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Warum der Beruf Koch ein Traum ist – und sich dennoch wandeln muss

Eigentlich war Franz Thies nur als Redaktionspraktikant bei uns gelandet, weil er mitten in der Pandemie keinen
Ausbildungsplatz finden konnte. Und so hat er nun aufgeschrieben, warum er trotz allem unbedingt Koch werden will. Und wieso sich sein Traumberuf dennoch radikal wandeln muss.

Wer einen guten Job machen will, braucht auch Pausen: Franz Thies in seinem Kleingarten. Foto: Jonathan-Joosten

Kochen ist die beste Sache der Welt. Davon bin ich schon mein Leben lang überzeugt. Deshalb will ich bereits seit ich denken kann Koch werden. Auch wenn mein Umfeld mir exakt genauso lange erzählt, dass ich mir die „beschissenen“ Arbeitszeiten, den ganzen Stress und den geringen Lohn bloß nicht antun sollte. Dennoch bewarb ich mich im Frühjahr letzten Jahres, und mitten in den Abitursklausuren, um einen Ausbildungsplatz in einer Küche Berlins.

Und während ich an meinen Bewerbungen feilte, sie sorgsam in Mappen packe, um sie persönlich in den Restaurants vorbeizubringen, näherte sich aus einer Après-Ski-Destination in den Alpen gerade ein damals noch unscheinbarer Virus Berlin. Der Rest war ein Ausnahmezustand, nicht nur für die Gastronomie. Und anstatt meine Bewerbungen nun persönlich durch die Stadt zu radeln, habe ich sie mit der Post geschickt. Nach zwei, drei Wochen keimte die Erkenntnis: Es wird sich wohl niemand melden.

Obwohl, also nach heutigem Maßstab, die Restaurants damals recht schnell wieder öffneten, saß der Schock doch bei allen tief. Wer konnte da zu allem Überfluss noch einen Azubi gebrauchen, der nur Geld und Nerven kostet.

Traumberuf Koch: Schlaflos durchs erste Praktikum

Enttäuscht verschob ich mein angestrebten Ausbildungsbeginn auf den kommenden Februar und startete meine „Ausbildung zum Praktikanten“. Als nämlich ein Angebot für ein schlecht bezahltes Praktikum in einem neuen Gastro-Unternehmen in Aussicht stand, nahm ich das so dankbar an wie CDU-Politiker:innen ihre Nebeneinkünfte. Es folgte ein körperlich fordernder Monat in einer Kellerküche, weit mehr als 40 Stunden die Woche. Eigentlich schmiss ich den ganzen Laden. Hier lernte ich nicht nur, was „Ausbeutung“ und Schlaflosigkeit bedeutet, sondern auch, was ich nicht wollte – nämlich genau das.

Ich kündigte wieder, weil nicht ich, sondern meine Eltern es sich leisten konnten.

Bei meinem zweiten Praktikumsplatz wünschten sich dann alle am letzten offenen Abend, dem 30. Oktober 2020, „frohe Weihnachten“. Den November verbrachte ich in der vielleicht einzigen Küche, die überhaupt noch geöffnet war: die Kantine eines Kindergartens, fokussiert auf Regionales, Saisonales und Vegetarisches. Als wir jedoch gerade dabei waren, für 100 Kinder handgemachte Ravioli zu falten, kam die Botschaft: Corona-Ausbruch in der Belegschaft. Und ich war wieder meine Arbeit los.  

Vermutlich war mir schon seit diesem „Frohe Weihnachten“ im Oktober klar, dass meine Chancen nicht gut standen.Doch selbst der Fall dieses selbstmitleidigen Gymnasiasten, der in seiner Freizeit gerne auch mal segeln geht, zeigt, wie es um die Zukunft des Berufs Köch*in momentan steht: schlecht.

Berufsbild Koch hat keinen guten Lauf: Aus der Krise lernen

Auch unabhängig von der Pandemie, unter deren Folgen die Gastronomie ja weiterhin leidet, hat das Berufsbild von Koch und Köchin gegenwärtig keinen wirklich guten Lauf. Entschied sich einst ein Großteil der Auszubildenden vor allem deshalb dafür, diesen Beruf zu erlernen, weil die Alternativen auch nicht gerade besser waren, ist die Jugend von heute vielleicht nicht weniger leidensfähig, aber doch souveräner in der Entscheidung, eben nicht alles mit sich machen zu lassen.

Gerade Abiturient:innen schrecken die gleichbleibend reaktionären Arbeitsbedingungen ab. Wo bitte genau liegt der Anreiz, für wenig Geld bis ein Uhr nachts, an Weihnachten und Silvester, irgendwo im Keller mittelmäßige Desserts zuzubereiten?

Das hat zur Folge, dass immer mehr Ausbildungsklassen in Deutschland schließen müssen – wegen zu geringer Nachfrage. Und von denen, die sich weiterhin für eine Ausbildung in der Küche und im Gastgewerbe entscheiden, bricht gut jede:r Zweite vorzeitig ab. In Berlin, so erfährt man am Oberstufenzentrum Gastgewerbe, liegt diese Quote immerhin bei nur gut 30 Prozent. Dennoch ist auch das eine Zahl, die man in anderen Ausbildungsberufen vergebens sucht.

Und doch liegt in dieser Entwicklung auch eine ernstzunehmende Chance: Wann, wenn nicht jetzt, müsste wirklich jede und jeder begreifen, dass die Zeit reif ist für einen schon lange notwendigen Umbruch. Denn seien wir mal ehrlich: Der letzte revolutionäre Ansatz im kulinarischen Ausbildungsbetrieb ist ein Zeichentrickfilm von 2007 mit einer Ratte als Protagonisten: Ratatouille.

Das richtige Rezept, um den Kochberuf wieder attraktiver zu machen

Es scheint, als hätte niemand von der kleinen talentierten Ratte Remy gelernt, die sich ihren Traum, ein Meisterkoch zu werden, erfüllt. Aber auch, wenn dieser unbedingt sehenswerte Film förmlich schreit: Nieder mit der Normalität!, ist wohl sein einziger bleibender Erfolg, dass auf einmal jedes Kind geschmortes Gemüse in Tomatensauce essen wollte.

Dabei wäre das Rezept, den Kochberuf wieder attraktiv zu machen, kaum komplizierter als das Rezept einer, sagen wir, richtig leckeren Bolognese: Man nehme einen Bund Lohn mit zweifacher, besser dreifacher Menge. Vermenge diesen mit einer gehörigen Portion an weiblichen Beschäftigten und überhaupt mehr (gelebter) Diversität. Gebe zwei Stück Tageslicht hinzu, und eine große Prise Gewerkschaft.

Nun noch Sensibilität und Inklusion untermengen, die Zusammenarbeit untereinander nicht vergessen und zum Schluss mit deutlich weniger elitärem Gehabe und Hierarchiegefüge abschmecken.

Kochen beginnt immer mit dem Ausbringen der Saat: Franz Thies in seinem Kleingarten im Westend. Foto: Jonathan-Joosten

Eine Sache der Leidenschaft

So oder so ähnlich könnte ein Masterplan aussehen, um wieder genügend junge Menschen begeistern zu können für diesen wirklich begeisternden Beruf. Momentan aber entscheiden sich vor allem nicht-männliche Kochbegeisterte allzu oft gegen diese Ausbildung. Damit verspielt die Gastronomie nicht nur das Potential vieler begabter Köch:innen. Denn wirklich gut (und glücklich) wird man in diesem Beruf nur mit echter Leidenschaft. Und das ist, nebenbei bemerkt, eines der wenigen Dinge, in denen ich sogar mit Tim Raue einer Meinung bin.

Wenn nämlich ein Haufen leidenschaftlicher Menschen eine Sache gemeinsam anpackt, wird diese in den meisten Fällen ziemlich gut und ziemlich köstlich.

Auch wenn ich mich persönlich dazu entschieden habe, trotz oder gerade wegen dieser Bedingungen, den klassischen Weg der Ausbildung zu wählen, tut es mir leid um alle, denen Kochen genauso viel Freude bereitet, wie mir, und die dennoch kein Koch und keine Köchin werden wollen. Aus mir sehr nachvollziehbaren Gründen. Sei es, weil sie sich einen Lernort ohne sexistischen Grundton wünschen. Weil sie finden, dass man körperlicher Züchtigung keinen Raum geben sollte, auch und erst recht nicht in Restaurantküchen. Oder dass man eine Ausbildung doch vor allem macht, um etwas zu lernen. Und nicht, um als billigste Arbeitskraft missbraucht zu werden, um dann an der Berufsschule Lernstoff zu büffeln, der sich an der Convienceküche der Achtziger- und Neunzigerjahre orientiert.

Begegnungen auf Augenhöhe

Es ist eben nicht nur die Corona-Pandemie, die viele davon abhält, Koch oder Köchin zu werden. Die aktuell unsicheren Perspektiven vieler potenzieller Ausbildungsstätten verhindert nur zusätzlich den dringend benötigten Nachwuchs. Alleine in Berlin, so hat es der Hotel- und Gaststättenverband unlängst überschlagen, fehlen aktuell gut 500 Köch:innen.

Aber wie mit allem ist es nicht mit ein bisschen weniger Sexismus hier und ein bisschen mehr Trinkgeld da, geschweige denn mit einer fünf- statt dreijährigen rein betrieblichen Ausbildung bei dauerhaft schlechter Vergütung getan. Nein, für diesen Wandel müssen gesellschaftliche und politische Ansprüche an die Branche gestellt werden. Genauso wie die Gastronomie selbst ihre Wünsche und Forderungen besser (und lauter) kommunizieren muss. Denn auch das ist natürlich ganz unbedingt richtig: Gutes, ehrliches Essen muss uns allen etwas wert sein: Ein bißchen mehr Geld natürlich. Aber genauso: Mehr Achtung für die Menschen auf der anderen Seite jedes Restaurantbesuchs.  Begegnungen auf Augenhöhe.

Franz Thies hat inzwischen übrigens doch einen Ausbildungsplatz gefunden, im Restaurant Otto in Prenzlauer Berg. Dem tipMagazin wird er als Autor erhalten bleiben – gerade für Einblicke in das Innenleben des geschmackvollsten Berufs der Welt.


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