Stadtleben und Esskultur

Nostalgie vs. Erneuerung in der Berliner Gastro-Szene

Küchenschluss: Die gegenwärtige Aufwertung des Kulinarischen führt zum Verschwinden liebenswerter, lakonischer Alltagsrestaurants. Oder verklären wir da nur die Aromen der Nostalgie?

Der Fall Rizz Jüngere Berliner*innen, werden das Café Rizz in der Grimmstraße im Graefekiez wohl erst seit der vergangenen Fußball-WM kennen. Via Twitter hatte Wirtin Birgit Huster jedweden rechten Gedankenträgern Hausverbot erteilt und dabei die AfD explizit eingeschlossen, woraufhin André Poggenburg, damals AfD-Landeschef in Sachsen-Anhalt, wütend gegen das Rizz wetterte. Für ein paar Tage war das 1982 eröffnete Lokal so deutschlandweit in den Medien. Beliebt war das Café Rizz vor allem für seine Fußballübertragungen. Das passt: Kollektives Fußballschauen ist wohl einer der letzten Momente, in denen sich ein Kiez noch klassen- und milieuübergreifend in der Kneipe trifft. Das Rizz wurde zum 23. Dezember geschlossen. Die daraus resultierende Aufmerksamkeit in den Medien wie in den Sozialen Medien erzählt von gefühlten wie tatsächlichen Gentrifizierungsprozessen. So ist etwa auch der Mietvetrag der queeren Schöneberger Kiezkneipe Hafen zum Jahresende gekündigt worden. Foto: FA Schaap

Wieder einmal ein Lokal, das es nicht mehr gibt, und das es deshalb noch mal in unsere Wahrnehmung geschafft hat: Im Café Rizz in der Grimmstraße im Graefekiez sind die Türen seit dem 23. Dezember verschlossen. Einvernehmlich sei das Mietverhältnis beendet worden, so will es wohl nur die Hauseigentümerin verstanden wissen. Andere erzählen derweil, dass in jenem ausladenden Ecklokal Harald Martenstein oft gesehen worden sei. Und Yvonne Catterfeld.

Ein Pop-Sternchen als Kronzeugin

Yvonne Catterfeld? Ein Pop-Sternchen als Kronzeugin einer authentischen Kiezkultur? So kompliziert ist das also inzwischen mit den Gemütszuständen und Zugehörigkeitsgefühlen dieser Stadt. Wobei sich der – vielleicht sogar gerechte – Zorn auf eine zunehmende Gentrifizierung des Stadtraums eben leichter und sichtbarer an den Ladenlokalen in den Erdgeschossen abarbeiten lässt, als an den Lofts und Büros in den Etagen darüber. Erinnert sei etwa an das Neubau-Restaurant Vertikal in der neuerdings so angesagten Reichenberger Straße nahe des Kottbusser Tors, dessen Scheiben bereits während des Soft Openings vor rund einem Jahr eingeworfen worden waren – und das jedwede Tischsitten ignorierend während des laufenden Abendgeschäfts.
Die Betreiberin des Vertikal sollte schließlich kapitulieren. Nicht unbedingt vor den gewalttätigen Protesten, aber doch vor einem Kiez, der sich eben nicht alles vorsetzen lassen wollte. Eine Abstimmung mit Messer und Gabel sozusagen.

Ein paar Meter weiter die Reichenberger runter hat währenddessen das aus Japan importierte Konzeptcafé Arabica aufgemacht. Betrieben wird das gleich vom Hauseigentümer selbst, was somit die jüngste Entwicklung in der Um- und Aufwertung von Berliner Kiezen wäre: Um eine Immobilie für potente Mieter zu schmücken, liefert der Hausherr das hippe Gastro-Konzept gleich mit. Auch die leckere Kuppelofenpizzeria Zola am Paul-Lincke-Ufer gibt es wohl vor allem aus diesem Grund. Der Gründerzeitgewerbehof vis-a-vis des Landwehrkanals zählt etwa Adidas, Red Bull und die Digitalagentur Torben, Lucy und die gelbe Gefahr zu den Mietern. Allesamt Unternehmen mit jungen, hungrigen Mitarbeiter*innen.

Bowls für die Generation Y

Früher konnte man in Kreuzberg bis nachmittags um fünf frühstücken, heute verlangen Young Urban Professionals nach veganen Bowls und einer internationalen Atmosphäre, die vielleicht noch nicht Silicon Valley ist, aber eben auch nicht mehr Kreuzberg, wie es vermeintlich einmal war.

Die Kurpfalz Weinstuben, die Kohlenquelle, das Renger-Patzsch und meinetwegen sogar das Diener-Tattersall: Es ist ja nicht so, dass diese Stadt nicht doch noch Lokale kennt, die eine lange Geschichte haben, eine nonchalante „wirtshausige“ Atmosphäre (samt „wirtshausiger“ Preisgestaltung) und eine kulinarische Verlässlichkeit, die sich durchaus auch dadurch auszeichnen darf, dass nach einem Monat oder einem Jahr noch die selben Speisen auf der Karte stehen. Dass solche Orte aber vor allem in den Kiezen und Nachbarschaften von Bestand sind, in denen sich Berlin und mithin die Bewohner*innenstruktur etwas langsamer verändert, auch das ist eine so richtige wie wichtige Beobachtung.

Gentrifizierer sind die Anderen

Wenn aber, wie gerade in einem melancholischen Text auf Spiegel Online geschehen, dem „kuscheligen Biergarten Heinz Minki“ am Schlesischen Tor oder der Strandbar Kiki Blofeld am Kreuzberger Spreeufer nachgetrauert wird, dann unterschlägt diese Wehmut doch, dass auch diese Orte exklusive Spielwiesen einer spezifischen Generation und eines sehr spezifischen Berlin-Gefühls waren.

Vom „Verlust der Wohnzimmerlokale“ ist jetzt zunehmend die Rede. Und diese Rede hat zumindest insofern einen wahren Kern, als das es dem Rizz oder auch dem Heinz Minki nur peripher um die Küche ging. Und selbst die Strandbar Kiki Blofeld war zwar gewiss ein Ort der Distinktion, nur blieben Küche (welche Küche?) und auch die Getränkeauswahl von diesem Anspruch noch gänzlich unberührt. Erst mit Katerschmaus, dem legendären Club­restaurant des Kater Holzig oder meinetwegen auch mit dem Grill Royal sollte ja die Lust am Kulinarischen ins Berliner Nacht- und Szeneleben kommen.

Im neuen Kater auf dem Holzmarktgelände feiern heute die Touristen. Auch das erzählt viel von jener Sehnsucht nach Kneipen, Restaurants und Cafés, die sich die größtmögliche Mühe geben, eben keine neuen Gäste anzusprechen. Wo sich alles wandelt, will man wenigstens beim Bier und beim garantiert nicht frisch durch den Wolf gedrehten Burger von keinem auf uckermärkischen Weiden frei grasenden Rindvieh einfach mal still sitzen dürfen. Auch das ist eine Wahrheit, auch wenn die vielleicht nicht jedem schmeckt.

Soziales Theater

Gut 70 Prozent aller Kneipen- und Restaurantbesuche geschehen alleine aus sozialen Motiven heraus. So hatte es eine empirische Studie der Gesellschaft für Marktforschung bereits Mitte der 1970er-Jahre ermittelt. Daran dürfte sich auch gut 40 Jahre später nichts geändert haben. Nur, und das ist mindestens für Berlin etwas ziemlich Neues, ist inzwischen eben auch die Qualität und die Authentizität der Speisen Teil dieses sozialen Theaters.

Anders gesagt: Diese Stadt und ihre sozialen Bühnen erleben gerade einen Generationswechsel. Mal wieder. Diesen entdeckungshungrig zu gestalten, darum könnte es gehen. Man könnte etwa die Läden im Kiez unterstützen, die enthusiastisch inhabergeführt sind. Das sind definitiv mehr als noch vor zehn Jahren. Man kann aber auch einfach dort rumsitzen, wo das Bier noch nach Gestern schmeckt.

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