Interview

Scirocco-Küchenchef Nadav Kundel: „Bloßes Fine Dining hat mich früh gelangweilt“

Nadav Kundel ist aus Tel Aviv nach Berlin gekommen. Und serviert als Küchenchef des Scirocco im ehrwürdigen Hotel Bristol am Kurfürstendamm eine im Alten Westen zuletzt rar gewordene lässige Weltläufigkeit.

Scirocco-Küchenchef Nadav Kundel: „Ich will die Gäste nicht verschrecken, ich will es ihnen aber auch nicht zu einfach machen.“ Foto: Clemens Niedenthal

Nadav Kundel: Von Tel Aviv in die Heckmann-Höfe und an den Kurfürstendamm

tipBerlin Nadav Kundel, zunächst einmal Glückwunsch zu einem Restaurant, das sich der Aufgabe stellt, den Kurfürstendamm endlich wieder zu beleben, kulinarisch und genauso atmosphärisch. Sie sind vielleicht noch zu kurz in der Stadt, um die vibrierende Geschichte dieser Straße zu kennen, und genauso ihre manifesten Krisen.

Nadav Kundel Sagen Sie das nicht. Ich habe mir den Kurfürstendamm über lange Spaziergänge erschlossen, genauso über Bilder und Bücher. Ich weiß um die Rolle, die das Hotel Bristol, das ehemalige Kempinski, in West-Berlin gespielt hat. Außerdem wohne ich, seit ich in Berlin bin, hier in der Nachbarschaft. Geschichte ist aber das eine, jedes gute Restaurant ist immer ein gegenwärtiger Ort.

tipBerlin Ist es am Ende für ihre Küche also gar nicht so wichtig, wo in der Stadt Sie sie servieren?

Nadav Kundel Ganz im Gegenteil. Jeder Kiez, jede Nachbarschaft in Berlin ist anders und genauso sind es ihre Restaurants. Neukölln, Kreuzberg, Mitte, ich glaube, wenn man ausgeht, merkt man diese Unterschiede intuitiv. Ich bin vor vier Jahren als Küchenchef des Night Kitchen in den Heckmann-Höfen aus Tel Aviv nach Berlin gekommen. Auch dort ging es um eine mediterrane Küche mit Einflüssen der Levante. Dennoch sind die Orte, damals das Night Kitchen, nun das Scirocco und das Papillon am Bahnhof Zoo verschieden. So verschieden, wie es auch Mitte und Charlottenburg sind.

In einem typischen Fine-Dining-Restaurant liegt die ganze Aufmerksamkeit auf den Tellern. Aber das ist etwas, das mich schon in Tel Aviv schnell gelangweilt hat.

Nadav Kundel

tipBerlin Das Papillon war Ihr erstes Projekt für die Peak Hospitality Group: ein Casual-Dining-Restaurant, in dem der Abend gerne  in einer Party mündet. Verträgt sich diese Betonung der Atmosphäre mit Ihrem Anspruch als Koch?

Nadav Kundel Ich würde sogar sagen, dass das auch mein Anspruch ist. In einem typischen Fine-Dining-Restaurant liegt die ganze Aufmerksamkeit auf den Tellern. Aber das ist etwas, das mich schon in Tel Aviv schnell gelangweilt hat. Ich wollte immer in Restaurants arbeiten, denen das gesamte Paket – die Kulinarik, die Atmosphäre, die Tischgesellschaft und auch eine gewisse Lässigkeit – gleichermaßen entscheidend ist.

tipBerlin Deswegen gibt es hier im Scirocco also Steak Frites und Büffelmilcheis?

Nadav Kundel Genau. Wir servieren diese vordergründig simplen Gerichte, Steak Frites oder eine Seafood-Pasta. Ich will die Gäste nicht verschrecken, ich will es ihnen aber auch nicht zu einfach machen. Verkürzt gesagt gibt es im Scirocco eine mediterrane Küche mit einem Boost durch die Einflüsse der Levante. Ich möchte Teller, an die man sich lange erinnert, ohne dass es dafür ein Spektakel braucht.

tipBerlin Führen Sie das bitte einmal aus.

Nadav Kundel Die Seafood-Pasta ist  ein gutes Beispiel. Ich benutze in der Hummerbisque Amba, eine israelische Würzpaste aus fermentierter Mango. Zu viel davon würde es einfach zu einem Amba-Gericht machen, behutsam eingesetzt wird der Teller aber ungeheuer umami. Oder unsere Butter aus aufgeschlagenem Knochenmark, die wir auf einem Toast servieren: Rosenwasser gibt ihr etwas ungeahnt Leichtes.

Mediterrane Küche, levantinischer Boost: gedeckter Tisch im Scirocco am Kurfürstendamm. Foto: Scirocco
Mediterrane Küche, levantinischer Boost: gedeckter Tisch im Scirocco am Kurfürstendamm. Foto: Scirocco

tipBerlin Lernt man so etwas in Tel Aviv?

Nadav Kundel Das ist das Glück, wenn man in Tel Aviv aufwächst. Israel ist ein Einwanderungsland mit allen, wirklich allen erdenklichen Einflüssen. Die Familie meiner Mutter kommt aus dem heutigen Iran, die Familie väterlicherseits aus Polen. Es gibt hervorragende französische Restaurants in Tel Aviv, hervorragende italienische … – die Menschen kochen aus ihrer Biografie, ihrer Herkunft heraus. Wenn sie das mit Stolz machen, wird es zu 90 Prozent gut. Ich will nicht für ganz Israel sprechen, aber Tel Aviv ist ein ziemlich produktives Mischmasch der Kulturen.

tipBerlin Wo in Berlin gehen Sie gerne essen?

Nadav Kundel Die ganzen Restaurants von The Duc Ngo auf der Kantstraße machen einen fabelhaften Job, ich mag die Torbar und noch immer das Night Kitchen, was ich jetzt nicht nur sage, weil ich dort Küchenchef war. Wenn man wie ich zwei kleine Kinder und dazu noch zwei junge Restaurants hat, gehört zur Wahrheit aber auch, dass es eine lange Liste an Berliner Food-Spots gibt, in denen ich bisher noch nicht war.

tipBerlin Welches Gericht ist für Sie typisch deutsch?

Nadav Kundel Mineralwasser mit Kohlensäure. Meine vierjährige Tochter meint das zumindest, und will deshalb gerade nur noch Sprudelwasser trinken.

tipBerlin Und welches israelisch?

Nadav Kundel Schnitzel! Wobei man wissen muss, dass israelische Schnitzel per se Hähnchenschnitzel sind und das israelische Hähnchenschnitzel nichts mit dem zu tun haben, was hier im Supermarkt als solches verkauft wird. Es ist frisch vom Knochen gelöstes Fleisch und erst in der Pfanne plattgedrückt. Wenn man zum ersten Mal ins Scirocco kommt, würde ich das Schnitzel wählen.

  • Scirocco Brasserie Kurfürstendamm 27, Charlottenburg, tgl. 6.30–24 Uhr, Website
  • Papillon Hardenbergplatz 15, Charlottenburg, Di–Sa ab 18 Uhr, Website

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