Natur ist die neue Kultur. Mindestens ist es die neue Kulturindustrie. Längst also ist die wandersame Outdoor-Weste auch in den Büroetagen angekommen. Und die Barbourjacke, dieser Tage feiert sie ihren gefühlt fünften Frühling, ohnehin so stadt- wie forstfein. Ich bin dann mal … draußen. Und bei der Dinner-Einladung für Freunde oder Kollegen beeindruckt der selbst angebaute Mangold längst mehr als der selbst eingekaufte Hummer.
Wer indes nicht säen will, aber dennoch selber ernten: Ein feuchter August hat die Felder in den Wäldern ein erstes Mal reichlich bestellt. Und noch florierender als die Steinpilze und Morcheln, die Herings-Täublinge und Samtfußrüblinge scheint die urbane Pilzbegeisterung. „Einen echten Hype“ hat Marc Franusch von den Berliner Forsten seit den vergangenen Jahren ausgemacht: „Die Neugier und die Hinwendung zu den Dingen, die ich im Naturraum vor der Haustür finde, hat definitiv zugenommen.“
Apropos: Florieren können Pilze streng genommen gar nicht. Sie zählen, trotz ihrer „sesshaften Lebensweise“ nicht zu den Pflanzen. Müssen Vegetarier nun um ihr Pfifferlingsrisotto fürchten? Nein. Aber in der biologischen Klassifikation hat man sich darauf geeinigt, den Pilzen eine eigene Schublade einzurichten.
Darüber hinaus sind Pilze eigentlich recht durchschnittliche Typen. Ein wenig scheu vielleicht. Verstecken sich im Unterholz und im Schatten großer, dicker Bäume. Sie mögen Mischwälder oder die Übergangszonen zwischen Laub- und Nadelbeständen. Sie stehen gerne im Regen, sonnen sich aber auch ausgiebig im Septemberlicht. Beides am besten in kurzer Folge. Und nach einem ertragreichen Start in die Pilzsaison dürfte das gegenwärtig trockenere Wetter die Pilzpopulation hemmen. Aber andererseits wissen passionierte Pilzgänger: Zu einfach sollte das Vergnügen eben auch nicht werden.
Immerhin: So zimperlich wie ihre elitäre Verwandtschaft sind Pilze nicht. Wo Trüffel sensibel auf Umweltgifte reagieren und deshalb selbst im erweiterten Umkreis von Industriegebieten und erst recht Großstädten nicht vorkommen, gefällt es Steinpilz, Marone und Pfifferlingen auch in und um Berlin. Und dass sich die Körbe in der Schorfheide, im Ruppiner Land oder auf dem Hohen Fläming (drei unter Profis herumgeraunte Hotspots) dennoch üppiger füllen lassen, liegt mindestens teilweise am simplen Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Grunewald und Müggelberge, Düppeler Forst oder Rehberge liegen nun mal für dreieinhalb Millionen Menschen buchstäblich nahe. In Hauptstadtnähe gelten die Wälder rund um Falkensee noch als überdurchschnittliches Revier.“Erwarten Sie in den kommenden Wochen also keinen allzu reich gedeckten Tisch“, relativiert Marc Franusch, „das kann ein Großstadtwald einfach nicht leisten.“ Überhaupt, der Wald und die Menschen. „Für die Lebensgemeinschaft Wald“, so Franusch, beginne jetzt „eine sehr unruhige, unstete Zeit.“ Sind sie sich also nicht grün, der Förster und die Pilzsammler, der Naturbewahrer und die Naturbegeisterten? Ach wo. „Es ist ja die vornehmste Aufgabe des Waldes, uns Erholung zu geben.“ Und so geht es nicht um Verbote, sondern um eine Gebrauchsanweisung. Darum, sich, zumal in der Dämmerung, achtsam durchs Unterholz zu bewegen. Und darum, mit einem sauberen Schnitt nah am Boden nur solche Pilze zu ernten, die später auch wirklich in der Pfanne landen. „Wenn ich einen Pilz aufstöbere, der definitiv nicht in meiner Erkenntnispalette auftaucht, dann guck ich mir den auch nicht näher an.“ Ohnehin würde sich das Ökosystem Wald über jeden verbleibenden Pilz freuen, „alle, die noch in der Lage sind, ihre Sporen zu streuen, sind hilfreich“.
Und so appelliert man auch an anderer Stelle für einen wissenden und wissbegierigen Umgang mit den Pilzen. Eine ernsthafte Vorbereitung, so Daniela Acquarone vom Giftnotruf der Charitй, sei unverzichtbar. Zumal in einer Lebenswirklichkeit, in der das Wissen um die heimischen Speisepilze nicht mehr durch die Generationen getragen wird. „Was gefunden wird, wird auch gepflückt, und was gepflückt wird, wird auch verzehrt“, resümiert Acquarone, „erst dann kommen die Zweifel. Deswegen sollte man nur die Pilze mitnehmen, die man eindeutig kennt.“ Und sich für den Anfang etwa auf wenige, genau studierte Sorten beschränken, den charakteristischen Pfifferling etwa oder die auffällige Morchel. Aber Vorsicht: Die giftige Lorchel ist dieser nicht nur dem Namen nach nah.
Beim Giftnotruf übrigens arbeitet man in den Herbstmonaten intensiv mit Pilzsachverständigen zusammen. Und rät darüber hinaus, bei der Revitalisierung dieses alten Hobbys auf althergebrachte Hausmittel zu verzichten: „Kochsalz oder einen Liter warme Milch – hat man wirklich Sorge, einen Giftpilz erwischt zu haben, ist professionellere Hilfe gefragt.“
Text: Clemens Niedenthal
Illustration: Viet Hoa Le
Auf den Spuren der Sporen Lehrkabinett Teufelssee ?Pilzausstellung für vor, Pilzberatung für nach dem Sammeln. Guter Einstieg ?“in die Pilze“. Müggelheimer Damm 144, Köpenick, So 10–16 Uhr, Tel. 654 13 71
Pilzexkursion mit Experten des BUND auf der Suche nach Pilzen und Pilzwissen. Dreistündiges Seminar 12 Euro. So 14.9., 10 Uhr, Tiergartenstraße (vor der Philharmonie), Tiergarten, Anmeldung und weitere Termine unter www.pilz-seminare.de
Pilzberatungsstellen in Berlin Botanisches Museum, Königin-?Luise-Straße 6-8, Dahlem, Mo 13.30–16.30 Uhr, Fr 15.30–17.30 Uhr. ?Stiftung Naturschutz, Potsdamer Straße 68 (4. Stock), Schöneberg, ?Mo 17.30–18.30 Uhr
Handstraußregel Auch Pilze dürfen nur für den Hausgebrauch gesammelt werden. Die diesbezügliche Verordnung nennt sich Handstraußregel, übersetzt etwa einen mittelgroßen Korb.