An vergangenen Wochenende ging es wieder los: Berliner Restaurants durften öffnen, wenn auch nur unter strengen Auflagen. Unser Redakteur hat sich aufgemacht zu einem kulinarischen Spaziergang durch die Berliner Restaurantsszene und fragt sich: Ist das schon eine Rückkehr zur Normalität?
15 Uhr, Kreuzberg, Skalitzer Straße
Ein weißer Sprinter blockiert den Fahrradweg. Ist das diese Rückkehr zur Normalität? Zwei Stapel Stapelstühle werden ausgeladen. Ein hektisches Telefonat. Das Imbissrestaurant, für das die Stühle bestimmt sind, hat nämlich noch geschlossen. Nicht wegen Corona, sondern weil da einer offensichtlich einen Termin verbaselt hat. Der Kurierfahrer ist genervt. Eine Passantin freut sich. „Das macht doch Mut, dass jemand gerade jetzt in Stühle investiert.“
15.30 Uhr, Kreuzberg, Markthalle Neun
Alfredo Sironi parkt sein Hollandrad. Gerade kommt er aus der Goltzstraße in Schöneberg, wo seine neue, zweite Bäckerei währen des Lockdowns geöffnet hatte. Sein erst im Februar eröffnetes Restaurant Sironi La Pizza aber bleibt zumindest noch die nächsten beiden Wochen geschlossen. Nur Pizza to go geht. Die Markisen seien noch nicht montiert und außerdem habe sich sein Team nicht wohl mit der Entscheidung gefühlt, schon jetzt zur Normalität zurückzukehren. Oder eben zu diesem Schutzmaskendesinfektionsmindestabstandsmodus. Auch solche Entscheidungen sind richtig. Es wird in den kommenden Wochen nicht immer nur die eine Wahrheit geben.
16.30 Uhr, Kreuzberg, Restaurant Hórvath
Sebastian Frank hingegen ist so entschlossen wie es eben einer ist, der als selbständiger Gastronom in einer 12 Quadratmeter kleinen Küche zwei Michelin-Sterne erkocht hat. Am Paul-Lincke-Ufer sperrt das Horváth an diesem Abend wieder auf. Die Buchungslage ist, mindestens an den Wochenenden, gut. Die Stimmung auch. Gerade ist der Blumenschmuck gebracht worden, vom Kiezblumenladen nur rund 200 Meter weiter am Ufer.
Was Frank in den vergangenen acht Wochen am meisten gefehlt habe? „Das Leuchten in den Augen der Gäste. Ich meine, warum machen wir denn diesen ganzen Aufwand? Wegen des direkten Kontakts zu den Menschen.“ In den nächsten Wochen zumindest hat das Horváth deshalb zusätzliche Kontaktzeiten eingeräumt. Von Freitag bis Sonntag gibt es jetzt auch eine Lunch, unter anderem mit den Wohlfühlklassikern Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn.
17.15 Uhr, Kreuzberg, Park am Gleisdreieck
Im BRLO Biergarten ist die Lage entspannt. Und glücklicherweise noch nicht ausgelassen. Dabei hatte sich sogar das Fernsehen angemeldet. In der Hoffnung vielleicht, dass hier so nah am Gleisdreickspark vielleicht doch der eine oder die andere eskaliert.
Ben Pommer und Katharina Kurz vom BRLO Brwhouse haben das Fernsehen bestimmt ausgeladen. Und überhaupt ihre diesjährige Biergartensaison an diesem Freitag sehr, sehr leise eröffnet. Irgendwoher raunt einer, drüben im Tiergarten sei schon wieder Selbstbedienung angesagt. Bei BRLO trägt der Service Maske und bringt das Bier an den Tisch. Das Lächeln kann man trotzdem sehen. Ehrlich wahr.
18.15 Uhr, Charlottenburg, Kantstraße
Berlin hat wieder Hunger. Auch die Polizei. Vor der Luke des Son Kitchen stehen drei Polizist*innen. Und, nein, es werden keine Hygienemaßnahmen kontrolliert, sondern es wird dreimal Bibimbab geordert. Zweimal mit Beef, einmal vegetarisch.
18.30 Uhr, Charlottenburg, Il Calice
Was wurde der Walter-Benjamin-Platz nicht schon gescholten. Unbehaust sei er. Ja unlängst hatte ihm ein Architekturmagazin sogar eine rechte Ästhetik attestiert. Nun sitzen die Leute, auf Stühlen oder Decken, auf dem ganzen Platz verteilt.
Der kleine Wein- und Imbisspavillon in der Mitte des Platzes läuft richtig gut. Lief er schon in den vergangenen Tagen, als das zugehörige Restaurant Il Calice noch geschlossen hatte. Als der Patron Antonio Bragato dort die Weinbestände direkt von der Palette verkauft hatte. Um Geld zu haben, bevor dann doch die Kreditzusage kam.
Jetzt kommen die Gäste. Sie kommen mit Empathie und Euphorie. Und sie stecken den Service an. Ein Restaurant ist, zack, wieder in seinem Metier. Und sogar dieser Walter-Benjamin-Platz liegt plötzlich in Italien.
20 Uhr Schöneberg, To Beef or not to Beef
Das mit der Krise als Chance, Giacomo Mannuci mag es nicht mehr hören. Und doch packt auch er es ungefähr so an. Der Italiener mit dem Fleischverstand wird sein Berliner Restaurant To the Bone in der Torstraße erst im späteren Sommer wieder öffnen und während dieser Zeit in einige Umbauten und einen neuen Grill investieren. Bis dahin serviert sein erstes Restaurant in To Beef or Not to Beef im Akazienkiez die Klassiker beider Restaurants im Family Style.
Gerade sei die Stimmung ohnehin ein wenig hemdsärmeliger und familiärer. Freund*innen sind gekommen, viele Berliner Italiener*innen. Matthias Reiner, Sommelier im To the Bone, vermisst seine Südtiroler Berge. Noch aber darf er seine Familie dort nicht besuchen.
21 Uhr, Schöneberg, Sironi La Pizza
Wir hatten es schon davon: Das neue Ecklokal Sironi La Pizza in der Goltzstraße bleibt bis auf Weiteres noch geschlossen. Aber Pizza geht bekanntlich immer. Das per Klarsichtfolie virengeschützte Pizzafenster ist jedenfalls der Renner.
Zurück in Kreuzberg: noch ein Wegbier
Ich hole mir noch ein Wegbier, ein Helles von Johannes Heidenpeter eben aus der Markthalle Neun. Und denke, dass auch das zum Glück typisch ist für diese Stadt. Dass ein Wirt, der gerade selbst erst sehen muss, wo er bleibt, dennoch die lokale Kiezbrauerei unterstützt. Dass das Besondere der neuen Berliner Kulinarik, diese Geschäftsbeziehungen auf Augenhöhe, auch Corona überleben werden…
Abstand, Masken, Hygieneregeln: wir haben für euch nachgeschaut, worauf Restaurants und Gäste jetzt achten müssen. Viele Berliner Restaurants halten sich angesichts der Hygieneregeln noch zurück und fragen sich: Lohnt es sich überhaupt, wieder zu öffnen? Und zu welchem Preis? Bars und Kneipen dürfen noch nicht wieder zurück zur (neuen) Normalität, und jetzt ist wegen Corona die gute alte Kneipe in Berlin bedroht. Die Zeichen stehen auf Veränderung in der Berliner Gastronomie: „Traditionelle Statussymbole haben sich überlebt“.