Auf der Auguststraße kocht Chaitanya Singh seine Biografie: Currywurst mit indischen Gewürzen, Ricotta di Bufala im Tikka Masala und ziemlich unschwäbische Maultaschen. Ein Besuch im auferstandenen Kreuz + Kümmel
„Ich habe diesen Freund…“ – so oder so ähnlich beginnen viele Geschichten, die Chaitanya Singh erzählt, wenn man ihn in seinem Restaurant Kreuz + Kümmel trifft. Mal ist es ein Niederländer, von dem er sich zu einer Vorspeise, auf niederländische Art frittierte Fischnuggets gepaart mit bengalischer Senfsauce, inspirieren lässt. Mal seine schwäbischen Nachbarn im Prenzlauer Berg, die für seine Antwort auf schnöde Maultaschen Pate standen. Mal ein italienischer Bekannter, von dem er sich Ravioli abguckte. Essen, das ist ja auch nichts anderes als Kommunikation und vor allem die schönste Form der Völkerverständigung. Warum also nicht schwäbische Teigtaschen mit Tandoori-Hühnchen füllen? Oder italienische Pasta mit dem kulinarischen Stolz Kaschmirs, Lamm Rogan Josh? Wenn Singh dann erzählt, wie besagte Menschen auf seine kulinarischen Interpretationen reagiert haben, lächelt er verschmitzt. Alles eine kleine Frechheit, alles eigentlich ein großer Witz. Aber ein ausnehmend köstlicher – und aufwendiger.
Denn Singh ist auch ein Perfektionist. Das Lamm schmort erst einen Tag, bevor es in die hausgemachte Pasta gefüllt wird. Die Wurst für seine Interpretation einer Currywurst wird ebenfalls selbstgemacht. Wie überhaupt fast alles auf der Karte, vom Popcorn aus Lotussamen, über die Chutneys, die jedes eine Region symbolisieren, aus der ein Teil seiner Familie stammt, bis hin zum fluffig-hefigen Fladenbrot mit Safran und masalagewürzter Brioche. Ein bisschen Wahnsinn gehört eben schon dazu, wenn man einen Ort wie das Kreuz + Kümmel erschafft. Und ein ganzes Stück Lebenserfahrung.
Der gelernte Hotelfachmann aus Kalkutta hat, so erzählt er, so ziemlich alles in seinem Leben mitgenommen. Bis er sich vor fast zehn Jahren in eine deutsche Diplomatin verliebte, die es in seine Stadt verschlagen hatte. Sie heirateten, er folgte ihr nach Berlin und baute hier mit zwei Partnern ein Cateringbusiness auf. Eine Weile spielte er dann bei den ganz Großen mit – und verlor alles. Was ihn aber nicht davon abhielt, das nächste gastronomische Projekt zu starten: die erste Version des Kreuz + Kümmel und der erste Spielplatz für sein ganz eigenes Verständnis von Authentizität. Nicht irgendwelchen von außen zugeschriebenen Idealvorstellungen eines Spielfilm-Indiens entsprechend, sondern eben ein Ort für eine Küche, die sein Leben, seine Familie, seine Erfahrungen und seine Bekanntschaften reflektiert.
Ein verschmizter Scherz
Dreieinhalb Jahre führte er das Bistro in Prenzlauer Berg, erkochte sich mit der indischen Currywurst eine ergebene Fangemeinde, und arbeitete sich nah an den Burnout. Eine Pause musste her, Kraft tanken, neu orientieren. Aber ganz konnte Singh es nicht lassen und baute nach einigen Monaten Pause das neue Kreuz + Kümmel auf. Diesmal aber mit einem in der Gastro-Welt eher ungewöhnlichen Partner an der Seite: die Berliner Stadtmission. Die gemeinnützige Organisation betreibt das Hotel, in dessen Erdgeschoss Singh mit seinem Restaurant gezogen ist, sie unterstützen ihn bei der Buchhaltung und der organisatorischen Seite des Restaurants, dafür übernimmt er den Frühstücksservice für das Hotel.
Wenn man ganz genau hinschaut, merkt man auch, dass die Räume mal die Hotellobby waren. Jetzt in ein tiefdunkles Blau getaucht, fügt sich der Laden gut in die immer noch hippe Auguststraße ein. In der Ecke prasselt ein Feuer und an den Säulen sind Illustrationen gemalt, die auf den ersten Blick nach Indien deuten. Ganz ohne Klischees geht’s auch nicht, möchte man denken, bis man genauer hinschaut: nicht das Taj Mahal und die Tempel Goas sind das, sondern das Rote Rathaus und der Berliner Dom sind hier in trauter Einigkeit mit Pfauen, Tuktuks und Elefanten gemalt. Wieder so ein wilder Mix von Singh, und wieder so ein verschmitzter Witz.
Kreuz + Kümmel Auguststr. 82, Mitte, Di–Sa 17–0 Uhr, www.kreuzundkuemmel.de