Ausgerechnet Eat the World hat sich die Agentur getauft, die Einheimische und Touristen mit „einmaligen kulinarisch-kulturellen Stadtführungen“ durch Küchen dieser Stadt schicken will. Nun gut, darf Berlin doch immerhin von sich behaupten, auf seinen Tellern viele Aromen der Welt zu vereinen. Eat the World aber behauptet seinerseits wahre Kennerschaft: „Wir führen Sie abseits der Touristenpfade durch kleine, authentische Viertel.“ „Genussvolle Kostproben“ in „einzigartigen Restaurants“ soll es dabei geben, eben das „echte Leben“. Das Echte hat ja, zumal im Urlaub, Konjunktur.
Allein in Berlin hat die Agentur fünf verschiedene Touren durch Schöneberg, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Charlottenburg und Kreuzberg ausgearbeitet; daneben bietet man das Konzept der kalorienhaltigen Stadtrundgänge bundesweit im Franchise-Verfahren an. 30 Euro kostet die dreistündige Tour, bei der, so die Verheißung, an sieben Stationen Spezialitäten probiert werden.
Für die Prenzlauer-Berg-Tour trifft man sich am U-Bahnhof Senefelder Platz. Dort erhalten alle Teilnehmer, Touristen und mehr noch wissbegierige Neu-Berliner, schon einmal eine Papierserviette. Vor dem ersten Essen wartet jedoch erst mal ein, nun ja, trockener Vortrag über die Stadtgeschichte, bei der Angie, die Führerin, immer wieder angeknitterte Schaubilder aus ihrer Umhängetasche hervorkramt. Die Berliner Stadtgrenzen im 12. Jahrhundert, ein Satellitenfoto von Berlin bei Nacht: Immer soll es darum gehen, wie Berlin also wurde, was man heute dort isst.
Erste Station ist die Burgerie an der Schönhauser Allee, wo es jedoch keine Burger gibt (wäre ja zu schön), sondern drei Kartoffelspalten pro Person. Diese dürfen in drei verschiedene Dips getunkt werden. Die Getränke muss man sich selbst bestellen. Im nächsten Laden, bei Lieschen Müller schräg gegenüber, verteilt die Chefin fingerhutgroße Proben einer sehr wohlschmeckenden Kürbis-Kokos-Cremesuppe, die schnell geleert sind.
An Straßenecken bleibt die Gruppe immer wieder stehen, um Kurzvorträgen über die Architektur, sozial verträgliches Wohnen oder die leidige Gentrifizierung des Prenzlauer Berges zu lauschen. Kulinarisches kommt relativ kurz und scheint auch nicht das Fachgebiet der Führerin zu sein. Interessante Feinkostläden unterwegs oder die Urmutter der Currywurst, Konnopke an der U-Bahn-Station Eberswalder Straße, bleiben unerwähnt.
Weitere Häppchen gibt es bei Pakolat, Feinkost Asmen, Suicide Sue und häppies; an der Gelati Eismanufaktur immerhin darf sich jeder eine Kugel Eis aussuchen. Nur: Wäre da nicht der interessante Vortrag von Janine Pakolat über Kaffeeröstung in ihrem wirklich stilvollen Cafй gewesen, diese Tour wäre eher eine Geschichts- und Architekturführung mit integrierter Häppchenaufnahme geblieben. Aber andererseits: „Das ist ja das große Problem“, hat Pamela Dorsch von Slow Food Berlin festgestellt. „Die meisten Leute kommen zu so einer Tour noch immer mit einer richtiggehenden Fress-Erwartung, was es den Anbietern nicht leichter macht, wirklich gehaltvolle Führungen zu konzipieren und vor allem zu kalkulieren.“
Bei visitBerlin, der Vermarktungsagentur von Berlin, sei man sich der wachsenden Bedeutung kulinarischer Themen innerhalb des Tourismus sehr wohl bewusst, sagt Björn Lisker von visitBerlin. „Gerade bei Reisejournalisten, die unsere Stadt besuchen, ist das Interesse an Food-Touren hoch.“ Voraussehbar also, dass sich ein solches Interesse zunehmend auf ihre Leser überträgt. Die Berliner Restaurantlandschaft, die Sterneküchen wie die Street-Food-Märkte, ist ohnehin längst vielen eine Reise wert. Weil man sich aber, selbst im Urlaub, nur drei-, viermal am Tag zu Tisch bitten lässt, muss die Nahrungsaufnahme eben zwischendurch in anderer Form, in anderen Formaten erfolgen. Etwa als Lebensmittelkulturrundgang.
Der zweite große Anbieter in diesem Segment nennt sich Berlin Food Tour und wird von Bastian Schwithal geleitet. Der Neu-Berliner beschreibt sich selbst als Weltreisenden mit einer Passion für die urbane Esskultur. Gearbeitet hat er, wie so viele heißhungrige Quereinsteiger im Foodie-Business, zuvor im Event- und Medienbereich.
Schwithal bietet gleich eine ganze Reihe von kulinarischen Themenrundgängen an: die Berlin-Mitte-Food-Tour, die Beer-&-Currywurst-Tour, dann eine Coffee-&-Cake-Tour, die Chocoholic-Tour oder die Breweries-Tour. 38,90 Euro zahlt der Teilnehmer für einen kenntnisreichen Einstieg in spezifische Geschmäcker dieser Stadt. Mal historisch, mal zeitgeistig, immer wieder kalorienhaltig. Acht Propierhäppchen warten entlang der Currywurst-Tour, zehn Probier-Biere begleiten die Breweries-Tour.
Der Standortvorteil dieser beiden großen Anbieter: ihre verlässliche Frequenz, die meisten Führungen werden zu fixen wöchentlichen Terminen angeboten. Nur: So gut man in Berlin inzwischen – durch beinahe alle Preiskategorien – essen kann, den kulinarischen Stadtrundgängen fehlt es hier und dort noch an dieser Finesse. Und auch an jener Leidenschaft, mit der all die kleinen Food-Start-ups oder die vielen wirklich sehr guten Restaurants für ihre Sache kochen.
Die Food-Touren scheitern daran in jenem Maße, in dem sie sich der Event-Kultur verschreiben. Currywurst geht eben immer und auch mit Bier macht man nichts falsch. Die vielschichtigen Aromen der Stadt aber, die müssen sich die Food-Touren erst noch erlaufen.
Text: Dirk Engelhardt
Illustration: Viet Hoa le
Anbieter:
Eat The World Deutschlandweit agierender Platzhirsch unter den kulinarischen Stadtspaziergängen. Angebot nach Bezirken (Charlottenburg, Schöneberg, Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg) organisiert. Keine spezifischen Themenführungen.
www.eat-the-world.com
Berlin Food Tour Themenführungen von A wie Absinth über B wie Bier, ?C wie Currywurst und so weiter. Fast immer in Mitte, mal mit mehr, mal mit weniger Lokalkolorit.
www.berlinfoodtour.de