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Berliner Gins im Geschmackstest: Sieben Sorten und ein Trinker

Gin, Lebensquell der Angeber, Ambrosia der Wichtigtuer. Grund dafür, dass ein abendlicher Umtrunk häufig in Fachsimpelei über Wacholder und Chinin (steckt in Tonic Water) ausartet. Viele Anhänger:innen wollen jedoch nicht nur konsumieren, sie kochen brennen ihr eigenes Süppchen. Knapp 5.500 Gins soll es mittlerweile geben, hergestellt in 68 Ländern. Ein paar von ihnen in Brandenburg und Berlin. Stellt sich die Frage, ob es sich bei ihnen nur um Mitläufer:innen handelt oder sie auch für, pardon, Ginthusiasten, taugen. Gleich sieben werde ich testen, auf einen Streich. Das tapfere Trinkerlein.

Vorab: Ich bin kein Kenner. Gin begeistert und ekelt mich nicht. Bisher war er einfach da. Vielleicht können mich die Destillerien aus der Umgebung verzaubern, zu einem Teil der Gin-Community machen.


Humboldt Gin

Der Humbodt-Gin aus Berlin: Ob das Rezept ebenso abenteuerlich ist wie Humboldts Leben? Foto: tipBerlin

Fangen wir mit dem wohl geschichtsträchtigsten Gin an. Benannt nach dem abenteuerlustigen Universalgelehrten Alexander von Humboldt, entstand er 2019 zu seinem 250. Geburtstag in Kooperation mit dem Botanischen Garten Berlin. Die Zutaten, etwa Chinarinde und Guaraná-Samen, sollen eine Hommage an den Forscher sein. Humboldt brachte sie damals von seinen Reisen durch Südamerika nach Deutschland. Eine Souvenirsammlung in der Flasche. Das Fachwissen dafür lieferte David Blankenstein, der 2019 fürs Deutsche Museum eine Humboldt-Ausstellung kuratierte. Um den handwerklichen Teil kümmerten sich die Brandenburger Spreewood Distillers, die eigentlich auf Whisky spezialisiert sind.

Beim ersten Schluck hoffe ich, mich gleich auf einem Schiff auf dem Atlantik wiederzufinden: die Sonne drückt, die Wellen rauschen, die Gischt klatscht in mein Gesicht. Wild ist es in meinem Mund und Kopf tatsächlich, aber leider nicht so wie erträumt. Der Gin soll blumig, fruchtig, frisch schmecken (so riecht er auch), ist aber sehr bitter und kräftig. Der Roggenalkohol dominiert mir geschmacklich zu sehr, versetzt mich in eine Zeit, in der ich auf Partys Shots stürzte und benebelt Leute vollquatschte. Vielleicht fehlt mir das Feingefühl, um das komplexe Aroma (wie Ginexpert:innen sagen) voll zu ergründen. Manche Dinge brauchen nun mal Übung, auch Trinken.


AA Gin

Der nächste Gin aus Berlin: AA steht in dem Fall für die Aroser Allee. Foto: tipBerlin

Nach einem harten ersten Urteil (sorry – und manche mögen es ja bitter!) kommt nun ein Gin aus der Aroser Allee (AA). Gewidmet ist er der Belle Époque (Schöne Epoche), eine Zeitspanne zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert. Damals waren die Menschen geprägt von Optimismus und Lebensfreude. Bauern, Land- und Industriearbeiter, die Arbeiterklasse eben, hatten keinen Anteil daran. Witzig, da gerade Gin im 18. Jahrhundert in Großbritannien zu einer Epidemie führte, in der sich in jener Klasse Massen nahezu täglich bis zur Besinnungslosigkeit betranken. Soziale und gesundheitliche Probleme nahmen zu, der Staat bekämpfte sie mit Steuererhöhungen und der Einführung von Schanklizenzen. Starker Kontrast.

Eigentlich müsste mich der Gin hin- und herreißen, meinen Verstand durch alle Gesellschaftsschichten prügeln. Stattdessen bin ich überrascht, wie angenehm er ist, trotz 43 Prozent Alkohol. Er ist leicht und fast schon erfrischend. Gemischt mit Zitronenlimonade und Minze ergibt er einen guten Longdrink. Er lässt mich sogar den historischen Kontrast ausblenden.


Ernst Dry Gin

Ernst Gin: Das Original ist deutlich größer als die Probierportion für den Test, keine Sorge. Foto: tipBerlin

Zwei intus, bleiben noch ein paar. Meine Leber fiebert dem nächsten Test entgegen. Diesmal ein Gin aus dem rauschönen Wedding. Namensgeber ist Ernst Dobislaw, seines Zeichens erster deutscher Destillateurmeister. Aus seinen Aufzeichnungen geht auch die Basis des Gins hervor. Der Adam deutscher Brennkunst lieferte also die Grundlage. Hergestellt wird der Gin in der Preußischen Spirituosenmanufaktur, was für geschickte Hände spricht. Schwierig, die Erwartungen da zu drosseln.

Sagen wir so: Er enttäuscht nicht. Nicht ganz. Er riecht stark nach Wacholder und ein wenig zitronig. Und genauso schmeckt er auch. Überraschend ist, dass er anfangs nicht stark wirkt, aber beim Schlucken brennt sich die Flüssigkeit ihren Weg in den Magen. Mit Tonic Water oder auch Zitronenlimonade (beides ausprobiert) verfliegt das Gefühl. Dadurch wird er deutlich angenehmer.


Wild Child

Wild Child harmoniert wunderbar mit Zitronen. Foto: tipBerlin

Bisher hatte jeder Gin aus Berlin einen historischen Bezug. Wild Child nicht. Die Website lockt hingegen mit lebensbejahenden Werbetexten á la „Wir lieben das Abenteuer, die Herausforderung, die raue Natur, vom Wind zerzauste Haare und Salz auf unserer Haut“. Da tanzt der Millenial in mir doch glatt den Hedonisten-Shuffle. Pathetische Sätze müssen jedoch nicht die Qualität schmälern. Rosmarin, Koriander, Bergamotte, Zitrone und Zitronat klingen erstmal vielversprechend. Um Aroma und Geschmack zu entwickeln, schauten sich die Macher:innen ein paar Kniffe von Parfümerien ab, heißt es.

Er riecht und schmeckt angenehm zitronig. Da kommen Sommergefühle auf. Mit Tonic Water harmoniert er weniger, dafür aber mit Zitronenlimo, was nicht wirklich überrascht. Vielleicht ist die abenteuerliche Eigenwerbung gar nicht so weit hergeholt.


Spree Gin

Spree Gin kommt sehr frisch, passt deshalb wunderbar zum Frühling. Foto: tipBerlin

Wie der Name schon vermuten lässt, steckt in dem Gin Spreewaldgurke als Teil des Destillationsprozesses. Und wenn schon Theodor Fontane sie als Spitze der landwirtschaftlichen Produkte bezeichnete, dürfte sie dem Gin nicht schaden. Alle Zutaten sind zudem bio, seien es die Lavendelblüten, Pomeranze oder auch die verarbeiteten Zitronen.

Von den Blüten oder Zitronen kommt geruchlich nichts durch, dafür aber die Gurke. Sie riecht frisch und ist nicht aufdringlich. Geschmacklich verhält es sich ähnlich. Das milde Gurkenaroma lässt den Gin fast harmlos wirken, ob pur oder gemischt. Gefährlich, aber lecker, sofern ihr Gurken mögt. Ich bin begeistert.


Elixier

Elixier Gin aus Berlin: Der Hipster unter den Proben. Foto: tipBerlin

In der Heilkunde galt das Elixier als ein Auszug aus in Alkohol gelösten Pflanzen. Es war lange Zeit Teil der Schulmedizin – bis ins 19. Jahrhundert. Also wieder so ein bedeutungsschwerer Name. Passt allerdings zur Aufmachung, das galt für die Flasche und Website. Texte auf vergilbtem Papier, eine Flasche, die auch aus einer Wildwest-Apotheke stammen könnte. All das sorgt für frischen Wind, wie ihn Hipster nun mal erzeugen.

Der Gin rieht deutlich stärker nach Kräutern als die anderen, was ihn aber auch kräftiger wirken lässt. Die Sommergefühle vom Spree Gin verfliegen, stattdessen lässt er an einen gemütlichen Herbstabend im Wohnzimmer denken. Allerdings geht er sehr leicht runter, fühlt sich fast sanft an. Er schmeckt angenehm nach Kräutern und passt sehr gut zu Tonic Water.

Elixier Gin ca. 34,90 €, elixier-gin.de


Berliner Brandstifter

Ein Berliner Gin namens Brandstifter: Kommt das Beste wirklich zum Schluss? Foto: tipBerlin

Es ist der letzte Gin und ich bin (noch) halbwegs fit. Zunächst die Side Facts: Für ihren Gin haben die Brandstifter einen eigenen Garten in Berlin angelegt. Regionaler gehts kaum. Bereits seit 2013 ist er auf dem Markt, was ihn zum ältesten Vertreter dieser Reihe macht. Eine vielversprechende Beständigkeit. Was die Zutaten angeht, hebt er sich nicht besonders ab. Wacholder, Waldmeister, das Übliche.

Sein Geruch schlägt einem fast ins Gesicht, erinnert ein wenig an Desinfektionsmittel oder, weniger gemein, Wodka. Leider schmeckt er auch sehr stark nach Alkohol, andere Nuancen nehme ich kaum wahr. Erinnert ein wenig an den Humboldt Gin. Damit endet der Test wie er angefangen hat.

Berliner Brandstifter ca. 27,99 €, berlinerbrandstifter.com

Stellt sich nur noch eine Frage:

Bin ich jetzt Ginliebhaber?

Ich bin vor allem angeheitert. Sieben Gins, pur und gemischt, sind eindeutig zu viel, so klein die Gläser auch waren. Trotzdem zeigt sich, wie vielseitig ein wenig Alkohol sein kann. Kräuter, Zitronen, blumig, erfrischend, kräftig, sanft, viele Adjektive für viele Vertreter eines Produkts. Da kann ich die Fachsimpeleien in den WG-Küchen verstehen, zumindest ein wenig. Zwischen aufgeblähtem Blabla und fundierter Meinung liegt ein schmaler Grat. Ob meine jetzt wirklich fundiert ist, darüber lässt sich streiten. Manche mögen es kräftig vielleicht lieber. Wie der Geschmack auch ausfallen mag, die Destillerien in der Umgebung bieten etwas für jede:n.


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