Der Fernsehturm, der Salon Babette und nun das ehemalige Pressecafé am Alexanderplatz: Ikonische Bauten der DDR-Moderne reüssieren als Bar oder Restaurant. Haben wir Hunger auf die Vergangenheit? Ein Abend im Beast Berlin.
Alles eine Frage der Perspektive. Und die ist im Beast Berlin hervorragend, was auch daran liegt, dass Podeste die Panoramaetage über dem Alexanderplatz in mehrere Ebenen teilen – was die Anzahl der gefühlten Fensterplätze mindestens verdoppelt. Fensterplätze sind nämlich beliebt im Beast Berlin, das hat Gastronom Alexander Freund schon in den wenigen Wochen des Soft Openings im Sommer festgestellt: „Eigentlich steht in jeder zweiten Online-Reservierung: Bitte ein Platz am Fenster.“
Pressecafé als Fenster zur Welt
Fenster ist überhaupt ein gutes Stichwort. Als Reaktion auf das Springer-Hochhaus im Berliner Westen entstand am Alexanderplatz von 1970 bis 1973 das Haus des Berliner Verlages, ein Ensemble im Stil der Sozialistischen Moderne, zu dem auch das Pressecafé gehörte. Internationale Zeitungen lagen hier aus, das Pressecafé war durchaus als Fenster zur Welt gedacht – oder sollte zumindest als solches gelesen werden. „Ich habe aber in meiner gesamten Verwandtschaft herumgefragt“, erzählt der in Naumburg geborene und in Ost-Berlin aufgewachsene Alexander Freund, „die normalen Leute kamen augenscheinlich eher nicht ins Pressecafé.“
Freund wird das ändern. Der Gastronom, der auch das Jäger & Lustig in Friedrichshain und das Fischer & Lustig im Nicolaiviertel betreibt, sieht sein Beast Berlin eben in der Tradition dieser beiden zugewandten Speiselokale. Dass es ein Steakhaus geworden ist, liegt nicht nur an der Liebe des Gastgebers zu den USA: „Für mich war Gerd Spitzer, der hier im Pressecafé bereits im Sommer 1990 das Escados eröffnet und 30 Jahre lang großen Ketten wie Block House getrotzt hat, Vorbild und Inspiration.“ Auch Spitzer ein Selfmade-Gastronom, wie Freund aus dem Osten Berlins.
Fries und Fritten
Konnte Gerd Spitzer aus diesem ikonischen Bau der Ostmoderne in den unmittelbaren Nachwendejahren noch machen, was er wollte, sitzen heute die Denkmalschutzbehörden mit am Tisch. Im Zuge der Gebäudesanierung wurde etwa der eindrückliche, rundlaufende Wandfries von Willi Neubert (endlich) wieder freigelegt. Im Umkehrschluss darf das neue Restaurant auf der denkmalgeschützten Außenfassade nicht als solches beworben werden. Ein Kunstwerk, oder ist es doch vor allem ein Leuchtschriftzug, erzählt stattdessen hinter der Fensterfront von der Lebensnotwendigkeit gegrillter Fleischstücke.
Aber andererseits: Was sich nun hinter den großen Scheiben abspielt, weiß bald ohnehin mindestens die halbe Stadt. Auch das ist der Vorteil, wenn man ein Restaurant in einem architektonisch überzeugenden und geschichtsträchtigen Gebäude eröffnet.
Hunger auf die Ostmoderne: Bars und Restaurants in ikonischen Bauten
Ohnehin ist das Pressecafé nicht der einzige prominente Bau der DDR-Moderne, der gegenwärtig als Bar oder Restaurant reüssiert. Im kommenden Frühjahr wird Tim Raue mit seiner modern gedachten deutschen Küche das Restaurant Sphere im Berliner Fernsehturm übernehmen. Und der zum Café Moskau an der Karl-Marx-Allee gehörende Salon Babette, jahrelang nur als Eventlocation buchbar, ist neuerdings eine florierende Apérobar mit sehr guten Drinks und einer ziemlich wunderbaren Atmosphäre. Und in Potsdam, wo das immer noch neue Kunstmuseum Das Minsk in den 1970er-Jahren ja ausgerechnet als (weißrussisches) Erlebnisrestaurant eröffnet worden war, ist auch das Museumscafé Hedwig wieder zurück.
Wer will, kann auch das Restaurant Ei im Eierhäuschen im Plänterwald in diese Reihe setzen, auch wenn das historische Ausflugslokal noch einmal fast hundert Jahre älter ist als die DDR. Dennoch, zur Eröffnung im vergangenen Winter kam gerade die Treptower Nachbarschaft mit reichlich nostalgischen Gefühlen. Und so müssen die neuen Gastgeber:innen manchmal auch Enttäuschungen moderieren: Mag es etwa im Beast Berlin auch ein nostalgisches Ragoût fin geben, die Architektur und ihre Geschichte bilden in all diesen Fällen vor allem ein atmosphärisches Plateau für gänzlich neue Erlebnisse und Erfahrungen.
Und doch passen diese historischen Orte gut in die durchaus kriselnde Gegenwart des kulinarischen Berlins und zu einem Publikum, das nicht mehr nach dem immer Neuen hungert, sondern gerne zurückschmeckt. Ein Publikum, dem es nur noch unter anderem darum geht, was auf den Tellern und in den Gläsern passiert. Die Atmosphäre, manchmal auch das Spektakuläre des gastronomischen Gesamterlebnisses ist plötzlich wichtiger denn je. Wir erinnern uns: Es gab ja mal eine Zeit in dieser Stadt, wo radikale Regionalkonzepte in einem Kellerraum „unter Null“ eröffnet hatten. Nichts sollte von den Aromen ablenken.
Auch deshalb dürfte sich Tim Raue für seinen neuerlichen Versuch einer gehobenen, aber nicht abgehobenen deutschen Küche ausgerechnet den Fernsehturm, diese globale Ikone, ausgesucht haben. Hühnerfrikassee im Telespargel.
Im Beast Berlin über dem Alexanderplatz sitzt es sich derweil durchaus gemütlich in orangeroten Polstern, die gleichzeitig auf beides verweisen: die popbunten Siebzigerjahre und das feuerrote Grill-Thema, die dem recht großen Raum (230 Plätze) gleichzeitig eine gewisse Intimität geben. Wiederkehrende Wandpaneele könnten ganz ähnlich auch im Palast der Republik gestanden haben, einzig die omnipräsenten Bullenköpfe betonen die maskuline Seite der Grillkultur vielleicht ein wenig zu sehr. Ein Blick aufs Publikum aber zeigt, auch hiermit könnte Alexander Freund richtig liegen.
- Beast Berlin Memhardstr. 6 (am Alexanderplatz), Mitte, tgl. ab 17 Uhr, Reservierungen und besondere Termine hier
Dieser Ort weckt unser Italiengefühl: Zu Besuch im Botanischen Bistro Talea. Ikonisch, experimentierfreudig: DDR-Architekten und ihr Wirken in Berlin. Kochbücher gibt es viele, aber ein Buch, dass sich mit dem guten Essen an sich beschäftigt, ist selten. Daher empfehlen wir das gleichsam enzyklopädische wie entertainende Werk von Felix Fröhlich und Lukas Freitag, zwei Absolventen der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Ihr wollt das Steak lieber zuhause zuzubereiten? Gute Metzger und Fleischereien in Berlin empfehlen wir hier.