Manuela Bleiberg wirbelt aufgeregt durch das Cafй. Sie räumt Gläser und Zeitschriften beiseite und rückt Stühle zurecht für die jüdische Gruppe, die sie erwartet. „Hier ist alles etwas verrückt über die Feiertage.“ Gerade war Rosch ha-Schana, das jüdische Neujahrsfest, erklärt sie. Daran schlossen sich weitere elf Feiertage an, unter anderem Jom Kippur, einer der wichtigsten Festtage, an dem 24 Stunden lang gefastet wird. „Deshalb sind wir alle aufgeregt“, sagt sie etwas verlegen. Das Cafй Bleiberg ist einer der wenigen glatt, also streng koscher geführten Gastronomiebetriebe in der Hauptstadt. An der Wand hängt das Kashrut-Zertifikat, das bestätigt, dass alle Speisen im Cafй den strengen jüdischen Speisegesetzen entsprechen. Die Zutaten werden aus Israel oder Frankreich importiert, die Kontrolle erfolgt regelmäßig durch einen Rabbiner. Für das Ehepaar Bleiberg gelten diese Regeln nicht nur im Restaurant, sie sind auch seit langer Zeit ein ganz normaler Bestandteil ihres privaten Alltags. „Jemand, der nicht koscher lebt, kann die Regeln nicht verstehen“, meint Michael Bleiberg. Denn die Kashrut-Gesetze sind alles andere als einfach. Neben dem Verbot von Schweinefleisch, das den meisten Menschen bekannt ist, gibt es noch eine Vielzahl weiterer Regelungen. Eine der wichtigsten: Fleisch- und Milchprodukte dürfen weder zusammen verzehrt werden, noch miteinander in Berührung kommen. Viele jüdische Restaurants entscheiden sich deshalb der Einfachheit halber zwischen den Küchenrichtungen „milchig“ und „fleischig„.
Das Bleibergs ist ein sogenanntes „milchiges“ Cafй. „Nur so können wir Cappuccino anbieten“, sagt Manuela Bleiberg. Doch „milchig“ bedeutet nicht, dass nur Milchprodukte auf den Teller kommen. Die Speisekarte ist ein kleiner Rundumschlag durch die jüdische Tradition. Da Juden seit Jahrtausenden in allen Teilen der Welt leben, ist ihre Küche besonders vielfältig. Auf dem Speiseplan des Bleibergs stehen deshalb zum Beispiel Gerichte, die aus der russischen Küche kommen, wie z.B. „Blinsches“ – besondere Eierkuchen, die an russische Blini erinnern. Ebenfalls osteuropäischen Ursprungs ist die Spezialität „gefilte Fisch“ – eine Speise, für die Karpfen oder Zander zerkleinert und mit besonderen Gewürzen zu kleinen Klößen verarbeitet oder eben als Masse wieder in die Fischhaut eingefüllt wird. Daneben gibt es israelischen Hummus, italienische Pizza, vegetarische Hamburger, deutsche Tofubratwürste und den wohl bekanntesten jüdischen Exportschlager: den Bagel. Die vielfältige Speisekarte zieht inzwischen nicht nur Juden und israelische Touristen, sondern auch zahlreiche vegetarische Berliner an.
In der Berliner Gastronomie sind Lokale wie das Bleibergs eine Seltenheit. Außer dem Charlottenburger Cafй gibt es in Berlin nur eine Handvoll weiterer glatt koscherer Gastronomiebetriebe. Die meisten befinden sich in jüdischen Gemeinden oder neben Synagogen, wo sie hinter Absperrungen von Polizisten mit Maschinengewehren bewacht werden. Das Restaurant Le Chaim ist Teil des jüdischen Bildungszentrums Chabad Lubawitsch in Wilmersdorf, einem modernen, architektonisch-anspruchsvollen Gebäude, in dem sich auch eine Synagoge befindet. Mit seinen holzvertäfelten Wänden, den weiß eingedeckten Tischen und einer schicken Bar wirkt das Lokal sehr einladend. In dem „fleischigen“ Restaurant gibt es neben Lachsfilet und orientalischem Huhn sogar koscheres Sushi. Doch nichtjüdische Gäste verirren sich fast nie hierher, erzählt ein Mitarbeiter. Auch wenn das schicke Restaurant jedem offensteht, es lebt von Touristen aus Israel und Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde in Berlin.
Das Berliner Publikum interessiert sich scheinbar wenig für die jüdische Gastronomie. Dieses Jahr mussten drei jüdische Restaurants schließen, darunter auch das namhafte Kadima in der Oranienburger Straße, direkt neben der Neuen Synagoge. Die Küche hatte einen russisch-jüdischen Einschlag und nannte sich „kosher-style„, das heißt, die jüdischen Speisegesetze wurden nicht streng eingehalten. Über die Hintergründe der Schließung möchte Friederike Handstein, Assistentin der Geschäftsführerin, ungern sprechen; sie verrät immerhin, dass die zentrale Lage neben der Synagoge in der Oranienburger Straße trotz der vielen Touristen eher hinderlich für das Geschäft gewesen sei. Wenn Veranstaltungen wie Lesungen stattfanden, gab es strenge Sicherheitsmaßnahmen. Die Gäste mussten eine Personenkontrolle passieren, um in das Restaurant zu gelangen. „Das hat die Menschen verunsichert.“
Durch eine Sicherheitsschleuse müssen auch die Gäste des Restaurants Liebermanns. Das Restaurant befindet sich im Foyer des Jüdischen Museums. Bevor man den Eingangsbereich des barocken Altbaus betreten darf, werden die Taschen und Jacken durchleuchtet, wie am Flughafen. Schließt das Museum, ist auch im Liebermanns Schluss. „Denn dann machen auch die Sicherheitsleute Feierabend“, erklärt Katja Kalinowski, Mitarbeiterin des Restaurants. Das Restaurant wirtschaftet unabhängig vom Museum, doch es lebt gut von den Museumsbesuchern, die nach einem Rundgang durch die Ausstellung probieren möchten, wie jüdische Gerichte schmecken. „Die Theorie macht das Museum, wir machen die Praxis“, so Roman Albrecht, Restaurantleiter. Koscher ist dieses Restaurant nicht, dennoch orientiert man sich an traditionellen jüdischen Gerichten und Zubereitungsarten, die modern interpretiert und angerichtet werden. Montags lassen die längeren Öffnungszeiten ein ausgiebiges Buffet mit Klezmer-Musik zu.
Warum es in Berlin so wenig jüdische Küche gibt, das kann sich auch Katja Kalinowski nicht so richtig erklären. Zum einen liege es daran, so ihre Vermutung, dass die Jüdische Gemeinde in Berlin klein sei. Zum anderen am mangelnden Interesse des nichtjüdischen Publikums: „Die meisten Berliner haben keinen Bezug zur jüdischen Küche.“ Dass diese Küche eine reiche und kreative Speisekarte biete, sei den wenigsten bekannt. Die koschere Küche sei vielen Menschen wegen ihrer strengen Regeln und Verbote ein wenig suspekt.
So ist es kaum erstaunlich, dass die jüdische Küche manchmal erfolgreicher ist, wenn sie nicht explizit beworben wird. Manche Restaurants integrieren jüdische Speisen in eine internationale Speisekarte und sind mit diesem Konzept sehr erfolgreich – etwa das Pasternak in Prenzlauer Berg, das sich in der Nähe der Synagoge in der Rykestraße befindet. Benannt ist das Lokal nach dem jüdisch-russischen Autoren Boris Pasternak. Auf der Speisekarte finden sich Spezialitäten wie „Fluden„, ein Kirschstrudel an Zimteis, „Esik-Fläisch„, geschmortes Rindfleisch in süß-saurer Pflaumensauce, oder auch „Latkes„, Kartoffelpuffer mit Lachs und Meerrettich. Im Pasternak kreuzen sich die Wege von Synagogen-Besuchern, Touristen und Nachbarn, und das kulinarische Mischkonzept kommt bei den Gästen gut an.
Text: Antje Binder
Foto: Anna Blancke, Harry Schnittger
Bleibergs Nürnberger Straße 45a, Wilmersdorf, Tel. 21 91 36 24, www.bleibergs.de, So-Do 9-21 Uhr, Fr 9-13 Uhr
Le Chaim Münstersche Straße 6, Wilmersdorf, Tel. 21 28 08 42, www.lechaim-berlin.de, So-Do 11-23 Uhr, Fr 11-16 Uhr
Liebermanns im Jüdischen Museum, Lindenstraße 9-14, Kreuzberg, Tel. 25 93 97 60, www.liebermanns.de, Mo 10-22 Uhr, Di-So 10-20 Uhr
Pasternak Knaackstraße 22-24, Prenzlauer Berg, Tel. 441 33 99, www.restaurant-pasternak.de, tgl. 9-1 Uhr