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Interview

Küchenchef Max Strohe: „Lass uns das Gulasch feiern, bis es alle ist“

Max Strohe aus dem Tulus Lotrek ist der Berliner Küchenchef, der am meisten zu erzählen hat. Anlässlich seines zweiten Buchs „All You Can Eat“ haben wir uns unterhalten.

Cooler Typ: Max Strohe gehört zu den spannendsten Küchenchefs der Stadt. Foto: Clemens Niedenthal

tipBerlin: Max Strohe, nach deinem autobiografischen Coming-of-Age-Roman „Kochen am offenen Herzen“ folgt jetzt die Kolumnensammlung „All You Can Eat“. Worauf darf der Leser, darf die Leserin Hunger haben?

Max Strohe: Es geht, kurz gesagt, um die Vielseitigkeit des Essens und darum, die Leute zu ermutigen, mit ihren Guilty Pleasures nicht hinterm Zaun zu halten. Man sollte auf jeden Geschmack und jede Vorliebe stolz sein, man kann ja froh sein, wenn man überhaupt eine hat. Das Buch ist eine Auswahl meiner Kolumnen, die ich wöchentlich für den „Spiegel“ schreibe und vor allem der Texte, die es nicht in den „Spiegel“ geschafft haben.

tipBerlin: Was hat der „Spiegel“ denn nicht gedruckt?

Max Strohe: Einen Text über Hipster-Klitschen zum Beispiel, darüber, wie man sie erkennt und wie schlimm und alltäglich diese Erfahrung ist, gerade in großstädtischen und vermeintlich angesagten  Restaurants.

ItipBerlin: Ich ahne, diese Geschichte spielt in Berlin.

Max Strohe: Und es ging mir gerade schon wieder so, in diesem New-York-Style-Bistro zwischen Mitte und Prenzlauer Berg. Es ist schon erstaunlich, wie es manchen Läden gelingt, gleichzeitig gefühlt gar keinen Service zu haben und von diesem dennoch schlecht behandelt zu werden.

tipBerlin: Nun will ich es aber wissen: Woran erkennt man eine „Hipster-Klitsche“?

Max Strohe: Es gibt nur ein Instagram-Profil und keine Homepage. Man findet weder ein Impressum noch eine Telefonnummer. Es gibt garantiert Weichholzmöbel zu sehr viel Edelstahl und immer, wirklich immer, ein notorisches iPad als Kasse. Wir merken: Berlin ist voll von diesen Läden.

tipBerlin: Sagt einer, der immer wieder selbst zum Food-Hipster erklärt worden ist.

Max Strohe: Weil das zwei, drei Leute einmal geschrieben haben: Da ist dieser Typ mit der frechen Schnauze, der in seinem kleinen Restaurant in Kreuzberg unkonventionell französisch kocht. Dann hat Tim Mälzer aus seiner beschränkten Hamburger Perspektive noch irgendwelche Berlin-Klischees gedropt, und ich hatte meinen Ruf weg. Aber weißt du was: Im Schutze dieses Vorurteils kann ich seitdem aus meiner kleinen Küche heraus sehr gut und sehr wach auf die Welt schauen.

„All You Can Eat“: Max Strohe scheibt über notorische iPads und und Weichholzmöbel

tipBerlin: Machst du einen Unterschied zwischen dem Koch und dem Autoren Max Strohe?

Max Strohe: Wenn ich koche, wenn ich schreibe und neuerdings ja auch fotografiere, bin ich zu einhundert Prozent ich selbst. Vermutlich sogar viel mehr, als wenn ich einfach nur so Max Strohe bin. Ein Kunstfigur bin ich einzig im Fernsehen, bei „Kitchen Impossible“ und dem ganzen Quatsch. Das Problem ist nur, dass man mit einem Restaurant, mit dem Fotografieren, mit einem Buch heute kein Geld mehr verdient. Geld verdiene ich im Fernsehen, mit „Kitchen Impossible“ und diesem Zeug. Da muss ich auch bald wieder hin, weil es dem Tulus Lotrek besser gehen könnte, als es ihm gerade geht.

tipBerlin: Nervt es da um so mehr, wenn Jürgen Dollase, Gastro-Kritiker der FAZ, ausgerechnet aus einen kurzen „Kitchen Impossible“-Ausschnitt einen veritablen Shitstorm köcheln will?

Max Strohe will niemandem hinterherkochen

Max Strohe: Es ist schon seltsam, wenn einer der angeblich renommiertesten Restaurantkritiker der Republik die Instagram-Kachel eines Privatsenders mit der Wahrheit verwechselt und diese dann auch noch völlig sinnentstellt wiedergibt. Zumal Herr Dollase ja selbst ja mal im Tulus Lotrek essen war und damals die große französische Basis unserer Küche gelobt hat. Am Ende bestätigen mich solche Albernheiten aber eher darin, die Milieus  einer sogenannten deutschen Hochküche zu meiden und ihnen nicht mehr, nun ja, hinterherzukochen.

tipBerlin: Klingt da jetzt auch die Kränkung durch, noch immer nicht den zweiten Michelin-Stern bekommen zu haben?

Max Strohe: Ich ärgere mich rückblickend eher über mich selbst, diese Spielchen immer mitgespielt zu haben. Dieses permanente Sich-neu-erfinden und gleichzeitig diese ewige Redundanz, weil der Guide Michelin halt Redundanz mag. Wann war das Tulus denn richtig geil? Das Tulus war richtig geil, als du kurz nach der Eröffnung 2016 hier gegessen hat oder als Bernd Matthies damals zum ersten Mal für den Tagesspiegel da war. Das Tulus Lotrek ist geil, wenn wir alle hier machen, wofür wir wirklich brennen.

Besser schmeckt Berlin gerade nirgends: Max Strohe zaubert im Tulus Lotrek. Foto: Clemens Niedenthal

tipBerlin: Wofür brennst du? Wofür brennt das Tulus Lotrek?

Max Strohe: Wenn ich jetzt hier hundert Liter großartigstes Gulasch mache, dann lass uns dieses Gulasch einfach feiern, bis es alle ist, und bitte nicht versuchen, dieses Gulasch in noch ein bisschen besser zu reproduzieren.

tipBerlin: Ist das am Ende die große Freiheit unter den Bedingungen einer komplett medialisierten Gegenwart: der Mut und das Glück, überraschend zu bleiben?

Max Strohe: Vielleicht. Nur mögen unsere Gäste schon auch eine gewisse Verlässlichkeit, was ich ihnen nicht verdenken kann. Diese Branche ist so krisengebeutelt, dass sich die Parameter tatsächlich verschoben haben. Das größte Kompliment ist für mich im Augenblick ein glücklicher und wiederkehrender Gast, von denen wir zum Glück noch annähernd genügend haben. Das ist ein bisschen so wie bei einer schlimmen Erkältung hat oder einer Magen-Darm-Grippe: Plötzlich werden die Wünsche klein.

tipBerlin: Euer „Dirty Bistro“ war im vergangenen Sommer so eine Überraschung. Acht Sonntagmittage lang war das Tulus Lotrek jene perfekte Pariser Brasserie, die es in Berlin nie gegeben hat.

Max Strohe: Und am Ende hat sich das Ganze für uns nicht gerechnet, weil die Gäste zu wenig konsumiert haben. Dennoch bin ich dankbar für jede und jeden, die ihre Tulus-­Lotrek-Erfahrung gemacht hat.

Ich rate dazu, sich an Dingen, die man extrem lecker und geil findet, einmal so richtig zu überfressen

Max Strohe, Küchenchef im Tulus Lotrek und Autor

tipBerlin: Und doch klingt da durch: Uns ist der Restaurantbesuch zu wenig wert.

Max Strohe: Ich merke das doch an mir selbst. Ich war gerade in Los Angeles und vor ein paar Jahren hätte ich mich vielleicht durch Adressen aus dem Guide Michelin gegessen. Heute lasse ich mich durch die Straßen treiben und schaue, wo es interessant aussieht und vor allem riecht. Das ist vermutlich die aufregendere Art, eine Stadt zu schmecken. Aber auch mir wäre jeden Abend Fine Dining inzwischen schlicht zu teuer. Dabei habe ich ja den Vorteil zu wissen, wie diese Preise entstehen.

tipBerlin: Noch ein ultimativer Tipp für einen, der ja selbst auch täglich über das Essen schreibt?

Max Strohe: Ich rate dazu, sich an Dingen, die man extrem lecker und geil findet, einmal so richtig zu überfressen. Erst danach hat man einen wirklich neutralen Blick darauf. In Berlin hat mir das leider ziemlich viele Dinge entmystifiziert, nicht nur den Döner.

  • Tulus Lotrek Fichtestr. 24, Kreuzberg, Do–Mo 18.30 Uhr, online
  • Max Strohe: „All You Can Eat“, Klett-Cotta, 240 Seiten, 18 €, erscheint am 18.10.
Klett-Cotta

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