Fine Dining

Ein junger Küchenchef macht aus dem fehlgestarteten Cell nun eine echte Entdeckung

Man habe, so sagen es die Amerikaner, nie eine zweite Chance, einen ersten Eindruck zu hinterlassen. Einen bleibenden Eindruck hingegen schon. In diesem Sinne haben wir an diesem Abend in der Uhlandstraße ein derart erwachsenes Restaurant erlebt, dass die Erinnerung an die Aromenkrawalle eines  Evgeny Vikentev wohl als die großmäulige  Pubertät eines Ladens abgetan werden dürfen, dem wir die zweite Chance ganz unbedingt gönnen. In dieser überzeugend ausgeruhten, geradezu beiläufig spektakulären Form ist das Restaurant Cell eine unbedingte Bereicherung für Berlin

Foto: Peter Fehrentz

Die grelle Küche des russischen Starkochs ist also Geschichte. Geblieben ist der junge Australier Liam Valentine,  der schon als Sous-Chef im Tulus Lotrek für seine intuitive Handwerklichkeit bekannt war und der für sein erstes eigenes Menü nun eine derart klare,  fokussierte und, ja, auch zugewandte Sprache gefunden hat, dass man fast ungläubig noch den letzten Krümmel vom Rind von der Gabel schleckt. Krümmel deshalb, weil ein nussiges Beef-Jerky-Crumble den roh marinierten Seeteufel garniert. Dazu eine Beurre Blanc mit Kaviar und Yuzu-Würfeln. Was nach einem Wetteifern der Geschmackseindrücke klingt, erweist sich als die souveräne Synergie von sehr guten, klug eingesetzten Produkten. Genauso die geflammte Süßkartoffel mit geräuchertem Apfelmus, Majoran und Schwarzem Knoblauch: Himmel und Erde und ein fast schlafwandlerischer Umgang mit Kräutern und überhaupt dem Würzen.

Valentine misstraut dem einfach bloß Umamihaften seiner Kochgeneration. Stattdessen verleiht Estragonjoghurt dem Fleisch der Hummerscheren eine geradezu belebende Frische. Der Hummerschwanz, Hauptakteur des Ganges, ist einfach nur perfekt gegart. Und beim Pre-Dessert sorgt ein Blutorangensorbet mit Fenchelespuma unter einer mit Sternanis gespickten Eisschicht neuerlich für einen Frischekick. Nichts ist schwer an diesem Abend, den man doch auch selig gesättigt beschließt. 

Ach ja, auch das ist neu im neuen Cell: Neben dem Menü (ab fünf Gänge für 85 Euro)  gibt es jeweils angepasste Portionen künftig auch à la carte.

Für die begleitenden Weine ist dabei einer zuständig, den Berlin schon als Weinbarmann kannte. Pascal Kunert wirkte im jungen Schwein und in der späten Cordobar, findet seinen prädestinierten Platz  aber definitiv im Spannungsfeld von Glas und Teller. Berauschend, indes nie belehrend ist seine Moderation am Tisch. Die Weinkarte überzeugt mit selten gewordener Jahrgangstiefe und dem souveränen Verzicht auf bloße Statusweine und plumpe Knalleffekte.

Irgendetwas aussetzen? Allenfalls die Hintergrundbeschallung. Die nämlich war so belanglos, wie es an diesem Abend nicht ein einziger Schluck und nicht ein einziger Bissen waren.

Cell Uhlandstr. 172, Charlottenburg, Tel. 86 33 24 66, Di–Sa 18.30–22 Uhr,
www.cell.restaurant

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