Gastronomie

Michelberger Hotel & Restaurant: Zimmer mit (Zukunfts-)Aussicht

Nadine und Tom Michelberger haben ihr Hotel an der Warschauer Straße beinahe leise zu einem in vielen Aspekten achtsamen Ort gemacht. Mit großem Vertrauen in ihre Mitarbeiter:innen – und in das kreative Potenzial dieser Stadt. Für unseren großen Bericht über Berlin als Zukunftslabor für unser Ernährung im tipBerlin haben wir das Hoteliers-, Gastronomen- und neuerdings auch Landwirt-Paar gesprochen.

„Zeit nehmen und auf die Menschen vertrauen“: Tom und Nadine Michelberger im Innenhof ihres Hotels mit eignem Restaurant an der Warschauer Straße in Friedrichshain.
„Zeit nehmen und auf die Menschen vertrauen“: Tom und Nadine Michelberger im Innenhof ihres Hotels mit eigenem Restaurant an der Warschauer Straße in Friedrichshain. Foto: Saskia Uppenkamp

Nadine und Tom Michelberger haben die große Bühne gemieden

Tom Michelberger erinnert sich noch gut an den Tag, an dem er von seinem Getränkehändler ausgelacht wurde. Dabei ist das nun schon zehn Jahre her. Der junge Hotelier hatte keine Lust mehr auf die großen Marken und die austauschbaren Fernsehbiere, die Sonnenschirme mit dem Werbeaufdruck. Wie er sich das denn vorstellen würde, die ganze Logistik, die Gratiskühlschränke, dazu noch die großzügigen Rückvergütungen der Getränkeindustrie. In drei Wochen, spätestens in drei Wochen, würde er sich eh wieder melden. Tom Michelberger hat seinen Getränkehändler nie wieder angerufen.

Und kurze Zeit später hatte man mit dem „Mikkelberger“, gebraut von der damals ziemlich heißen Kopenhagener Microbrauerei Mikkeler, sogar ein eigenes Bier im Ausschank. Mit dem Kokoswasser „Fountain of Youth“ kam später auch ein Softdrink hinzu.

Das man das Michelberger Hotel und das zugehörige, schon lange sehr wunderbare Michelberger Restaurant dennoch lange nicht auf dem Schirm hatte, wenn vom neuen kulinarischen Berlin die Rede war, von der regional-saisonalen Küche und gleichzeitig jener neuen, befreienden Internationalität, das lag vor allem daran, dass Nadine und Tom Michelberger die große Bühne lange gemieden haben.

Lässiges, aber niemals nachlässiges Großstadthotel – mit wunderbarer Weinbar.
Lässiges, aber niemals nachlässiges Großstadthotel – mit wunderbarer Weinbar. Foto: tipBerlin Archiv

Stattdessen verfeinerten sie lieber ihr Konzept eines lässigen, niemals nachlässigen Großstadthotels. Ein weltläufiger, gerade weil auch sehr berlinerischer Ort für Gäste, die keine Statussymbole brauchen. Ein Hideaway – an einer der Haupstschlageradern der Berliner Nacht, der Warschauer Brücke. „Obwohl“, interveniert Tom Michelberger, „mein Vater sagt heute noch, er gehe dann mal in die Stadt, wenn er über die Spree gen Kreuzberg schlendert.“

Michelberger Hotel & Restaurant: Wurzeln schlagen

Nadine und Tom Michelberger fahren jetzt häufiger aufs Land. Bei Vetschau, im südlichen Spreewald, haben sie einen Bauernhof gekauft. Schon vor Corona. Eineinhalb Hektar Land, das bereits im dritten Jahr nach den Prinzipien der Permakultur und des Forest Gardenings bewirtschaftet wird. So wachsen junge Buchen und Birken zwischen den gut 800 Obstbäumen. Viele davon alte Sorten.

In ein paar Jahren werden diese Beibäume dann untergeharkt und sorgen für eine neuerliche Humusbildung. Vor allem aber bilden ihre Wurzeln ein kommunikatives Netzwerk. Wie Gärtner Julian Zuth, eigentlich war der mal der Sous-Chef im Michelberger Restaurant, den Garten ohnehin als ein holistisches System betrachtet. Eines, das ziemlich köstlich ist, was bereits am Abend vorher im Michelberger Restaurant zu schmecken war. Der Clou: Statt täglich neue Speisekarten auszudrucken, kommt der Service einfach mit einem Tablett der erst am Morgen geernteten, frischen Produkte an den Tisch. Anschaulich. Appetitanregend.

Das Michelberger Hotel & Restaurant knüpft Netze

Dass die Michelbergers plötzlich oft und offen über ihre Arbeit – und ihre Visionen – reden, das sei, so Nadine Michelberger, auch das Ergebnis der vergangenen 18 Monate: „In der Pandemie haben wir plötzlich gemerkt, wie wenig Gehör unsere Branche findet. Es ging um die Autoindustrie, die Luftfahrt, aber das Gastgewerbe fand quasi nicht statt.“ Also haben sie selbst Netze geknüpft.

In der „Gemeinschaft“ etwa, einem ursprünglich vom Restaurant Nobelhart & Schmutzig initiierten Zusammenschluss von Restaurants, Bauernhöfen und Produzent:innen mit einer Sehnsucht nach einer neuen Nähe, zu den Produkten und in den Beziehungen. Und: Sie haben Tempo rausgenommen. Haben den Druck dieser Ausnahmesituation nicht an ihr Team durchgereicht: „Ich glaube schon, dass da gerade etwas Gutes wächst“, sagt Nadine Michelberger, „wir haben alle die selben Erfahrungen gemacht und es steigt die Bereitschaft, achtsam zu handeln. Die Formen werden sich finden, jetzt geht es erst einmal darum, sich Zeit zu nehmen und auf diesen Prozess zu vertrauen – und auf die Leute, mit denen man arbeitet.“

Michelberger Alan Micks Hotel Restaurant Friedrichshain
Ein eingespieltes Team: Nadine und Tom Michelberger und Küchenchef Alan Micks. Foto: Saskia Uppenkamp

Die Leute, mit denen man arbeitet: Im Michelberger Restaurant ist das etwa Küchenchef Alan Micks, der im vergangenen Jahr auch noch das Ora Restaurant am Oranienplatz eröffnet hat, gemeinsam mit Nadine und Tom Michelberger und der Natur-Weinfrau Emily Harman, die auch für das Michelberger die Weinkarte schreibt. Micks und Harman hatten die Idee für eine vollmundige, produktbasierte Küche, zu der man in Cornwall oder London vermutlich Gastro-Pup sagen würde. Und das in einer historischen Apotheke, einem der schönsten Gasträume der Stadt.

Dafür arbeitet im Michelberger nun auch Andreas Rieger, den man noch aus dem Einsunternull kennen könnte und der prototypisch für jene neue Generation Berliner Kulinariker:innen steht, denen das Suchen und Finden eines Produktes mindestens so wichtig ist, wie das, was später in der Küche damit passiert. Das, was dort passiert, so viel sei an dieser Stelle gesagt, ist so naheliegend wie köstlich.

Und es passt in diese Stadt im Jahr 2021. In ein Berlin, das den Mut hat, den Status Quo des Kulinarischen immer wieder zu hinterfragen. „Das Improvisierte, Kreative“, so Tom Michelberger, „steckt doch immer noch in der DNA Berlins. Das lässt sich auch nicht mit zehn Jahren Startup-Kultur auswaschen.“

  • Michelberger Restaurant Warschauer Straße 39, Friedrichshain, Di–Sa ab 18–22 Uhr, Hotelbar bis 2 Uhr, www.michhelbergerhotel.com
  • Ora Restaurant Oranienplatz 14, Kreuzberg, Di–Sa 17.30–23 Uhr, www.ora.berlin

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