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Personalmangel in der Gastronomie: Der wunde Punkt sind die offenen Stellen

Der Personalmangel steht der Berliner Gastronomie im Weg. Denn der Sommer ist da und sogar die Innenräume dürfen wieder geöffnet werden. Eigentlich könnten sie also durchstarten, die vielen Restaurants, Bars und Kneipen. Alleine, es fehlt an allen Ecken an Personal, zahlreiche Stellen sind unbesetzt.

Keine Champagnerlaune: In der Gastronomie macht sich der Personalmangel bemerkbar, es fehlt es an qualifizierten Kräften.      Foto: Clemens Niedenthal
Keine Champagnerlaune: In der Gastronomie macht sich der Personalmangel bemerkbar, es fehlt es an qualifizierten Kräften. Foto: Clemens Niedenthal

Eineinhalb Jahre Auszeit für alle

Wenzel Pankratz hatte es von seinem Klempner erfahren. Also, dass er sein Forsthaus Strelitz bereits ab dem 3. Juni wieder für Übernachtungsgäste öffnen durfte. Und nicht erst Mitte des Monats. Ob der sinkenden Infektionszahlen hatte die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern umdisponiert. Und ein weiteres Mal die eigene Informationsstrategie verbaselt.

Pankratz reagierte mit nordischer Gelassenheit. Und einer unternehmerischen Entscheidung: Künftig wird sein Restaurant, das spannendste zwischen Berlin und der Ostsee, nur noch von Donnerstag bis Samstag geöffnet sein. Für die gewohnten Öffnungszeiten fehlt Pankratz schlicht das Personal. Wobei die Situation im Forsthaus Strelitz doppelt besonders ist: „Zu mir sind ja immer wieder Leute gekommen, die eine Auszeit von der Berliner Gastronomie gesucht haben. Nur hatten jetzt eben alle gefühlte eineinhalb Jahre Auszeit.“

Personalmangel in der Gastronomie: Hunderte offene Stellen

Von der Stadt aufs Land und zu Antonio Bragato ins Il Calice in Charlottenburg. In der Küche ist sein Restaurant gut aufgestellt, im Service aber fehlen ihm drei bis vier Leute. Gerade ist ein guter Kellner abgewandert – zu einem Online-Weinhändler. „Die Leute, die sich für gutes Essen interessieren, haben im Lockdown ja zwangsläufig das Internet entdeckt. Diese Firmen haben nun neues Kapital, dass sie strategisch investieren.“

Was grundsätzlich auch kein Problem sei: „Es ist ja okay, wenn jemand nicht sein Leben lang jeden Abend im Restaurant stehen will.“ Während des Lockdowns aber waren auch ihm die aggressiven Anzeigen etwa der Supermarktkonzerne aufgefallen. Die Botschaft: Die Szenegastronomie ist vielleicht cool, aber wir bieten krisensichere Arbeitsplätze.

Um zwei Beispiele aus der gehobenen Berliner Gastronomie zu nennen: Alexander Seiser, zuletzt Sommelier und Gastgeber im Bandol sur Mer auf der Torstraße, kümmert sich künftig um die Weinabteilung eines neuen Edeka-Conceptstores in Charlottenburg. Und Hagen Hoppenstedt, ehedem Mâitre im Adlon, ist in führender Position in die Feinschmeckeretage des KaDeWe gewechselt. Andere waren vielleicht Servicekraft in der Kiezpizzeria an der Ecke. Und schuften jetzt bei einem Logistiker im Gewerbegebiet. Fakt ist: Alleine in Berlin fehlen, in Teil- wie Vollzeit, rund 500 Köch:innen und noch einmal deutlich mehr Serviceleute.

Wertschätzung und Wertschöpfung

Antonio Bragato reagiert auf den personellen Engpass mit einem neuen Teamgeist, einem Miteinander auf Augenhöhe. Gerade hat man, basisdemokratisch, die Verteilung des Trinkgelds neu geregelt. Zudem war er mit seinem Küchenchef in Kampanien, hat ihn eingebunden in die Produktrecherche: „Darüber hinaus müssen wir aber gemeinsam daran arbeiten, dass unsere Branche insgesamt eine andere Wertschätzung bekommt. Wenn etwa ein Takeawaydienstleister 30 Prozent von jedem verdienten Euro einstreicht, dann kommt man als Restaurant nicht nur auf keinen grünen Zweig. Am Ende werden diese Food-Dienstleister auch unsere guten Leute abwerben – weil sie es sich leisten können.“

Das Forsthaus Strelitz wird in diesem Sommer noch einmal spannender, eigener schmecken. Wenzel Pankratz hat nun nämlich Tage mehr Zeit, sich auf seine Produkte zu konzentrieren. Fast alles, was in seinem Farm-to-Table-Restaurant auf den Tisch kommt, erntet, schlachtet und produziert er ja selbst.

Personalmangel ist für Gastronomie eine Überlebensfrage

Der einfache Gasthof im Nachbarort wird indes nur überleben, wenn er die wenigen verbliebenen Arbeitskräfte, oft aus der eigenen Familie, noch einmal härter rannimmt. Oder doch wieder auf eine Convenienceküche, auf Fertigprodukte, zurückgreift. Food-Experte Hendrik Haase jedenfalls sieht auch darin einen Food-Trend nach Corona: „Gefragt werden künftig Produkte und Konzepte sein, die im Restaurant weniger Arbeit machen. Das ist eine Nachfrage, die auch und gerade die Biobranche auf dem Schirm haben muss .“

Vielleicht also stehen wir vor der Renaissance des Selbstbedienungsrestaurants.


Mehr Berliner Esskultur

Es gibt auch gute Nachrichten – zum Beispiel spannende Neueröffnungen wie das Tante Fichte Speiselokal in Kreuzberg: Es bleibt in der Familie. Ganz frisch eröffnet hat auch die Rosinenbar THF am Flughafen Tempelhof: Neuer Sommergarten mit Kulturprogramm. Auf der Suche nach einem kalten Getränk? Kein Problem, Eiskaffee, Iced Coffee und Cold Brew in Berlin: Abkühlung mit Koffein.

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