Weniger Rausch, mehr Mindful Drinking: Unser Gastro-Redakteur beobachtet, dass im Fine Dining Wert darauf gelegt wird, weniger Alkohol zu trinken. Bei Bouche Berlin in einem Marzahner Industriedenkmal gären längst Weinalternativen auf Kombucha-Basis. Auch ein Weinhändler sieht in dieser alkoholfreien neuen Trinkkultur die Zukunft. Steht eine Zeitenwende in der Gastronomie an?
Achtsamkeit als gastronomisches Kernthema
Nüchtern betrachtet trinken wir zu viel. Also zu viel Alkohol. Und noch nüchterner betrachtet könnte genau das gerade für die gehobene Gastronomie irgendwann zu einem Problem werden. Wenn nämlich das New Yorker Drei-Sterne-Restaurant Eleven Madison Park verkündet, mit einem vegetarischen Menü aus der Pandemie zurückzukehren, sagt das viel aus über eine veränderte Kundschaft, nicht nur jenseits des Ozeans.
Wer es sich heute leisten kann und will, für einen kulinarischen Abend mehrere hundert Dollar, oder eben Euro auszugeben, misst diesen Status nicht mehr an der Marmorierung des Entrecôtes oder dem Jahrgang des Bordeaux. Achtsamkeit, ein feineres Hinschmecken, ein bewussterer Umgang mit den Ressourcen und dem eigenen Körper, das sind Kernthemen des Fine Dinings geworden. Saisonalität, Regionalität, Veganismus und eben auch – weniger Alkohol.
Mindful Drinking mit Kombucha: Bakterien unter sich
Alkohol einfach weglassen. Wenn es denn so einfach wäre. In einem alten Industriequartier in Marzahn zippt sich Walker Brengel durch mehrere Proben eines rotweinroten Getränks. Und tatsächlich ist auch Wein drinnen. Dornfelder aus Rheinessen, über Wochen fermentiert und reduziert. Der Alkoholgehalt: allenfalls noch ein Promille. Und sonst: Johannisbeeren etwa, und zwar die getrockneten Blätter. Den Rest machen die Pilz- und Bakterienkulturen.
Brengel ist Teil des jungen Unternehmens Bouche Berlin, deren Kombuchas gerade zum Hipster-Softdrink der Saison avancieren. Das neue Produkt soll, nun ja, ein wenig ernsthafter werden. Es wird in französische Weinflaschen abgefüllt und auch über den Weinhandel vertrieben. In einer exklusiven Partnerschaft mit der Charlottenburger Naturweinhandlung Viniculture. „Das ist grad ein ziemlicher Hype um das sogenannte Mindful Drinking“, sagt Felix Rank, ebenfalls von Bouche Berlin, „aber vieles schmeckt zu limonadig, zu fruchtig, zu süß.“
Wie nun Novin, so heißt dieser Geist in der Flasche, schmeckt? Erdig, fast waldig, später beerig und sehr tief. Wobei für das fertige Produkt noch etwas Kohlesäure hinzugefügt wird, was es in die Nähe eines spontanvergorenen Pét Nat rückt. Dieser „NichtWein“ trägt auch über ganz kleine Schlucke. Als Essensbegleiter gibt es die neue Trinkkultur bereits im vegetarischen Cookies Cream oder im Restaurant Ernst. Auch für das neue Sommerrestaurant Gaia in Gerswalde haben Bouche eine Edition abgefüllt.
Flexitarisches Trinken
Bei Viniculture in der Grolmanstraße sprudelt derweil Muri im Glas. Perlt wie ein Pét Nat, riecht ein wenig nach Cider. Und kommt aus einer Kombucha-Manufaktur, die personell eng mit dem Kopenhagener Restaurant Noma verbandelt ist. Was solche tatsächlich handwerklich und aufwendig erzeugte Produkte kosten? Um die 20 Euro pro Flasche. Auch darum soll es ja selbstbewusst gehen: Nüchtern bleiben ist eben nicht mehr nur die billige Alternative.
So sei zuletzt noch auf den Mindful Drinking Club in der Prenzlauer Allee verwiesen, der das Undogmatische dieser neuen kulinarischen Bewegung in seinem fein kuratierten Sortiment vereint: Neben Weinalternativen auf Tee- oder Kombuchabasis gibt es dort auch ausgewählte Naturweine – oder die gehopften Fruchtsäfte von Kohl aus Südtirol.
- Viniculture Grolmanstraße 44-45, Charlottenburg, Mo–Fr 12–19 Uhr, Sa 11–19 Uhr, www.viniculture.de
- Bouche Berlin Georg-Knorr-Straße 4, Marzahn, www.thebouche.de
- The Mindful Drinking Club Prenzlauer Allee 31, Prenzlauer Berg, Sa 12–19 Uhr (und nach Vereinbarung), The Mindful Drinking Club bei Instagram, mehr Infos auf der Website
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Berlin ohne Schnaps oder Molle? Aber ja doch! Denn man kann in Berlin ganz wunderbar alkoholfrei feiern, trinken und genießen: Nüchtern gedacht. Wer in Berlin „Dry January“ – oder auch jeden anderen Monat mal trocken – begehen möchte, für den hat der „Null Prozent“-Späti ein paar Ratschläge: Nüchtern ist sexy. Und ausgerechnet im Partykiez im Friedrichshainer Süden lockt Berlins erste alkoholfreie Kneipe: Zeroliq Bar.