The Duc Ngo, der König der Kantstraße, hat den kulinarischen Wandel Berlins begleitet und geprägt wie kein zweiter Gastronom: von Ramen zu Sushi zur Pho, von Charlottenburg nach Mitte und zurück. Gut möglich, dass er sich bald den Erbseneintopf vorknöpft. Unsere Autorin Jane Silver hat sich mit The Duc Ngo über die Entwicklung von asiatischer Gastronomie in Berlin, kulturelle Aneignung und Sterneküche unterhalten.
The Duc Ngo zog Ende der 1970er-Jahre mit seiner Mutter und seinen Geschwistern aus Vietnam nach Berlin und bald nach Charlottenburg. 1999 eröffnete er das Kuchi auf der Kantstraße, ab 2016 folgten dort das Madame Ngo, das Ryōtei 893, das Funky Fish und das Ngo Kim Pak. Hinzu kommen auch noch die beiden Cocolo Ramen und das Golden Phoenix in Wilmersdorf. Ende 2022 soll dann das Le Duc eröffnen, The Duc Ngos Version eines Fine-Dining-Restaurants.
Früher musste The Duc Ngo asiatische Küche noch erklären
tipBerlin Vergegenwärtigen wir uns einmal das Berlin der Jahrtausendwende. Wo stand die Stadt damals kulinarisch? Und welche Rolle spielte Duc Ngo dabei?
The Duc Ngo Kurz nach der Jahrtausendwende habe ich das Kuchi II eröffnet, in einem wunderschönen Hof in der Gipsstraße zwischen lauter Kunstgalerien. Es war eine aufregende Zeit. Wir zogen vom Westen in den Osten, weil der Osten der Ort war, an dem alle sein wollten. All die kreativen Leute waren da, junge Reisende aus der ganzen Welt.
tipBerlin Das perfekte Publikum für Ihre Küche.
The Duc Ngo Richtig, ich musste sie nicht überzeugen. Im Kuchi in der Kantstraße musste ich den Leuten beibringen, wie man asiatische Fusionsküche isst, aber in Mitte kannten sie das bereits. Viele Leute kamen aus den USA, sie waren Berlin kulinarisch gesehen etwa zehn Jahre voraus. Sie schätzten das Essen, aber auch die Atmosphäre. Es war keine gehobene Küche, sondern sehr cool und leger.
tipBerlin Als ich vor zehn Jahren aus den USA nach Berlin gezogen bin, hat Berlin gerade erst die Burger und das Craft Beer entdeckt. Aber die Szene holt auf, nicht wahr?
The Duc Ngo Ja, sie ist jetzt ganz anders. Das Internet, Instagram und Facebook haben das Kulinarische rasant und radikal verändert.
Ramen hat sich in Berlin erst im letzten Jahrzehnt entwickelt
tipBerlin Wie haben Sie herausgefunden, für welche Art von Essen Berlin bereit war?
The Duc Ngo Es war mir immer egal, ob Berlin bereit war. Es ging um mich, um das, was ich erlebt und gegessen habe – was ich irgendwo gegessen habe. Als ich zum Beispiel in Japan unterwegs war, habe ich jeden Tag Ramen gegessen. Die haben so viele Geschmacksrichtungen und Aromen, da habe ich mir gedacht: Warum gibt es in Berlin keinen guten Ramen-Laden?
tipBerlin Also haben Sie 2007 das Cocolo eröffnet, als „Ramen“ in Deutschland noch kleine Päckchen mit getrockneten Nudeln bedeutete.
The Duc Ngo Das stimmt. Aber all die jungen, internationalen Leute, die bereits über die japanische Küche Bescheid wussten, dachten: „Oh, endlich gibt es hier richtige Ramen.“
tipBerlin Und jetzt gibt es überall Ramen.
Berlin als Schnittstelle für Küche aus aller Welt
The Duc Ngo Eine der größten Veränderungen zu damals ist, dass es jetzt in Berlin alles gibt. Es kommen immer mehr talentierte junge Köche hierher, eröffnen ihre eigenen Restaurants und versuchen ihr Bestes, in Neukölln oder Kreuzberg oder sogar hier in Charlottenburg.
tipBerlin Die Tatsache, dass die Kantstraße jetzt so eine aufregende Food-Destination ist, das wäre definitiv nicht ohne Sie passiert.
„Ich finde, inzwischen ist Mitte ein wenig öde“
The Duc Ngo Als wir 2016 das Madame Ngo eröffnet haben, war das wie ein Neustart für den Westen. Ich habe ja selbst 13 Jahre lang in Mitte gewohnt und dachte, der Westen sei so langweilig, so altmodisch. Jetzt ist es anders. Jetzt fahren die Leute aus dem Prenzlauer Berg hierher, nur um in der Kantstraße abzuhängen – das ist eine große Sache. Ich finde, inzwischen ist Mitte ein wenig öde.
tipBerlin Ist nicht Neukölln inzwischen der spannendste Food-Kiez?
The Duc Ngo Einspruch. Klar gibt es diese aufregenden, kleinen Restaurants, das ist cool, aber … es ist immer das Gleiche. Die gleiche Art von Restaurants, die gleiche Art von Bars.
tipBerlin Eine Menge lokaler kleiner Gerichte.
The Duc Ngo Das Essen ist sehr gut zubereitet, aber all diese Läden sind auf dieselben Produkte beschränkt. Also schmeckt alles gleich. Das ist wie mit der neapolitanischen Pizza.
„Ich habe manchmal tatsächlich das Gefühl, nicht politisch korrekt zu sein“
tipBerlin Andererseits ist diese lokale, produktorientierte Küche Teil eines größeren Trends zur Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln.
The Duc Ngo Ich habe manchmal tatsächlich das Gefühl, nicht politisch korrekt zu sein. Ich verwende Dinge aus Asien oder Amerika, Fisch aus Australien. Ich habe darüber nachgedacht, aber beschlossen, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss. Natürlich versuche ich, mein Gemüse regional zu beziehen. Aber am Ende muss ich dem treu bleiben, was ich kenne.
Die Pandemie brachte Zusammenhalt in die Gastro-Szene
tipBerlin Obwohl Sie Ihr eigenes Ding machen, scheinen Sie gut vernetzt zu sein.
The Duc Ngo Ich denke, ich habe mir meine Position in der Food-Szene verdient. Vor Corona war es eher so, dass alle für sich gekämpft haben. Jetzt gibt es eine Gemeinschaft, was eine gute Entwicklung ist. Wenn es einen Koch gibt, der wirklich gute Arbeit leistet – wie Dylan Watson vom Restaurant Ernst, den ich sehr schätze – versuche ich, ihn zu unterstützen und zu pushen. Die Zusammenarbeit und der Austausch mit der jüngeren Generation ist etwas, das mir im Moment sehr am Herzen liegt.
Der Diskurs über kulturelle Aneignung ist ein wichtiges Thema
tipBerlin Was ist mit Ihrer eigenen Generation?
The Duc Ngo Tim Raue hat einen großartigen Job gemacht, nachdem er sein Ding mit asiatischem Essen gefunden hatte. Er eröffnete sein Restaurant in der Kochstraße, und er hatte Erfolg. Natürlich gibt es jetzt eine Diskussion darüber, ob weiße Männer wie er mit der asiatischen Küche Geld verdienen sollten.
- Wem gehört die Pho? Über kulturelle Aneignung in der Gastronomie
tipBerlin Sagen wir es mal so: Sie haben ein Jahrzehnt lang asiatische Fusionsküche gekocht, bevor Tim Raue auftauchte, und in dem Moment, in dem er das tut, bekommt er Michelin-Sterne.
The Duc Ngo Ich schmunzle darüber, dass plötzlich alle Köche anfangen, Miso, Dashi und fermentiertes Zeug zu verwenden. Aber es war auch toll für mich, weil es meine Art von Essen populärer gemacht hat. Weil er berühmt ist, hat Tim Raue dazu beigetragen, dass die japanische, vietnamesische oder chinesische Küche in Deutschland ins Gespräch gekommen ist. Ich denke, er hat einen guten Job für unser asiatisches Erbe gemacht. Ob ich sein Essen mag oder nicht, ist eine andere Frage.
tipBerlin Schmeckt es Ihnen?
The Duc Ngo Es ist interessant (lacht), aber er kocht auf eine ganz andere Art und Weise. Sobald man zwei Michelin-Sterne erreicht hat, wird es gewissermaßen zu einer olympischen Disziplin, die bestmögliche Gaumenexplosion zu kreieren. Das ist nicht die Art, wie ich an einen Teller herangehe.
„Man kann die Leute nicht mehr verarschen“
tipBerlin Sie haben doch selbst ein Feinschmeckerprojekt in der Pipeline, das Le Duc, das noch in diesem Jahr eröffnen soll.
The Duc Ngo Aber ich werde nicht wie ein Sternekoch kochen, weil ich das auch gar nicht kann. Ich kann nur versuchen, mit meinen besten Köchen die bestmögliche Version von Duc Ngo hinzubekommen – mit dem typischen Duc-Ngo-Gefühl.
tipBerlin Ist es heute schwieriger geworden, in Berlin ein neues Restaurant zu eröffnen?
The Duc Ngo Ja und nein. Die neue Herausforderung besteht sicher darin, dass die Leute heute viel mehr über Essen wissen. Man kann sie nicht mehr verarschen.
Von asiatischen Restaurants werden niedrige Preise erwartet
tipBerlin Alle wollen also besser essen, aber gleichzeitig wollen sie nicht immer mehr dafür bezahlen.
The Duc Ngo Man könnte sogar sagen, dass dieser Geiz zum berüchtigten Schwarzgeldsystem im Gaststättengewerbe geführt hat – lange Zeit bezahlten viele Lokale in bar unter dem Tisch, um die Lohnsteuer zu umgehen. Seit der Einführung der computergesteuerten Registrierkassen hat sich die Situation stark verändert. Für mich ist da vielleicht kein Problem, meine Gäste können höhere Preise zahlen. Aber ich habe mich mit einem Freund von Pamfilya in Wedding unterhalten – das ist meiner Meinung nach der beste Döner in Berlin – und er sagte, dass sein Döner sieben oder acht Euro kosten müsse, vor allem, wenn man so gutes Fleisch verwendet wie er.
tipBerlin Türkisches oder vietnamesisches Essen hat aber billig zu sein …
The Duc Ngo … und chinesisches Essen, genau. Als ich das Madame Ngo eröffnete und anfing, 13 Euro für die Pho zu verlangen, bekam ich viele Posts, in denen ich gefragt wurde, warum es so teuer sei. Niemanden hat es interessiert, dass ich Bio-Hühnchen verwende und meine Angestellte fair bezahle. Für japanisches Essen war man immer bereit, mehr zu bezahlen, neuerdings auch für koreanisches.
tipBerlin Was bräuchte es, damit die vietnamesische Küche auf diesem Niveau geschätzt wird?
The Duc Ngo In Europa gibt es immer noch keinen berühmten vietnamesischen Chefkoch. Ich versuche, meinen Teil dazu beizutragen, aber ich würde gerne mehr Leute sehen, die wirklich ambitionierte vietnamesische Küche machen, so wie zum Beispiel junge Köche – auch aus den USA oder Europa – ambitionierte thailändische Küche machen.
The Duc Ngo fragt nach zeitgenössisch-deutscher Küche
tipBerlin Was glauben Sie, was der nächste große Foodtrend sein wird?
The Duc Ngo Das fragen mich die Leute immer, aber ich habe keine Ahnung! Ich persönlich hoffe, dass die deutsche Küche zurückkehrt – die traditionellen Gerichte, wie sie vor hundert Jahren serviert wurden, aber auf eine zeitgemäße Weise interpretiert. Also vor allem: nicht zu schwer. Als ich als kleines Kind Ende der 1970er-Jahre nach Berlin kam, fand ich deutsches Essen eklig. Wir waren an frisches Gemüse, an gegrillten Fisch gewöhnt, und Eintopf sah aus wie etwas, das man den Schweinen gibt. Heute liebe ich es. Ich bin immer auf der Suche nach so einem Restaurant, aber niemand bietet mehr diese Eintöpfe und Suppen an. Vielleicht ist das mein nächstes Konzept.
- Kuchi Kant Kantstr. 30, Charlottenburg, Mo–So 12–23 Uhr, letzte Bestellung bis 21:45 Uhr, Tel. 030/31 50 78 15, online
- Kuchi Mitte Gipsstr. 3, Mitte, Mo–So 12–23 Uhr, letzte Bestellung bis 22 Uhr, Tel. 030/28 38 66 22, online
- Next to Kuchi Kantstraße 30, Charlottenburg, Mo–So 12–21:30 Uhr, Tel. 030/31 50 78 16, online
- Madame Ngo Kantstraße 30, Charlottenburg, Mo–Sa 12–17 und 18–22:30 Uhr mit Küche bis 22 Uhr, So 12–17 und 18–22 mit Küche bis 21:30 Uhr, Tel. 0157/53 60 40 89, online
- 893 Ryōtei Kantstraße 135/136, Charlottenburg, Di–Sa 18–23 Uhr, Tel. 0176/56 75 41 07, online
- Funky Fish Kantstraße 135–136, Charlottenburg, Di–Sa 12–22 Uhr, Tel. 0163/938 22 15, online
- Ngo Kim Pak Schlüterstraße 22-23, Charlottenburg, tgl. 12–22 Uhr, Tel. 01590/615 81 14, online
- Cocolo Ramen Gipsstr. 3, Mitte, Mo–Sa 8–23 Uhr, letzte Bestellung bis 22 Uhr, online
- Cocolo Ramen X-berg Graefestraße 11, Kreuzberg, Mo–Sa 12–21 Uhr, Tel. 030/98 33 90 73, online
- Golden Phoenix Brandenburgische Straße 21, Wilmersdorf, Di–Sa 18–23 Uhr, Tel. 0151/64 62 59 45, online
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Die Restaurants von The Duc Ngo gehören natürlich zu unseren wärmsten Empfehlungen: Diese vietnamesischen Restaurants in Berlin sind kaum zu übertreffen. Wer wie The Duc Ngo von der deutschen Küche begeistert ist oder sie endlich mal ausprobieren will, sollte hier essen gehen: Berliner Traditionsrestaurants vom Einstein bis zur Weltlaterne. Nach dem Restaurant-Hopping lohnt sich ein Spaziergang durch den Stadtteil: Mit uns entdeckt ihr die schönsten Kieze und spannendsten Ecken von Charlottenburg. Ein Highlight des Bezirks: Natürlich das Schloss Charlottenburg – ein Prachtbau und Zeugnis einer großen Liebe.
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