Interview

Josef Diekmann: Vom Kneipenkollektiv zur Charlottenburger Austernbar

Hausbesetzer, Kollektivkneipenwirt und ab Juli 1982 Gastgeber im Diekmann: Josef Diekmann hat seine Austernbar damals mit kaum mehr als einer historischen Ladeneinrichtung eröffnet. Neben dem Diekmann betreibt er inzwischen auch das Châlet Suisse im Grunewald – neuerdings mit einer offenen Feuerküche. Unser Redakteur Clemens Niedenthal hat sich mit Josef Diekmann unterhalten: Ein Gespräch über Charlottenburg, Spesenkonten, Zander aus dem Wannsee und 40 Jahre Gastronomie in Berlin.

Durch die Efeuranken hindurch führt der Weg in die kulinarische Welt von Diekmann. Foto: Meineke7 Gastronomie UG

Diekmanns gastronomische Reise begann mit einem Kneipenkollektiv

tipBerlin Herr Diekmann, was steht auf Ihrer Visitenkarte? Wirt? Unternehmer? Gastronom?

Josef Diekmann Die Wahrheit ist, ich hatte noch nie eine Visitenkarte. Vielleicht beschreibt ja gerade das meine Art zu arbeiten ganz gut. Gelernt habe ich aber einmal Industriekaufmann …

tipBerlin … um sich schließlich in West-Berlin vor dem Wehrdienst zu verstecken.

Josef Diekmann Ziemlich genau so. Aber West-Berlin stand für einen Jungen aus der westdeutschen Provinz ja für viel mehr. Ich lebte dann in Kreuzberg und war Teil eines Kneipenkollektivs in Moabit. Wir müssen unseren Job nicht allzu schlecht gemacht haben. Jedenfalls hat uns die Schultheiss Brauerei ob unseres Bierumsatzes irgendwann die legendäre Tiergartenquelle angeboten. Aber da hatte sich unser Kollektiv schon auseinanderdividiert.

tipBerlin Ihr Weg führte nach Charlottenburg, in die Meineckestraße.

Josef Diekmann Zunächst einmal führte er in ein alten Lebensmittelladen gleich vis-à-vis unserer Kneipe. Für 11.000 Mark, meine letzten 11.000 Mark, habe ich die Ladeneinrichtung von 1890 gekauft. Und dann in der Morgenpost eine Anzeige geschaltet: Habe eine historische Ladeneinrichtung, suche ein passendes Lokal. Gemeldet hat sich dann ein Vermieter aus der Meineckestraße, die damals bestenfalls der Hinterhof des Ku’damms war, mit sogenannten Etablissements und einem wuchtigen Parkhaus genau gegenüber unseres Lokals.

Seit einem Umbau empfängt die historische Ladeneinrichtung Gäste bereits im Eingangsbereich, der Austernbar. Foto: Meineke7 Gastronomie UG

Sterneküche in der Nachbarschaft: Eine noch fremde Welt für Diekmann

tipBerlin Immerhin gab es zwei Häuser weiter das Maître, Berlins erstes Sternerestaurant. Haben Sie Henry Levy einmal dort  besucht? 

Josef Diekmann Die Sterneküche war damals ja nicht meine Welt. Reingeguckt hätte ich aber schon gerne, das war aber quasi unmöglich. Das Lokal hatte kleine, zudem verspiegelte Fenster und war überhaupt sehr privat. Nur den dicken roten Teppich konnte man durch den Türspalt erahnen. Es hatte nichts vom großstädtischen Charme einer Pariser Brasserie, in deren Tradition ich ja auch das Diekmann sehe.

tipBerlin Gab es andere gastronomische Vorbilder?

Josef Diekmann Vorbilder nicht, aber Stammlokale, das Florian am Savignyplatz an erster Stelle. Diese Mischung aus Kiez, Künstlerkneipe und Berliner Gesellschaft und einer guten, aber nie verhoben-ambitionierten Küche war toll. Oder das Café Savigny zwei Türen weiter. Auf die Gegend um den Savignyplatz habe ich neidisch geguckt, weil sie immer ein Selbstläufer war. Interessanterweise gibt es da heute kein einziges wirklich gutes Restaurant mehr, außer der Paris Bar vielleicht und dem Le Petit Royal, wenn man es denn noch zum Savignyplatz zählt.

Seit 1982 bewirtet Josef Diekmann Gäste in seiner Austernbar. Foto: Meineke7 Gastronomie UG

„Mit der Idee, eine Art Feinkost-Deli zu machen, waren wir zehn, zwanzig Jahre zu früh“

tipBerlin Der Neid war berechtigt, ein Selbstläufer war das Diekmann zunächst nicht.

Josef Diekmann Wir wussten ja selbst nicht wirklich, wohin die Reise gehen sollte. Und mit der Idee, ausgehend von der historischen Ladeneinrichtung eine Art Feinkost-Deli zu machen, waren wir auch zehn, zwanzig Jahre zu früh. Eine richtige Restaurantküche gab es auch noch nicht, die Sicherungen flogen ständig raus. Ich habe dann töpfeweise Suppen gekocht, Suppen konnte ich gut.

tipBerlin Suppen und Austern.

Josef Diekmann Mit den Austern ging es früh los, stimmt. Ich hatte nicht viel Geld, aber wenn ich es für etwas ausgegeben habe, dann für gutes Essen. So habe ich mir die Vorstellung meines eigenen Restaurants quasi angegessen. Später habe ich auch viel von meinen Köchen  gelernt, das ist eigentlich bis heute so.

Bei Diekmann gibt es beste Qualität aus der Region in einfachem, aber noblen Ambiente. Foto: Meineke7 Gastronomie UG

tipBerlin Gab es eine goldene Ära Charlottenburgs?

Josef Diekmann Großartig waren die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung. Plötzlich waren da die ganzen Beamt:innen aus Westdeutschland, die den Osten abgewickelt haben. Die hatten  eine Goldgräberstimmung und ein Spesenkonto, da war der Laden schon mittags voll. Dann hat direkt gegenüber noch das französische Kulturkaufhaus Fnac aufgemacht. Was besseres konnte einem frankophil geprägten Restaurant wie dem Diekmann gar nicht passieren. Wir reden ja von einer Zeit, in der es ein Unding war, deutsche Weine zu trinken, das ging erst mit der Jahrtausendwende wieder langsam los. Ein Phänomen wurden die langen Samstage, wenn die Geschäfte einmal im Monat bis 16 Uhr geöffnet hatten. Danach ging West-Berlin essen, das war ein Ritual.

„Eine gute, ehrliche Blutwurst ist besser als ein schlechtes Steak“

tipBerlin Sie haben früh begonnen, mit lokalen Produzenten zusammenzuarbeiten.

Josef Diekmann Oder sie mit mir. Eines Tages in den Neunzigern hielt ein Jaguar vor dem Restaurant, ein Herr Lechler stieg aus und sagte, er würde im Wannsee und in Brandenburg Zander fischen und mir jetzt verkaufen. Die Fischerei Lechler aus Caputh ist bis heute mein Lieferant, mein Austernfischer aus der Bretagne sogar ein guter Freund. Mit ihm habe ich zehn Jahre lang auf der Grünen Woche Austern geknackt, tausend Stück am Tag. Bio-Schweine kamen eine zeitlang von meinem Bruder, ich komme ja selbst von einem Bauernhof im Münsterland.

tipBerlin Hat die Herkunft der Produkte damals überhaupt irgendwen interessiert?

Josef Diekmann Damit konnte man schon punkten, ja. Natürlich war das nicht wie heute, wo man den Namen des Bauern in die Speisekarte schreibt und jede Möhre ein gute Geschichte braucht. Aber die Leute fingen langsam an, ein Gespür dafür zu bekommen, dass eine frische und frisch gemachte Küche doch besser schmeckt und dass eine gute, ehrliche Blutwurst besser ist als ein schlechtes Steak. 

Fischerei Lechler aus Caputh beliefert Diekmann schon seit den 1990er-Jahren. Foto: Meineke7 Gastronomie UG

Für Diekmann ist Charlottenburg genau richtig

tipBerlin Bald standen Kreuzberg oder Neukölln für diese neue, ehrliche Berliner Küche. Mal überlegt, Charlottenburg zu verlassen?

Josef Diekmann Ganz kurz vielleicht. Aber ich weiß schon auch, was wir hier im Westen haben. Die Leute sind vielleicht ein wenig langsamer, was Trends angeht und ein wenig ehrlicher und kritischer die Qualität betreffend. Wenn man sie aber überzeugt hat, sind sie absolut loyal. Und außerdem, als ich so ein bisschen rumüberlegt hatte, war Charlottenburg plötzlich zurück. Ich zumindest habe gerade wieder das Gefühl, hier genau richtig zu sein.

  • Diekmann Meinekestraße 7, Charlottenburg, Di–Sa 12–23 Uhr, feiertags ab 18 Uhr, Tel. 030/883 33 21, online

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