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Zukunft des Essens

Was die Datenindustrie mit unserer Ernährung zu tun hat. Ein Gespräch mit dem Food-Aktivisten Hendrik Haase

„Daten sind das neue Öl“ – Food-Aktivist Hendrik Haase hat über Wurst gebloggt und eine Metzgerei gegründet. Jetzt gilt seine Aufmerksamkeit der globalen Datenindustrie – und vor allem deren Interesse an unseren Lebensmitteln

Vielleicht gerader der klügste Berliner Kopf, wenn es um die Zukunft des Essens geht: Hendrik Haase. Mehr auf www.hendrikhaase.com

Ein Schnitzel kann man nicht downloaden: Soweit ein Scherz mit wahrem Kern, der die neue Foodbegeisterung gerade in den kreativen urbanen Milieus auf den Punkt bringt. Essen ist real. Essen ist ehrlich. Dem mag so sein, entgegnet Hendrik Haase, Food-Aktivisit, Lebensmittelexperte und einer der Gründer der handwerklichen Metzgerei Kumpel & Keule in der Kreuzberger Markthalle Neun.  Und dennoch sollten gerade Anhänger einer nachhaltigen, naturnahen Lebensmittelwirtschaft die Chancen der Digitalisierung ernst nehmen. Ja, mehr noch, sie sollten sie ganz unbedingt ergreifen. „Bio für alle ist möglich“, so Haase, aber nur unter den Bedingungen einer hinreichend digitalisierten Landwirtschaft. Ein Gespräch über die Hühner des Silicon Valley, chinesische Agrardrohnen und den Food-Tech-Standort Berlin.

tip Hendrik Haase, Sie haben ihr Studium des Kommunikationsdesigns mit einer Arbeit über die Wurstkultur abgeschlossen, haben gemeinsam mit den ZDF-Reportern von „Frontal21“ Gammelfleischskandale aufgedeckt und eine handwerkliche Metzgerei gegründet. Warum nun die Hinwendung zum Digitalen?

Hendrik Haase Ich war mit meinem Buch „Crafted Meat – Die neue Fleischkultur“ auf Lesereise in Kalifornien. Ich las also in San Francisco und da kamen diese ganzen Tekkies, und die waren so unglaublich tief drin in den kulinarischen Themen. Da war etwa ein Typ, der Radtouren veranstaltet. Wissen Sie, was der macht? Der fährt im Silicon Valley von Haus zu Haus und zeigt den Leuten – Hühner. Hühner zu halten, alte Rassen, ist gerade ein absolutes Statussymbol in der Tech-Kultur.

tip Sie meinen, es gibt in der Welt von Amazon, Google  und Co. ein echtes Interesse an unserer Ernährung?

Hendrik Haase Was ja schon mal ein Unterschied wäre zu den Lebensmittel-Multis der alten Zeit. Aber machen wir uns nichts vor, das echte Interesse gilt den Daten. Essen ist ein Markt, ein Lebensgefühl und auch ein Statussymbol. Ich war in den Firmenzentralen im Silicon Valley und in den Kantinen, die natürlich keine Kantinen mehr sind, sondern Food-Märkte. Das ist die Markthalle Neun in Hochglanz.

tip Und wie blickt umgekehrt die Bio-Branche auf die  Digitalisierung?

Hendrik Haase Da will ich eine Szene vom Rande der Grünen Woche resümieren. Da steht eine sicher verdiente Food-Aktivistin und fordert, dass die Kinder wieder Kochen von den Großmüttern lernen sollten und nicht von Alexa. Und dass ein Bauernhof Menschen bräuchte und keine Drohnen. Arbeit auf dem Feld, das sei doch quasi wie Yoga. Ich gestehe gestressten Großstädter*innen durchaus zu, Garten- oder sogar Ackerarbeit quasi zen-meditativ zu verklären. Aber Unkrautjäten im Dauerregen, das ist bestimmt kein Yoga.

Traktorist in Umschulung: Künftig wird die Landwirtschaft auch Drohnenpiloten brauchen, Foto: imago images / Marius Schwarz

tip Die Antwort der Bio-Szene auf die Digitalisierung lautet also …

Hendrik Haase Die Vision der Bio-Branche wäre momentan: Das machen die Rumänen.

tip Die Rumänen?

Hendrik Haase Man holt sich billige Arbeitskräfte oder lagert die Arbeit gleich in Niedriglohnländer aus. Da wiederholt sich die Logik der Industrialisierung. Dabei habe ich mir hier in Deutschland einen autonom arbeitenden Agrarroboter angeschaut, der fährt über ein Feld, beobachtet alles mit zig Kameras, verarbeitet Millionen von Daten und harkt schließlich punktgenau  das Unkraut unter. Die Harken kommen übrigens von einem Unternehmen, das eigentlich nur für die Biolandwirtschaft produziert, bei den Konventionellen wird ja nur noch gespritzt. Diese Geräte, und jetzt kommen wir zur künstlichen Intelligenz, sind selbstlernend: Je mehr dieser Roboter umherfahren und je mehr Daten sie sammeln, um so besser und effizienter werden sie. Die können Unkraut also ziemlich schnell so gut erkennen, wie es nur ein sehr erfahrener Landwirt kann.

„Biobauern müssen Ernteroboter als ihre Verbündeten erkennen“

tip Diese Maschine ist quasi bio?

Hendrik Haase Sozusagen. Nur darf das Ding auf deutschen Äckern nicht fahren und die Bios erkennen es ohnehin nicht als ihren Verbündeten an. Wenn wir biologisch angebaute Lebensmittel aber für die gesamte Gesellschaft wollen, brauchen wir solche Technologien. Das ist mit Handarbeit nicht finanzierbar.

tip Ihnen ist die Branche also zu skeptisch, gar zu konservativ?

Hendrik Haase Wissen Sie, wie viele Agrardrohnen bereits in China im Einsatz sind? 45.000. Und in Europa? Eine einzige. Und dafür musste ein belgischer Bauer extra einen Flugplatz auf seinem Feld anmelden. Mit Tower. Ich höre dann Sprüche wie „Der Bauer soll Herr seiner Daten bleiben“. Ich war Blogger und Influencer und selbst ich habe meinen Facebook-Konsum radikal reduziert, weil das echt die letzte übergriffige Bude ist. Aber mal in der Realität angekommen: Was will denn der Bauer mit seinen Daten? Die Daten müssen verarbeitet werden. Wer hat diese Rechenleistung? Die haben bei großen Datenmengen weltweit nur noch zwei Konzerne: Amazon und Alphabet, also Google.

tip Künftig geht es  vor allem um Daten?

Hendrik Haase Daten sind das neue Öl. Konzerne werden bald feststellen, dass sie mit klassischen Produkten, beispielsweise Pestiziden, kein Geld mehr verdienen, sondern mit Daten. Etwa mit Ernte- oder Konsumvorhersagen. Und Google und Amazon wissen bald besser, was wir zu ernten und sowieso zu säen haben und  wann wir auf was Hunger haben, als wir es uns selbst vorstellen können.

tip Welche Rolle spielt Berlin bei der Digitalisierung der Lebensmittelbranche?

Hendrik Haase Gar keine so kleine. Auch wenn das vor Ort, mal wieder, niemand registriert. Essen und Daten, das ist den Regierenden halt viel zu abstrakt. Berlin hat aber diese Aura des Kreativen und auch des Hungrigen. Nehmen wir etwa Edeka, die ihren Food Tech Campus eben nicht neben die Firmenzentrale in Hamburg gestellt haben, sondern nach Berlin. Berlin muss verstehen,  dass das ein Wirtschaftsfaktor ist, der längst genauso zur Stadt gehört wie die inzwischen ach so wichtige Food-Szene. Und Berlin muss erkennen, dass sich um diese Food-Szene eine Gründerszene gruppiert, die Vernetzung zur Wissenschaft braucht, zu Kapital, zu Räumen. Das sind ja alles Sachen, die die Stadt hat, die aber noch nicht vernetzt gedacht werden.

tip Was sind das für Unternehmen, für Start-Ups, an die Sie jetzt denken?

Hendrik Haase Ganz unterschiedliche. Die einen denken vielleicht die Direktvermarktung der regionalen Landwirtschaft neu, andere machen erstmal nur einen Müsliriegel, wieder andere arbeiten im Labor an einem Käsederivat – wichtig ist, dass Berlin dieses Moment mitnimmt und das Potenzial versteht.

tip Käse aus dem Labor klingt jetzt nicht gerade nach Bauernmarktidyll.

Hendrik Haase Darum wird es auch nicht gehen. Sondern um kontrolliert erzeugte Lebensmittel für einen Massenmarkt. Auch wir werden bei Kumpel & Keule vermutlich künftig kein Laborfleisch verkaufen. Wir bleiben die Adresse für die Foodies, die Besseresser und den Sonntagsbraten. Wo die Bio-Branche aber aufpassen muss: Wenn sich der Gedanke der Blockchain durchsetzt, und das wird er, dann haben wir jederzeit die totale Datenkontrolle über ein Produkt. Da gibt es einen QR-Code und jede Zutat ist ab Ackerfurche nachvollziehbar. Das ist also eine lückenlose Besiegelung, dagegen kann kein Bio-Siegel mehr an. Bio muss künftig also ganz unbedingt die bessere Qualität liefern, den besseren Geschmack und auch die bessere Erzählung.

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