In der Kastanienallee macht eine neue Bar so ziemlich alles richtig. Vor allem, weil das Pluto nicht behauptet, viel mehr als eine Bar zu sein. Ein Gespräch mit den Gastgebern Sören Zuppke und Vadim Otto Ursus.

Um es vorwegzunehmen: Man darf ruhig Kneipe zu dieser Weinbar sagen. Oder einfach Gastwirtschaft. Das Pluto auf der Kastanienallee ist nach dem benachbarten Produktküchenrestaurant Otto und dem Neo-Wirtshaus Trio in Mitte bereits das dritte Lokal des umtriebigen Vadim Otto Ursus. Auf die Beine gestellt hat er es gemeinsam mit Sören Zuppke, der inzwischen auch sein Partner im Otto geworden ist. Warum? Weil beide Sehnsucht hatten nach einer spontaneren, informelleren Bühne für eine zeitgenössische Gastronomie.
Es ist ein Ort mit kleinen, handwerklichen Tellern, tollen Weinen und ehrlichem Bier vom Fass. Ein Ort für die Nachbarschaft und alle, die sich gleichermaßen verbunden fühlen. Reservieren kann man nicht, dafür darf, nein, soll man sich ruhig in zweiter Reihe um den Tresen stellen. Wir empfehlen, unbedingt die Kalbszunge zu ordern.
Wird die Zukunft der Berliner Gastronomie nun also an Tresen und Stehtischen verhandelt? Nicht nur, aber immer öfter.
Vadim Otto Ursus und Sören Zuppke vom Pluto im Interview
tipBerlin Lieber Vadim, lieber Sören, an was für einem Tresen sitzen wir hier?
Sören Zuppke Das ist das Pluto, eine kleine Weinbar ums Eck vom Otto, unserem Restaurant. Ein Ort, zu dem wir fast zufällig gekommen sind.
Vadim Otto Ursus In uns arbeitete schon länger ein sehr klarer Wunsch nach einer unmittelbareren und zwangloseren Gastronomie. Gefühlt war ja bereits das Otto damals ein Schritt in diese Richtung. Weg vom Fine Dining, hin zu einer zugänglicheren Atmosphäre, in der sich auch Leute wohlfühlen, die nicht mit den Ritualen der Hochküche sozialisiert worden sind. Dennoch ist das Otto ein Ort, den man zwei, drei Wochen im Voraus reservieren muss, mit begrenzten Plätzen und einem sehr getakteten Ablauf. Das Pluto will, obwohl hier die gleichen Menschen mit denselben Produkten arbeiten, ein Stück weit das Gegenteil davon sein.
In Paris ist es schon länger üblich, dass ein Restaurant eine Bar hat
Sören Zuppke Wir kamen damals gerade zurück von einer kleinen Reise aus Paris. Dort ist es ja schon länger üblich, dass ein Restaurant ums Eck noch eine kleine Bar hat, für vor dem Restaurantbesuch, nach dem Restaurantbesuch, auch für einen langen Abend ganz ohne Restaurantbesuch.
Vadim Otto Ursus Es gibt in Berlin ja schon auch Orte, die genau so funktionieren, man quetscht sich rein, steht in dritter Reihe am Tresen und es macht richtig Laune. Hier nebenan das Schwarzsauer etwa, ich liebe es, dort hinzugehen, und es ist immer voll. Aber der Laden lebt auch davon, dass sich die Karte seit der Eröffnung quasi nicht geändert hat. Das werden wir definitiv anders halten.
tipBerlin Man darf aber ruhig auch Kneipe zu eurer Weinbar sagen?
Sören Zuppke Unbedingt, zumal darin etwas sehr Warmes und Nachbarschaftliches steckt. Als wir gerade mal zehn Tage geöffnet hatten, hatte ich gefühlt schon die ganze Kastanienallee kennengelernt.
Vadim Otto Ursus Ich bin in diesem Kiez sogar aufgewachsen und empfinde es wirklich als Geschenk, genau hier das Otto und nun das Pluto machen zu können.
Sören Zuppke Vor gut drei Jahren habe ich die Bäckerei Sofi in den Sophie-Gips-Höfen miteröffnet und gemerkt, wie sehr eine Bäckerei zum festen Bestandteil der Ernährung und einer Nachbarschaft werden kann. Ich glaube und hoffe, dass das auch auf so eine Bar wie diese zutreffen kann.
tipBerlin Nur: Wie bewahrt man die Beiläufigkeit einer Nachbarschaftsbar, wenn die halbe Stadt bereits den nächsten Food-Hype wittert?
„Wir sehnen uns nach Abenden ohne Instagram“
Sören Zuppke
Sören Zuppke Ist dem so? Ich erlebe es in meinem Freundeskreis, dass sich die Menschen gerade nach Abenden ohne Instagram sehnen, nach Authentizität. Aber Social Media ist tatsächlich eine große Herausforderung. Einerseits ist man in der Gastronomie darauf angewiesen, das Spiel mitzuspielen. Anderseits macht es auch sehr viel kaputt, weil sich die Leute gar nicht mehr wirklich auf einen Ort konzentrieren. Sie stehen mit ihrem Handy an der Bar und zeigen auf einen Post von irgendeinem Teller, den sie unbedingt haben wollen, der aber seit Monaten nicht mehr auf der Karte steht.
Vadim Otto Ursus Wie kreiert man einen wirklich komplett neuen Ort, schließlich war hier ja vorher ein Büro drin, der schön, auch cool und ästhetisch ist und der dennoch keine Barriere aufbaut zu den Leuten, die hier schon lange wohnen – das war eine zentrale Herausforderung. Ein Schlüssel war es, Fehler bewusst zuzulassen. Eine Imperfektion, die schon dadurch entstanden ist, dass wir vieles selbst renoviert haben.
Das Pluto wirkt wie eine Hommage an die klassische Gaststättenkultur
tipBerlin Auffallend ist die Patina, die der Gastraum bereits jetzt vermittelt. Das Pluto wirkt wie eine Hommage an die klassische Gaststättenkultur oder an eine mediterrane Bar.
Sören Zuppke Uns ging es darum, einen Ort zu schaffen, der irgendwie schön ist und an dem die Leute trotzdem nicht Angst haben, zu kleckern oder sich auf einen lustigen Abend einzulassen. Jeder Platz, an dem man sich im Pluto wohlfühlt, ist ein gerechtfertigter Platz, auch mal nur mit einer Pobacke auf der Fensterbank.
Vadim Otto Ursus Es hat auch viel mit der Materialität des Raumes zu tun. Was haben wir für Materialien? Im Arbeitsbereich Edelstahl, ist klar. Im Tresenbereich Zink, weil es sich der Raumtemperatur anpasst und bereits jetzt schön zu Altern beginnt. Dazu viel Holz, Spiegel fürs Raumgefühl und Gegenstände, die man aus der Gastronomie kennt, der Zapfhahn, eine Aufschnittmaschine, das Rückregal mit den Gläsern.
Sören Zuppke In den vergangenen Jahren gab es ganz im Gegenteil ja diesen extremen Hang zur Dekoration, bis hin zu Restaurants, die eher aussehen wie ein Concept Store.
Vadim Otto Ursus Gastromische Gegenstände haben ja diese spezifische Schönheit, die sich einzig aus ihrer Funktionalität ergibt.
tipBerlin So wie die Tulpe, das typische Berliner Pilsglas, in das ihr nun aber ein bayerisches Helles zapft.
Vadim Otto Ursus Mist, ertappt. Aber die Tulpe ist einfach das Bierglas, mit dem ich hier in der Nachbarschaft damals meine ersten Kneipenerfahrungen gemacht habe.
tipBerlin Noch ein Blick in die überwiegend kalte Küche: Kalbszunge oder Schweinskopfterrine klingen ziemlich rustikal.
Vadim Otto Ursus Was der Tatsache geschuldet ist, dass wir in unseren drei Läden, dem Otto, dem Trio und eben dem Pluto, oft ganze Tiere verarbeiten. Vor allem aber ist das die Küche, die ich einfach liebe. Ein spontanes Konzept wie diese Bar verträgt so eine Rustikalität leichter als ein Restaurant wie das Otto, in dem die Leute mit zwei Wochen Vorlauf vorfreudig reservieren und zumindest eine gefälligere Alternative erwarten.
- Pluto Berlin Kastanienallee 27, Prenzlauer Berg, Do–Mo ab 17 Uhr, bei Instagram
Ein Lob der Einfachheit anhand anderer Gastro-Kneipen: Das Mausi in Rixdorf ist der Wohlfühlort der Stunde. Die Rettungsaktion ist gelungen, der Tresen-Treff in Wilmersdorf hat den Charme behalten. Und der Hype ist gerechtfertigt: Zu Besuch im Pinci. Wir sind beeindruckt von der mexikanischen Küche im Comedor. Und finden: Das Anima in Friedrichshain klingt fantastisch. Berlins Food-Guide 2025: Bestellt hier unsere Speisekarte.