„Europas Koch des Jahres“ darf sich Sebastian Frank nun nennen. Das aber beeindruckt den Gastgeber des mit zwei Michelin-Sternen gekürten Restaurant Horváth so wenig, wie man ihn ohnehin für seine Bodenhaftung schätzt
Herr Frank, Sie kommen gerade von der MadridFusion zurück, einem der wenigen wirklich ernstzunehmenden europäischen Gastro-Kongresse. Dort wurden Sie zu „Europas Koch des Jahres“ gekürt. Schon die Bodenhaftung verloren?
Sebastian frank: Ach, wo. Die Frage nach dem besten Koch bleibt doch so obsolet wie jene nach der besten Musik oder der schönsten Farbe. Da liegt vieles im Auge des Betrachters. Was mich gefreut, ja, tatsächlich berührt hat, ist, dass ich eine Jury, die nachweislich weiß, wovon sie redet, emotional bewegt habe.
Muss es einer herausragenden Küche heute genau darum gehen: um Emotionalität?
SF: In einer globalisierten Welt, in der man alle Aromen überall organisieren kann, ist genau dieser internationale Stil endgültig uninteressant geworden. Die Leute wollen heute individualisierte Geschichten, sie wollen sich berühren lassen. Umso mehr man diese Erzählung herunterbricht, von der österreichischen Küche auf eine regionale Küche und am Ende auf eine, meine Person, umso unmittelbarer kann diese Erfahrung werden.
Woher dieser Mut, die Chuzpe, so ganz und gar von sich selbst zu kochen?
SF: Ich habe im Horváth ja auch klassisch angefangen, gehobene österreichische Küche mit dem einen oder anderen internationalen Produkt, Gänsestopfleber etwa oder Olivenöl. Nach einem halben Jahr habe ich innegehalten und mich gefragt, was ich da eigentlich mache. Was hat das mit mir zu tun? Heute würde ich sagen, ich kann gar nicht mehr anders kochen als radikal aus meiner Biografie heraus.
Noch vor gar nicht langer Zeit wurde ja nur Sternekoch, wer lange genug Sous-Chef in einer Sterneküche war.
SF: Genau. Früher gelang das meist nur durch Inzest in der eigenen Szenerie. Durch den Stallgeruch. Heute erlebst du in Berlin, aber auch in einem Laden wie dem Sosein bei Nürnberg Leute, die sich mit einem guten Gespür und den richtigen Fragen an unser Essen und unser Essverhalten autodidaktisch entwickeln. Ich habe in meinem Werdegang zwar das renommierte Steirereck in Wien drinnen – aber darüber hinaus habe ich mich ja auch so ziemlich selbst hingewurtschtelt.
Und doch scheint jemand für Ihre kulinarische Identität elementar zu sein: Ihre Mutter.
SF: Ach, meine Mutter ist jetzt auch nicht die beste Köchin. Aber sie hat alleinerziehend drei gefräßige Söhne groß gezogen, indem sie frisch gekocht hat. Wichtig war also nicht, wie gut meine Mutter gekocht hat. Prägend war, dass sie gekocht hat und dass ich so die regionale österreichische Küche mitbekommen habe.
Darum geht es der „Essenz meines Lebens“, einer im Wortsinne autobiografischen Kraftbrühe. Erklären Sie kurz diesen Gang.
SF: Mir ging es darum, Orte meiner Kindheit und Jugend, denen ich emotional sehr verbunden bin, in Produkte und letztlich in einen Geschmack zu übersetzen. Da wäre Bruck in Niederösterreich, umgeben von Feldern –
daraus abgeleitet der geröstete Weizen. Dann das Burgenland und mit ihm die Nähe zu Ungarn, Paprikapulver. In der Steiermark hatte meine Tante ein Haus, von dort habe ich Alpenquellwasser mitgebracht und Steinpilze gesammelt. Und zuletzt aus Wien das Schulterscherzel, ein zentrales Fleischstück der klassischen österreichischen Küche.
Nun behaupten ja gerade viele, wenn nicht radikal lokal, so doch irgendwie hiesig, saisonal und produktbezogen zu kochen.
SF: Die österreichische Küche, an der mein Herz so sehr hängt, ist ja eine Küche, die sich aus dem Bauerntum entwickelt hat. Die Leute hatten nichts und haben aus allem irgendwas gemacht. Es ist also durchaus richtig und wichtig, wenn sich jetzt auch hier in Berlin die Leute wieder fragen: Was haben wir? Was gibt es? Wie können wir damit arbeiten? Aber wenn wir dann weiterhin lieber diese asiatische Fusionsküche betreiben, keine Speisekarte mehr ohne Miso, Dashi und Bonito, alles wird gepuscht und übertönt mit diesen Umami-Bomben, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir zu keinem kulinarischen Fußabdruck Deutschlands kommen.
Zu diesem Fußabdruck gehört – etwa im mit Ihnen freundschaftlich verbundenen Nobelhart & Schmutzig – der konspirative Verweis auf die Produzenten und Lieferanten. Warum verzichten Sie darauf?
SH: Nur ein Beispiel: Unser größter Gemüselieferant ist Bauer Zülz aus der Wustermark – den habe ich eines Morgens hier gegenüber auf dem Markt am Maybachufer gefunden. Diese Normalität will ich zurück ins Horváth holen. Vereinfacht gesagt will ich nicht aus dem Bauern einen Star, sondern auch aus einem Zwei-Sterne-Restaurant einen Ort machen, in dem es einfach um einen gelungenen Abend bei intuitiv begreifbarem Essen in einer guten Atmosphäre gehen soll.
Der Nahrungsaufnahme ist also die Alltäglichkeit abhanden gekommen?
SH: Ich habe das Gefühl, dass Essen zunehmend in eine Hysterie abgleitet. Entweder nur noch Paleo, Chiasamen, Superfood – oder aus dem Discounter tütenweise Schweinefleisch für 4,99 das Kilo. Dazwischen gibt es nichts mehr.
Sie leben in Französisch Buchholz, gerade haben Sie ein Aroma aus dem Holz der Walnussbäume in Ihrem Garten für einen Nussstrudel extrahiert. Wie ist die kulinarische Lage an Berlins Rändern?
SH: Katastrophal. Ich würde gerne mit meinen Kindern auf ein Schnitzel oder was auch immer gehen, weil ich schon finde, dass sie einen Restaurantbesuch als etwas Alltägliches kennenlernen sollten. Aber im Umkreis von 30 Minuten gibt es da nichts. Also koche ich auch zuhause selbst – mit dem lustigen Nebeneffekt, dass ich so wieder auf ganz pure Aromen komme. Der Mut, sich der Banalität hinzugeben, einen Palatschinken zu servieren, der entsteht in genau solchen Momenten.
Sebastian Frank
kam 2010 ins Horváth am Paul-Lincke-Ufer. Schon im ersten Jahr gab es einen Stern, 2015 kam für eine inzwischen gemüsegrünere und vor allem konzentriertere Küche ein zweiter dazu. Neben der Blutpraline ist so der in Salzteig gereifte Sellerie eines seiner Signaturgerichte. Der 37-Jährige ist der Bauchkoch unter den jungen radikal regionalen Berliner Küchenchefs. Mit dem Nobelhart & Schmutzig, dem Ernst und Lode & Stijn hat er sich im vergangenen Jahr zur „Gemeinschaft“ zusammengeschlossen, einer Art Interessensgemeinschaft für kulinarische Zeitgenossenschaft.
Restaurant Horváth,
Paul-Lincke-Ufer 44a, Kreuzberg,
Mi-So 18.30 Uhr,
www.restaurant-horvath.de