Mit dem Château Royal haben die Macher vom Grill Royal, Petit Royal oder Kin Dee, Stephan Landwehr und Moritz Estermann ein spannendes neues Hotel eröffnet. Im Dóttir wagt Victoria Elíasdóttir gehobene Küche nachhaltig zu denken. Und das lustvoll, überraschend und kreativ.
Das Dóttir öffnet mit hohem Anspruch und klarem Standpunkt
Der Hauptgang ist unerhört, vor allem unerhört gut. Aber es ist auch ein bisschen unerhört, in einem Etablissement, das ja die Stoßrichtung mit seinem Namen – Château Royal – vorgibt, als Hauptgang Bohnen aufzutischen. Ausgerechnet das vermeintliche Arme-Leute-Essen schlechthin. Aber Bohnen, die geräuchert und gekocht, serviert zusammen mit Crème Fraîche und Grünkohl, Hokkaido-Kürbis und Krustentierschaum so zutiefst befriedigend glücklich machen, wie sie auch neu formulieren, wie gehobene Küche aussehen könnte.
Wenn man sich frei macht von Erwartungen und klassischen Vorstellungen dessen, was Luxus bedeutet. Und schließlich ist weniges langweiliger, als Erwartungen zu erfüllen. Noch dazu Erwartungen, die vielleicht gar nicht mehr in die Welt passen, in der wir leben. So sieht es zumindest die isländische Köchin und Gastronomin Victoria Eliasdóttir, die mit der ersten Inkarnation ihres Restaurants Dóttir Berlins Gourmetherzen eroberte. Damals, 2015, in einem der vielleicht letzten unsanierten Gebäude im Regierungsviertel.
Dóttir: Alles außer Stagnation
Das Unfertige war von Anfang an Teil des Charmes. Es war klar, dass das Restaurant eher früher als später Platz machen würde für Bauarbeiten, die das Gebäude mit reicher Geschichte aus seinem Dornröschenschlaf wecken und in ein Hotel der Luxusklasse verwandeln sollten. Und genau dort erblickt das Restaurant nun erneut das Licht. Unfertig ist aber hier nichts mehr: statt abgezogener Wände und kleiner Fläche nimmt das Dóttir jetzt einen Großteil des Erdgeschosses ein, Bar und Restaurantgasträume gehen ineinander über und bieten für jede Stimmung den richtigen Raum: festlich hell erleuchtet, mit Bistro-Atmosphäre oder lässigem Weinbar-Habitus, dunkle Ecken für ein Gefühl der Intimität, ein versteckter Chef’s Table für private Feiern, Lounge-eske Rückzugsorte. Überall hängt Kunst im Raum, von mannsgroßen Neonarbeiten, die verkünden „Hurrah die Butter ist alle“, bis hin zu kleinen Installationen, die fast übersehen werden könnten – und eben dadurch ihren Effekt entwickeln.
Wie auch im Rest des Hotels stammt die Kunst vor allem aus der Sammlung von Stefan Landwehr selbst, der als Teilhaber gemeinsam mit Moritz Estermann und eben Victoria Elíasdóttir Restaurant und Hotel leitet. „Ich bin so stark involviert, wie man nur sein kann“, sagt Elíasdottír und lacht. Stagnation war nie ihre Sache: nach dem Dóttir veranstaltete sie Pop-ups in Berlin und Reykjavík, wo sie auch erstmals mit Elena Müller zusammenarbeitete. Heute entwickelt sie mit ihr als Küchenchefin im Dóttir das Menü und das Konzept des Lokals, das eben nicht nur ein Hotelrestaurant sein soll, sondern ein Ort für die Stadt. Wie es auch schon der Vorgänger war.
Aber statt einfach nur die Nostalgie wiederaufleben zu lassen, erfinden sie die Identität des Dóttir neu: Der Fokus auf Fisch wird zurückgefahren, und auch Fleisch spielt kaum eine Rolle. „Ich möchte nachts noch gut schlafen können“, erklärt Elíasdottír. Die Welt ist eben nicht mehr die gleiche wie vor sieben Jahren. Die Meere sind leergefischt, die menschengemachte Klimakatastrophe gefährdet Landwirtschaft so wie wir sie kennen. Das bedeutet nicht, dass wir auf Genuss und Lebensfreude verzichten müssen – aber vielleicht müssen sich die Vorzeichen dafür ändern. „Ich glaube nicht, dass ich mit einem einzigen Lokal viel verändern kann“, aber nichts zu tun, das ist für Elíasdottír eben keine Alternative.
Die Bohne des Anstoßes
Und damit wären wir wieder bei den Bohnen. Die Küche im Dóttir ist nicht vegan, nicht einmal vegetarisch. Aber Fisch und Fleisch spielen eben nur Nebenrollen auf den Tellern, die im Rahmen des fünfgängigen Menüs oder à la carte aus der Küche geschickt werden. Die Stars sind das Gemüse, saisonal, lokal und voll eigenen Charakters. „Ich habe dafür gekämpft, die Bohnen auf dem Menü zu behalten“, erzählt die Isländerin. Bohnen als Hauptgericht in einem gehobenen Restaurant, das scheint ein ganz schönes Wagnis zu sein. Aber sie sind ein angemessener Höhepunkt an einem Abend, der mit aromatischen Pilzen in den Wald entführt, mit glasierten Beeten, knackigem Grünkohl und schwarzen Johannisbeeren das Feld schmecken lässt und eine Makrele mittels Trockenreifung und in Kombination mit Rinderjus in ein umami-starke Geschmackserfahrung verwandelt, die eher an Seeteufel erinnert als an den bescheidenen Küstenfisch. Wer Fleisch oder Fisch vermisst, kann das Menü um herrlich intensiv schmeckende Austern, Kaviar aus Deutschland oder Steak Tartare ergänzen. Genauso lässt es sich aber auch vegan bestellen. Flexibilität statt Dogma, Genuss statt Verzicht.
Begleiten lässt sich der Abend etwa mit Cocktails von der Bar, die direkt nach Eröffnung mit ihren kreativen Drinks und ihrer lässig-luxuriösen Atmosphäre schon eine Fangemeinde zu erspielen scheint. Aber natürlich kann man sich auch in die Hände von Alexander Brauer begeben, den man schon als Sommelier des großen kleinen Bruders Grill Royal kennen dürfte. Die Weinauswahl hält die Balance zwischen klassischen Flaschen und jungen Aufsteigern aus der Naturweinszene wie etwa Andi Weigand aus Iphofen. Wer trinklustig ist, freut sich auf viele offene Weine und natürlich wird auch Wert auf eine angemessen breite Champagnerauswahl gelegt – in der Grill Royal-Gruppe weiß man zu feiern.
Perspektivwechsel statt Gegenentwurf
Und so verhalten sich Château Royal und Dóttir zum Ursprungsrestaurant nicht wie ein Gegenentwurf, sondern eher wie eine andere Perspektive auf das gleiche Thema. Wie im Grill herrscht hier eine Atmosphäre, die bei allem Anspruch und Luxus auch loslassen lässt, ja fast gemütlich wirkt. Das zeigt sich im holzbetonten, warmen Interieur ebenso wie in der Küche, die trotz durchdachtem Überbau vor allem vom Bauch her kocht, Geschmack und Genuss in den Mittelpunkt stellt. Die Haltung, die kommt von allein.
Lokal und Restaurant sind noch gar nicht offiziell eröffnet, und doch sind schon fast alle aktuell verfügbaren Zimmer – zwei der fünf Stockwerke sind erst in Betrieb – belegt, und auch die Bar und Restaurant sind sogar unter der Woche gut besucht. „Am Wochenende hat die Bar eine richtig gute Stimmung“, sagt Elíasdóttir und scheint es selbst noch nicht ganz fassen zu können, wie schnell Berlin sein neues Schloss ins Herz zu schließen scheint. Auch Mittagessen bietet das Dóttir an, und künftig sollen auch alle Frühstück bekommen können, die nicht schon Hotelgäste sind.
- Château Royal Mittelstr. 41–44, Mitte, Mittagessen Di–Sa ab 12 Uhr, Restaurant Dóttir Mi–Sa ab 18 Uhr, Bar tgl. 12–0 Uhr, online
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