscheiden muss zwischen dem knochentrockenen Zeitgeist und klassischer Noblesse.
Lockeres, erschwingliches Fine Dining im Dirty Bistro im Tulus Lotrek
Nur ist das mit den Entscheidungen in diesen Tagen aber so eine Sache. Das hat man auch im durchaus für eine eskapistische Abendgestaltung geeigneten Tulus Lotrek gemerkt. Die Welt ist im Krisenmodus. Und Max Strohe und Ilona Scholl hatten das Gefühl, ja das Bedürfnis, darauf mit ihnen ureigensten Mitteln zu reagieren: Sechs Wochen lang, also noch den ganzen Juni, wird das Sternerestaurant jeden Sonntagmittag zum vollmundigen Bistro. Mit einem Kalbskotelett Milanese, auf dessen Panade sich die italienische Dreifaltigkeit tummelt, Parmigiano, Pomodori, Basilico. Oder: Gnocci, Crevetten und eine Hummer Bisque, die größte Kochkunst ist und ein Guilty Pleasure.
Womit dieses Dirty Bistro im Tulus Lotrek eben auch den Hummer Bisque-beklecksten Finger in diese Wunde legt: Mag es in Deutschland inzwischen auch eine gewisse Tradition des Fine Dining geben – von den Winklers, Wohlfarts und Witzingsmanns über die Effekthascherei der Molekularküche bis zur radikal lokalen Produktethik der vergangenen Jahre – das Selbstbewusstsein und überhaupt das Bewusstsein einer derart intuitiven, gleichsam hochkulinarischen und doch fast wirthausigen Wohlfühlküche ist dann doch eher in Mailand oder Paris zuhause.
Oder eben in New York, wo Max Strohe solche Teller zuletzt häufiger gegessen hat. Eine Lobster Roll etwa, einfach nur die besten Krabben als allerbester Krabbencocktail in einem gerösteten, aber butterweichen Brioche. Eine Qualität, die ihren Preis hat. Für den Gast, aber auch das Restaurant. Die besten Grundprodukte: Das ist vielleicht das wirklich Exzentrische an diesem Dirty Bistro. Preiswert kann man den Sonntagmittag an der Fichtestraße dennoch finden: Ab 200, vielleicht 250 Euro für zwei Personen (weil sich die meisten Teller sehr gut teilen lassen) speist man so exzellent, so lecker – und so aufmerksam umsorgt – wie in diesen Tagen nirgends in Berlin.
- Dirty Bistro im Tulus Lotrek Fichtestr. 24, Kreuzberg, im Juni jeweils sonntags, 12–15 Uhr,
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