• Essen & Trinken
  • Iranische Esskultur bei Dr & Dr: Mehr als Köchinnen mit Titel

Gastrotipp

Iranische Esskultur bei Dr & Dr: Mehr als Köchinnen mit Titel

Mit Dr & Dr haben sich die Schwestern Forough und Sahar Sodoudi einen Traum erfüllt: ein Ort, um Essen und Kultur aus dem Nahen Ostens erfahrbar zu machen – ohne sich dabei Grenzen zu setzen. Die beiden Akademikerinnen bieten in Kreuzberg Kochkurse und gelegentliche Pop-up-Dinner an. Unsere Autorin kam in den Genuss ihrer Gastfreundschaft und durfte erfahren, wie es zu diesem Karriereumschwung kam.

Forough und Sahar Sodoudi widmen sich in ihren Räumen in der Reichenberger Straße ihrer Leidenschaft für Kulinarik und Kultur. Foto: Luka Godec

Dr & Dr in Kreuzberg: Gastfreundschaft bei den Doktorinnen

Das Tor zum Nahen Osten liegt hinter einer unauffälligen Tür an der Reichenberger Straße: Betritt man das Refugium von Forough und Sahar Sodoudi, fühlt man sich in eine andere Zeit, an einen anderen Ort versetzt. Eine lange Tafel mit unzähligen Kerzen auf der einen Seite und eine im Stil des Teheraner Golestan-Palastes geflieste Küchenzeile auf der anderen, durch die Wand ein Torbogen und ein typisches Gartentor, wie es noch bis vor einigen Jahren überall im Iran üblich war. „Setz dich, soll ich dir einen Drink machen?“, fragt Forough. „Oder möchtest du lieber einen Melonen-Smoothie?“, ergänzt Sahar von der anderen Seite des Raumes, während sie Galia-Melonen schneidet. Gastfreundschaft ist für die deutsch-iranischen Zwillingsschwestern nicht nur eine auch biografisch gelernte Selbstverständlichkeit, es ist ihr Lebensinhalt – den sie mit ihrem Projekt „Dr & Dr“ zum Beruf gemacht haben.

Die Dr & Dr-Chefinnen: Von der akademischen zur kulinarischen Elite

Dabei war alles eigentlich anders gedacht. Forough und Sahar Sodoudi gehörten zur akademischen Elite Deutschlands und hatten als Wissenschaftlerinnen alles erreicht, was es zu erreichen gibt: Sahar war Professorin für Stadtklimaforschung an der Freien Universität Berlin, Forough arbeitete als Wissenschaftsmanagerin unter anderem an der Graduiertenschule „Berlin Mathematical School“. Sie reisten um die Welt, vor allem in die Länder des Nahen Ostens, eröffneten Forschungsinstitute, verwalteten große Forschungsetats – und nutzten die Zeit zwischen Vorträgen und Konferenzen immer wieder dafür, in fremde, andere Geschmackswelten einzutauchen.

Gastfreundschaft ist für die iranisch-deutschen Zwillingsschwestern mehr als eine Selbstverständlichkeit. Foto: Luka Godec

Zuhause in Berlin bekochten sie dann ihre Freund:innen. „Zu Heiligabend oder persischem Neujahr organisierten wir große Abendessen an langen Tafeln“, erinnert sich Forough, „für jeden Gang suchten wir passende Musik aus, beispielsweise Googoosh zu einem persischen Gericht, oder etwas von einer ägyptischen Sängerin zu einem Gang aus Ägypten“, ergänzt Sahar. Bis um drei Uhr morgens gingen diese Dinnerpartys, bis alle satt, zufrieden und berauscht von den Eindrücken des Abends nach Hause gingen.

Aber das sollte alles ein Hobby bleiben. Eigentlich. Bis die beiden Schwestern sich entschieden, ihre akademischen Karrieren an den Nagel zu hängen. „Wir haben alles gemacht, was wir uns mal erträumt hatten und mehr – und trotzdem haben wir uns irgendwann gefragt: und was kommt jetzt?“ Sie sehnten sich nach der Freiheit, ein Projekt nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen umzusetzen und ihr iranisches Erbe, wie auch ihre Erfahrungen von den vielen Reisen Menschen nahe zu bringen.

Integration geht durch den Magen

„Wenn wir erzählten, dass wir aus dem Iran kommen, war die Antwort meistens Schweigen“, berichtet Forough, „viele kennen das Land nicht oder nur, was in den Nachrichten zu sehen ist. Aber die dortige Kultur ist völlig unbekannt.“ Das gelte so auch für zahlreiche andere Länder der Region.

Mit „Dr & Dr“ – der Name bezieht sich, natürlich, auf ihre beiden Doktortitel – wollen sie genau bei diesem Schweigen ansetzen: „Wir sind kein Restaurant, Dr & Dr ist ein ‚Culture and Food Lab‘“. So bieten sie Kochkurse zu Themen wie iranische Küche oder Mezze aus dem gesamten Nahen Osten an, aber auch Private Dining, Kochevents und Catering. Nationale Grenzen interessieren die beiden Schwestern dabei nicht: „Erst auf unseren Reisen haben wir die Küche der anderen Länder des Nahen Ostens und der Levante so richtig kennen und schätzen gelernt“, berichtet Forough Sodoudi. Ägyptische, libanesische, jemenitische und israelische Einflüsse treffen auf die Gerichte, die sie von ihrer Mutter und Großmutter gelernt und mit eigenem Twist versehen haben.

In der Küche von Dr & Dr vermischen sich Tradition und Moderne über alle Grenzen hinweg. Foto: Luka Godec

Aus traditionellen Sharbats, alkoholfreien Sommergetränken, werden etwa Cocktails wie der „Tehran Mule“ mit Wodka oder eine Gin Tonic-Variation, die an die Gärten von Shiraz erinnern soll, aus den Schmorgerichten der persischen Küche werden stylische kleine Happen und bunte Mezze.

Wissenschaftlicher Geist in der Küche von Dr & Dr

Ganz hinter sich gelassen haben sie ihr akademisches Leben indes nicht: „Als Stadtklimaforscherin kenne ich mich mit dem Thema Klimawandel aus, ich habe Modellierungen erstellt und Zukunftsmodelle berechnet.“, erzählt Sahar. Schon allein deswegen ist es ihr wichtig, einen Zero-Waste-Ansatz bei sich umzusetzen. „Was nicht benutzt wird, verarbeiten wir beispielsweise zu Eintöpfen oder ‚Torshi‘, iranischen Pickles“, erklärt Forough und zeigt zum Fensterbrett, auf dem zahlreiche Einmachgläser schon auf ihren Einsatz warten.

Für das Konzept erhielten sie im vergangenen Jahr den Deutschen Gastro-Gründerpreis – aber sich auf diesen Lorbeeren auszuruhen, ist ihre Sache nicht. Im Gegenteil, die Schwestern denken schon weiter: Kann Dr & Dr auch an anderen Orten, in anderen Städten funktionieren? Erst einmal planen die Schwestern, ihre eigenen Gewürzmischungen zu verkaufen und auch Designer:innen aus dem Iran und anderen Ländern bei sich vorzustellen. „Für uns ist Dr & Dr wie ein Forschungsprojekt.“, wiederholen Sahar und Forough mehrmals, während sie Drinks mixen und traditionelle iranische Kichererbsenkekse auf den Tisch stellen. „Wir haben unsere Jobs nicht verlassen, um reich zu werden. Das hier ist wirklich unsere Leidenschaft.“

In der Reichenberger Straße tauchen die Schwestern selbst ein in kulinarische Welten und teilen ihre Erkenntnisse und Leidenschaft mit ihrem Publikum. Ein wissbegieriges Publikum, das genau deshalb Dr & Dr besucht.

  • Dr & Dr Reichenberger Str. 116, Kreuzberg, Tel. 0176 40 27 11 10, regelmäßige Kochkurse, gelegentliche Pop-up-Dinner, online

Mehr Berliner Esskultur

Interesse an noch mehr unkonventionellen familiären Gastro-Konzepten? Im Meet Me Halfway der Brüder Tehrani trifft iranische Küche auf eine zeitgenössische Delikultur. Von der iranischen Kost läuft euch schon das Wasser im Mund zusammen? Hier findet ihr unsere Empfehlungen für iranische Restaurants in Berlin: Nooshe Jan!

Alle News und Empfehlungen für eure kulinarische Weltreise findet ihr in der Rubrik Food. Wer sich bei dieser Auswahl kaum entscheiden kann, findet mit der Berlin Food App von tipBerlin garantiert das passende Restaurant.

Folgt unserem Instagramaccount @tipberlin_food!

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin