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Kommentar

Knorr benennt Sauce wegen Rassismus um: Die M-Straße der Gastronomie

Lange hat’s gedauert, jetzt hat Lebensmittelhersteller Knorr endlich Konsequenzen gezogen und eine beliebte Sauce in „Paprikasauce Ungarische Art“ umbenannt. Die Reaktionen reichen von Zustimmung bis hin zu rassistischen Ausfällen. Kennen wir alles in Berlin schon aus der Debatte um die M-Straße. Ein Kommentar.

Sauce Ungarischer Art: Knorr benennt wegen Rassismus eine Sauce um – und Kritiker steigen auf die Barrikaden.
Frikadellen, Rösti und Sauce Ungarischer Art: Knorr benennt wegen Rassismus eine Sauce um – und Kritiker steigen auf die Barrikaden. Foto: imago images / imagebroker

„Das war’s mit der Zigeunersauce“, titelte die „Bild am Sonntag“ gestern. „Wegen Rassismus-Diskussionen“, die es „vor allem in den sozialen Netzwerken“ gäbe, würde der Unilever-Konzern die doch so beliebte Sauce umbenennen. Der Begriff könnte „negativ interpretiert werden“, so Unilever, deswegen habe sich der Konzern entschieden, dem Produkt einen neuen Namen zu geben. In wenigen Wochen könne man stattdessen die „Sauce Ungarischer Art“ im Supermarktregal finden.

Knorr benennt Sauce um: Antiziganismus wächst in der Gesellschaft

Seit Jahren schwelt die Diskussion um das Wort, als Fremdbezeichnung wird er von vielen Sinti und Roma als diskriminierend abgelehnt. Schon vor sieben Jahren ging ein Verein von Sinti und Roma aus Hannover gegen Hersteller von Saucen mit diesem Namen vor. Und auch Ketchup-Magnat Heinz zum Beispiel hat schon länger kein solches Produkt mehr im Sortiment.

Andererseits sagt der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, der „BamS“, dass es immer auf den Kontext ankomme, in dem der Begriff falle. Der wachsende Antiziganismus in der Gesellschaft bereite ihm Sorgen. Prinzipiell begrüße er die Entscheidung von Unilever allerdings und finde es gut, dass „Knorr hier auf die Beschwerden offenbar vieler Menschen reagiert“.

Knorr und die Sauce: Wie frei soll Wirtschaft sein?

Die Reaktionen auf die Namensänderung ließen natürlich nicht lange auf sich warten: In eben diesen sozialen Netzwerken ging es gleich hoch her, die einen freuten sich, dass die Sauce endlich umbenannt werde, die anderen keiften zurück, dass sie nie wieder ein Produkt von Knorr kaufen würden, nur weil es die zuckerhaltige Papp-Masse nun „Sauce Ungarischer Art“ heiße.

Selbst Politiker*innen mischten sich ein: Stefan Förster, seines Zeichens Mitglied der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, nutzte die Gelegenheit, sich über vermeintliche „politische Korrektheit“ zu echauffieren und rief indirekt ausgerechnet zum Boykott von Knorr auf.

Eine interessante Reaktion, wenn man bedenkt, dass sonst ja die FDP auf die Freiheit der Wirtschaft pocht. Aber wer braucht schon liberale Grundwerte wie Freiheit, wenn man Rassismus haben kann?

Sauce nur ein Symbol: Sinti und Roma werden weiter marginalisiert

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas im Tiergarten bekommt und der Umbenennung der M-Straße in Mitte bekommt die ganze Sache besondere Brisanz.

Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass Deutsche Bahn Pläne für den Bahn neuer S-Bahn-Tunnel schmiedete. So weit, so gut – allerdings würden sie eine Sperrung oder sogar Entfernung von Teilen des Denkmals bedingen. Das allein wäre schon problematisch, bedenkt man, wie lange um das Denkmal gerungen wurde, doch es war noch schlimmer: Das Unternehmen hatte bis dahin nicht im Vorfeld mit Sinti- und Roma-Organisationen gesprochen. Ein solcher Fauxpas zeigt schon, wie sehr Sinti und Roma bis heute marginalisiert werden – selbst wenn es um ihr Denkmal geht, werden sie nicht befragt. Zu Recht folgte breiter Widerstand, doch der Schaden war vollbracht.

Knorr benennt Sauce um: Parallelen zur Diskussion um die M-Straße

Die gesamte Debatte mit Boykott-Aufrufen und gehässigen Kommentaren erinnert Berliner*innen an die ja noch immer laufende Debatte um die Umbenennung der M-Straße. Als die BVG vor wenigen Monaten beschloss, den Namen des U-Bahnhof M-Straße in „Glinkastraße“ zu ändern, war das Geschrei ähnlich groß.

Oft wird dann von „Tradition“ geredet, es werden Betroffene bemüht, die sich angeblich nicht störten an den Namen. Dabei ist es doch ganz einfach: in einer gerechten Welt hören wir allen Seiten zu. Und wenn sich von Diskriminierung betroffene Gruppen unserer Gesellschaft an einem Begriff stören und ihn als verletzend empfinden, dann gebietet es doch nur der Respekt, unseren Mitbürger*innen zuzuhören. Alles andere demaskiert nur den eigenen Rassismus. Und der schmeckt immer bitter.


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In der Debatte um Rassismus wird von weißen Menschen verlangt, ihr Weißsein kritisch zu reflektieren, „Critical Whiteness“ heißt das Feld. Aber wieviel Abbitte soll’s denn sein, fragt tipBerlin-Redakteurin Julia Lorenz.

Nach der angekündigten Namensänderung des U-Bahnhofs M-Straße hagelte es Kritik am künftigen U-Bahnhof Glinkastraße. tipBerlin-Autor Max Müller diskutiert: Wie integer muss ein Namensgeber sein?

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