Essen, so sagt man, sei wieder politisch. Vielleicht auch deshalb vergleicht Florian Domberger von Domberger Brotwerk das Bäcker-Business mit der Politik: „Das ist wie im Wahlkampf, man überzeugt die Menschen im direkten Kontakt“. Sein Credo: Esst gutes Brot und redet drüber.
Florian Domberger ist eigentlich gar kein Bäcker. Er ist gelernter Speditionskaufmann und zudem Oberstleutnant der Reserve, was seine Leidenschaft für sehr alte, schwere und olivgrüne Lastkraftwagen erklärt. Dennoch sorgt der gebürtige Augsburger für Berlins vielleicht bestens Brot. Die besten Semmeln und Schrippen backt das Domberger Brotwerk unbestritten. Seit gut vier Jahren in Moabit und inzwischen auch in mobilen Bäckereien, so genannten Brotbrücken, in Frohnau, Tegel und der Kreuzberger Markthalle Neun. Was die Sache mit den Lkws angeht: Seine Kunden aus der Gastronomie beliefert Florian Domberger höchstpersönlich mit dem Lastenrad, ohne elektrischen Zusatzmotor. Ein Gespräch über das Handwerk, die Stadt und vor allem die wesentlichen Dinge
Domberger: „Verdammt viel Zeit damit verbracht, uns mit Lebensmitteln zu beschäftigen“
tipBerlin Florian Domberger, woher diese Liebe zu den ganz grundsätzlichen Lebensmitteln?
Florian Domberger Bei den Dombergers zuhause in Augsburg war das so: Die Brezen kamen vom Kübler, die Semmeln kamen vom Wolf, der Kuchen kam vom Eber, das Roggenbrot vom Kloster Oberschönenfeld und das Mischbrot kam von Pfister, also der Hofpfisterei. Wir hatten einerseits die Möglichkeit, die wirklich besten Sachen zu bekommen. Aber wir haben eben auch verdammt viel Zeit damit verbracht, uns mit Lebensmitteln zu beschäftigen.
tipBerlin Nun ist das Bäckereiensterben in aller Munde. Wie viele der genannten Bäckereien gibt es heute noch?
Florian Domberger Tatsächlich mehr als die Hälfte. Sogar die Nonnen von Oberschönenfeld, also die paar, die es heute noch gibt, backen noch immer ihr Roggenbrot, an das sich unser Roggenbrot im Übrigen anlehnt. Augsburg ist, was das Backhandwerk angeht, tatsächlich verwöhnt.
tipBerlin An gutem Brot hat es Ihnen demnach nie gemangelt?
Florian Domberger Von wegen. Ich war einmal beruflich in Hongkong und bin natürlich komplett in der chinesischen Küche aufgegangen. Was war das für einen Augsburger Jungen für eine kulinarische Offenbarung! So nach sechs Wochen merkte ich aber, da fehlt was. Brot! Ich habe dann in einer U-Bahnstation tatsächlich so eine Art Kastenbrot gefunden. Das war aber eher so ein süßer Schwamm.
Dombergers Mutter schickte Sauerteiglaibe nach China
tipBerlin Gab es eine Lösung?
Florian Domberger Ich habe ja zum Glück bei Kühn und Nagel, der Spedition, gearbeitet und konnte mir so alle zwei Monate von meiner Mutter per Luftfracht einige Sauerteiglaibe schicken lassen. Ich wäre damals übrigens nie auf die Idee gekommen, selbst zu backen, weil es ja diesen Mythos gab, dass man als Laie den Sauerteig eh nicht beherrschen kann. Dabei wäre Hongkong vom Klima her dafür perfekt gewesen, schön warm und schön luftfeucht.
tipBerlin Sauerteig ist also gar nicht so kapriziös?
Florian Domberger Ach Quatsch. Einige von unseren treuesten Kunden sind sogar die Hobbybäcker*innen. Die kommen immer dann, wenn sie mal keine Zeit haben, selbst zu backen. Oder wenn sie eine neue Sauerteigkultur brauchen. Ich finde es sowieso gut, wenn die Leute merken, wie viel Arbeit es macht, ein gutes Brot zu backen. Und es ist immer ein super Anlass, ein intensives Gespräch über Brot zu führen. Da können nur beide Seiten gewinnen.
tipBerlin Ist wirkliches Handwerk also etwas, das man den Kund*innen wieder erklären muss?
Florian Domberger Wir geben uns schon auch Mühe mit der Kommunikation. Wir erklären, dass wir keine Nachtarbeit wollen und dass es deshalb vielleicht frühmorgens noch keine Semmeln gibt und montags erst zum Nachtmittag Brot. Und dass der Feiertag eben ein Feiertag ist. Punkt. Wir kommunizieren halt auch gern und der Florian Domberger ist meinetwegen auch einer, der sich gerne darstellt. Ich will schon, dass die Leute wissen, wie das bei uns funktioniert. Tatsächlich merke ich aber, dass das immer weniger wichtig wird. Die Leute identifizieren sich inzwischen mit uns, wir sind ihr Bäcker. Da ist ein tiefes Vertrauen gewachsen.
tipBerlin Würden sie ihrer Zunft ganz generell raten, wieder mehr mit den Menschen zu reden?
Florian Domberger Nur haben die meisten Bäcker kein Selbstbewusstsein mehr, wenn es um ihren Beruf geht, weil dieser Beruf eben 50 Jahre lang missachtet und kaputtgemacht worden ist. Und ich rede jetzt nicht von den großen Filialisten mit den Aufbacköfen, die mit unserem Beruf nicht mehr wirklich etwas zu tun haben. Wenn du aber als kleiner Betrieb überleben willst, reicht es nicht, es ein bisschen besser zu machen. Dann muss man es richtig machen. Nur: Wie macht man es richtig? Ich glaube, man muss den langen, harten Weg gehen. Wir haben gerade zum ersten Mal in Tegel in der Ziekowstraße unser Roggenbrot gebacken. Wir sind dort vor Ort, wir erklären unser Tun. Das ist wie im Wahlkampf, du gehst von Haustür zu Haustür und überzeugst die Leute im direkten Kontakt.
tipBerlin Tatsächlich backen Sie, in ausgebauten Lkw-Containern, immer direkt vor Ort. Ist das mehr als nur eine Marketingstrategie?
Florian Domberger Zunächst einmal hat das logistisch einen positiven Effekt, weil wir nur ganz konzentriert Rohmaterialien transportieren müssen, das Wasser kommt ja vor Ort aus der Leitung. Vor allem aber haben wir dadurch kleine, autonome Teams vor Ort, Menschen mit Verantwortung und einer echten Aufgabe. Dadurch bewerben sich bei uns ständig Leute, das Domberger Brotwerk hatte noch nie ein Personalproblem.
tipBerlin Nun ist Tegel nicht unbedingt als kulinarischer Hotspot verschrien …
Florian Domberger Ich glaube mittlerweile sogar, dass uns ein eher kleinbürgerlicher Kiez vielleicht sogar positiver begrüßt als das verwöhnte Frohnau. Ich war ohnehin nie einer, für den Berlin nur aus den sogenannten Szenekiezen oder meinetwegen dem S-Bahnring besteht. Meine Theorie ist: Zehn Prozent der Leute kriegst du überall rum. Die wollen ein gutes Brot, ganz ungeachtet ihres Budgets. Ich habe in Kempten Speditionskaufmann gelernt, ich hatte 450 Markt im Monat und 180 gingen schon für die Miete ab. Ich hatte nicht viel Geld, aber es mussten die besten Brezen sein, die beste Wurst und beim Bier habe ich auch nicht gespart.
„Leute erwarten kein Lebensmittelhandwerk mehr im Kiez“
tipBerlin Was war denn das beste Bier im Allgäu?
Florian Domberger Reden wir doch lieber über das beste Bier in Berlin. Ich habe mir aus der Markthalle Neun gerade einen Kasten von Johannes Heidenpeter mitgebracht, weil es mir in der Seele wehtut, wie diese ganzen kleinen Lebensmittelproduzent* innen jetzt im Lockdown vor dem Nichts stehen. Eigentlich bin ich gar nicht so der Craft-Beer-Typ, dachte ich. Inzwischen freue ich mich schon nachmittags um Vier auf mein Heidenpeters-Bier.
tipBerlin Wie müsste für Sie eine perfekte kulinarische Nachbarschaft aussehen?
Florian Domberger Ich fände Wurst, also einen handwerklichen Fleischer, hervorragend, eine guten Käseladen, einen Kerzenzieher, vielleicht noch einen Fischladen und, das wäre das Allergeilste, eine Brauerei. Ich finde es auch schade, dass die Arminiushalle den Fokus so entschieden auf die Gastronomie gelegt hat. Aber die Leute erwarten vielleicht auch gar kein Lebensmittelhandwerk mehr im Kiez. Man hat sich entwöhnt. Es ist leider so. Und ich hoffe inständig, dass die Rückkehr des Backhandwerks da nur der Anfang ist.
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