Mit dem Street Food Thursday wurde 2013 Berlins erster Streetfoodmarkt gegründet. Und führte zu einer kulinarischen Revolution. Wir schauen in unserer großen Streetfood-Geschichte weniger zurück, sondern viel lieber in die Gegenwart dieser Stadt. Schließlich hat die kulinarische Größe Berlins viel mit dem zu tun, was da vor zehn Jahren im Kleinen passiert ist. Eine Liebeserklärung anlässlich des zehnten Geburtstags des Streetfood Thursday in der Markhalle Neun: Fine Dining und Fettfinger müssen kein Gegensatz sein.
Berlins Street Food Thursday: Wie alles begann
Als es losgehen sollte, war sich Kavita Meelu nicht mehr so sicher, wie viele Leute denn kommen würden. „2.000 Besucher:innen wären schon ein großer Erfolg gewesen“, erinnert sie sich. Stattdessen sollten sich mehr 10.000 Personen damals im April 2013 durch die Markthalle Neun futtern. Und ganz im Nebenbei eine kleine, große kulinarische Revolution auch über die Grenzen dieser Stadt hinaus lostreten.
Zehn Jahre nach dem ersten Streetfood Thursday hat sich Berlin von einem Ort, der vor allem für den Ein-Euro-Döner bekannt war, zu einer internationalen Food-Metropole entwickelt. Und zwar einer, in der weiße Tischdecken, Silberlöffel und klassischer Service eben kein Muss sind, sondern alles etwas lockerer, lässiger, lebensfreudiger zugeht. In der eine gastronomische Ausbildung keine Voraussetzung mehr ist, solange man nur innovativ und leidenschaftlich an die Sache herangeht und Lust aufs Gastgeben hat. Und in der man einfach loslegen kann, sogar ohne großes, ohne irgendein Budget. Auch wenn sich zumindest das zunehmend ändert. Das Essen ist teuer geworden, auch und gerade für jene, die damit ihr Geld verdienen wollen.
Streetfood ist lässige Lust auf vollen Geschmack
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Irgendwas mit Essen: Viele der heute etablierten Player der Berliner Foodszene haben auf dem Streetfood Thursday ihre ersten kulinarischen Schritte unternommen. Und die breite Masse der Berliner:innen hat dort vielleicht zum ersten Mal indische und pakistanische Chaats, chinesische handgezogene Nudeln, Tacos mit Kimchi, ägyptisches Koshari oder srilankische Hopper probiert.
Und es war nicht nur die kulinarische Weltläufigkeit selbst, die hier entstand, sondern auch eine entspannte Selbstverständlichkeit, mit der sie zelebriert wurde. Natürlich gab es in vielen Fällen schon lange etwa ein ägyptisches, sri-lankisches oder malaysisches Lokal in Berlin – nur wurden diese Lokale in vielen Fällen vor allem von ihren Communitys frequentiert.
Der Geschmack der Vielfalt, er sollte nur langsam auch den Mainstream erreichen. Heute aber stehen auch in Außenbezirken ganz selbstverständlich Foodtrucks, die Kimchi und Maultaschen miteinander kreuzen oder portugiesische Backwarenvariationen zum Kaffee und Kuchen anbieten. Der Entdeckungshunger ist eben kein ausschließlich innerstädtisches oder touristisches Phänomen, sondern tatsächlich zutiefst berlinerisch.
Der erste Berliner Streetfood-Markt
Denn die neue Marktkultur, die vor zehn Jahren ausgerufen wurde, war gar nicht so neu: Berlin blickt auf eine lange, wenn auch unterbrochene Geschichte von Marktgeschehen und auch von Essen auf der Hand zurück.
Es ist kein Zufall, dass Berlins ältester Platz ausgerechnet der Molkenmarkt ist. Schon lange vor der ersten urkundlichen Erwähnung Berlins (und Cöllns) wurde am Spreeufer gefeilscht, gehandelt – und gesnackt. Hier trafen auf mittelalterlichen Handelsrouten Menschen aus allerlei verschiedenen Regionen aufeinander, als Vorläufer des heute so diversen Berlins quasi. Die Soziologin Noa Ha erforschte den Straßenhandel in Berlin, der sich bis in die 1930er-Jahre hinein höchster Beliebtheit erfreute – und auch in der Literatur über die Stadt ihre Spuren hinterlassen hat, etwa bei Erich Kästners „Pünktchen und Anton“ oder in der Figur des Straßenhändlers Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“. Das Naziregime mit seiner Fetischisierung der Ordnung machte mit dem weitverbreiteten Straßenhandel, auch dem kulinarischen, dann Schluss.
Berlin und das Essen auf der Hand
Seine Liebesgeschichte mit dem Essen auf der Hand konnte Berlin aber nie so richtig beenden. So ist es kaum überraschend, dass die Stadt heute als Geburtsort von Höhepunkten der Streetfoodkultur (Döner Kebap!) und Tiefpunkten (Grillwalker…) verortet wird.
Die Demokratisierung des Reisens und vor allem auch die Migrationsbewegungen in den ausgehenden Nuller- und frühen Zehnerjahren beeinflussten den Hunger der Berliner:innen auf andere Geschmackserfahrungen. Inspiriert von Straßenmärkten in fernen Zielen wie Thailand, Mexiko oder Kalifornien, aber auch näheren, etwa London, entstanden Märkte wie Streetfood Thursday, und etwas später Bite Club auf dem Arenagelände und Streetfood auf Achse in der Kulturbrauerei. Für junge Gastronomiequereinsteiger:innen, die in vielen Fällen aus kreativen Berufen stammten und entweder ihre Heimatküche bekannter machen, oder sich einfach ausprobieren wollten, waren diese Veranstaltungen ein kostengünstiger Weg, ihre Ideen zu testen. Und für die Besucher:innen, diese neuen Geschmackshorizonte in ihren Alltag zu integrieren.
Streetfood in Berlin: Der Erfolg wurde auch zum Verhängnis
Der sogenannten „Streetfood-Bewegung“ ist letztendlich auch der eigene Erfolg zum Verhängnis geworden: Bald wurden Tiefkühllebensmittel im Discounter mit dem Wort „Streetfood“ beworben. Auch wenn die einzige Straße, die sie zu sehen bekamen, wahrscheinlich die unterm Lkw war, auf dem sie von der Produktionsstätte zum Supermarkt geliefert wurden. Sogar Fernsehköche wollten vom coolen Schein der Streetfoodszene etwas abhaben und entwickelten Fernsehformate, die irgendwie, irgendetwas mit Streetfood und Foodtrucks zu tun haben sollten.
Viel spannender aber ist der Einfluss, den der Streetfood-Trend auf die gastronomische Landschaft in Berlin hatte – und immer noch hat. Statt weiter auf die strenge Unterscheidung zwischen Imbiss und Restaurant zu achten, insbesondere, was die Qualität der Zutaten anging, hat sich mittlerweile eine ganze Palette an Zwischentönen eingerichtet. Qualitativ hochwertige, mit Leidenschaft gekochte Küche kann auch von einem Campingkocher kommen – und ebenso unkompliziert auch wieder in vier Wänden stattfinden. Ohne Tischdecken und klassischen Service. Fine Dining und Fettfinger, sie müssen kein Widerspruch sein. Sondern gehören ganz selbstverständlich zusammen.
Zahlreiche gastronomische Neugründungen der letzten zehn Jahre nahmen ihre ersten Schritte auf diesen Märkten oder in der Pop-up-Kultur der Nullerjahre, etwa das ägyptische KLX Koshary Lux in Charlottenburg, die innovative Mitte-Bar Mr. Susan oder das charmante iranisch-australisch-berlinerische Deli Rocket & Basil. Sie machten sich alle klug die verhältnismäßig unkomplizierte Möglichkeiten, ihre Ideen zu testen, zu Nutze. Andere Streetfood-Pioniere gingen wiederum in den Hintergrund, betreiben heute Cateringunternehmen oder, wie im Fall von J. Kinski, produzieren mit der gleichen Leidenschaft wie einst Sandwiches heute Brühen und Würzmittel. Und manche, wie Fräulein Kimchi, sind immer noch auf der Straße unterwegs. Und das erfolgreich.
Streetfood ist unmittelbar statt anonym
Und die nächste Generation der Berliner Gastronom:innen? Die pfeift generell auf Konventionen. Charmante Veranstaltungen wie „Autogrill“ letztes Jahr in den Wilhelm Hallen weitab der Szenekieze in Wilhelmsruh stehen für einen Geschmack der Stadt, der der Gegenentwurf zum Trend der unsichtbaren Lieferküche ist: junge Köch:innen mit Fine-Dining-Ambitionen standen am Grill, um begleitet von DJ-Sets in der Sonne Sandwiches zu schmieren. Heruntergespült wurden die Stullen mit passenden Naturweinen von Nachwuchswinzern, während das Publikum sich zum Sound aus den Lautsprechern bewegte. Ist das noch Streetfood? Oder schon Fine Dining? Vor allem ist es: lässig. Ein leistbarer Luxus im Alltag, ein Stück Unmittelbarkeit statt Anonymität, Genuss statt bloße Sättigungsabfertigung.
Die Zukunft, sie sieht lecker aus. Und bleibt auch weiterhin: ohne Silberbesteck.
- Street Food Thursday (in der Markthalle Neun) Eisenbahnstraße 42/43, Kreuzberg, immer Do 17–22 Uhr, online
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