Essen & Trinken

Yes We Kännchen: Wie Berlin Backen gelernt hat

Eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen sind demokratische Glücksversprechen: kleine Fluchten aus dem Alltag und kulinarische Zeitgenossenschaft für ein überschaubares Budget. In einer Stadt, die endlich auch das Backen gelernt hat. In diesem Sinne: Wir nehmen euch mit auf eine Reise zu Berliner:innen, die das mit dem Backen wirklich gebacken bekommen.

Backen in Berlin – eine Annäherung mit Kaffee und Gebäck im Cookies & Co.
Kaffeekunst und Butter-Fluff: Feine Geschmacks-Nuancen werden im Cookies & Co wunderschön kombiniert. Foto: Oliver Fox

Backen in Berlin: Kuchen, Tarte und Croissant und darüber hinaus

Zum Beispiel ein Schlesischer Mohnkuchen in der Markthalle Neun. Gebacken von Annette Zeller, Konditormeisterin in der vierten Generation. Ohne Treibmittel, Aromastoffe, Backpulver. Aber mit Eiern von glücklichen Freilandhühnern aus Brandenburg. Oder ein Eclair bei Canal in der Linienstraße, auch farblich so fantastisch dekoriert, dass man es fast mit Archivhandschuhen aus der Auslage heben möchte. Ein kleines, süßes Kunstwerk. Oder ein Tartelette bei Jubel – Feine Patisserie. Zitrone, Estragon, Basilikum. Ein Aromenspiel, das darauf verweist, dass Kai Michels und Lucie Babinska ihr Handwerk in den besten Küchen der Stadt, im Lorenz Esszimmer und im Restaurant Rutz, gelernt haben. Oder dieses buttrig-fluffige Croissant mit Yuzu-Füllung bei Cookies & Co in Prenzlauer Berg.

Vier gebackene Glücksversprechen, mal ganz unmittelbar in die Kindheit verweisend, mal sehr fein und, ja, durchaus besonders. Vor allem haben sie mindestens das gemein. Sie sind die kleinen vollmundigen Fluchten des Alltags. Weil Zucker glücklich macht. Und Butter auch. Vor allem aber, weil das Stück Kuchen, das Eclair, das Tartelette, das Croissant eine demokratische Verheißung sind. 

Backen in Berlin: Zum Beispiel in der Sofi-Bakery
Der Kuchen aus der Sofi-Bakery verhält sich zum Fine Dining wie Dior-Nagellack zur High Fashion – es ist der kleine Luxus im Alltag. Foto:Stephanie von Becker

Die dicke Scheibe Zitronenkuchen aus der dänischen Sofi Bakery in den Sophie-Gips-Höfen, um einen weiteren angesagten Ort einer neuen Backkultur zu erwähnen, verhält sich zum Fine Dining wie der Dior-Nagellack zur High Fashion. Zwar mögen vier Euro für ein Stück Kuchen nicht wenig sein. Doch im Gegensatz zum 150-Euro-Menü im brutal lokalen Nobelhart & Schmutzig oder im flamboyanten Tulus Lotrek lässt es uns in diesem Winter nicht gleich an die nächste Heizkostenabrechnung denken. Und die Jahreszeit für Kaffee und Kuchen ist die kalte sowieso unbedingt. Mehr zur Sofi Bakery lest ihr hier.

Mit der Berlin Food App von tipBerlin ist das passende Restaurant schnell gefunden. Download unter https://www.tip-berlin.de/berlin-food-app-restaurants-tip-berlin/

Gutes Essen findet im Kleinen statt

Ohnehin ist das ja ein Versprechen dieser neuerdings so kulinarischen Stadt: Gutes Essen findet immer auch im Kleinen statt. Die chinesische Suppe mit den handgezogenen Nudeln (bei Weng Cheng in der Schönhauser Allee), das perfekte Sabich-Sandwich (bei Goldadelux am Erkelenzdamm; mehr lest ihr hier) – oder eben ein Stück dieser fast unwirklich schönen Torte in der Dilekerei.

Dilek Topkaras Kreationen sind nun wirklich fast zu schön, um aufgegessen zu werden.
Die Dilekerei verzaubert mit ihren märchenhaft schönen Gebäcken von Kuchen und Torten bis zu anderen Kleinigkeiten zum Schlemmen. Foto: Melek Özdemir

Dilek Topkara ist eigentlich Lebensmitteltechnologin und hat bei einem Forschungsaufenthalt in England die Liebe zur Praxis, genauer gesagt zur gehobenen Tortenkunst, entdeckt. Ihr Tortenatelier in Gesundbrunnen, einzig am Sonntag auch als Café geöffnet, steht sinnbildlich für eine neue, junge Generation von Kulinariker:innen mit nicht weniger als diesem Anspruch: es in einer Sache zu wirklicher Exzellenz zu bringen.

Stollen auf italienisch

Das, was der Stollen für Deutschland ist, ist Panettone für Italien. Authentische Italiengefühle findet man glücklicherweise längst in Berlin, Panettone somit auch. 

Panettone im Backaro. Foto: Marianne Rennella

In Friedrichshain zum Beispiel backt die italienische Bäckerei Backaro ihre Panettone gleich in mehreren Varianten: mit Pistazie, mit weißer Schokolade und als Classico. Klassisch heißt, es sind Rosinen, Orangeat und Zitronat im Teig. Klassisch heißt außerdem, dass er mit Sauerteig gemacht wird, über eine lange Teigführung. Im Backaro stellen sie ihren Panettone allerdings mit Hefe her, also nicht ganz und gar traditionell – doch wir mögen ihn trotzdem. Er ist gefällig, nicht zu süß und hat ein ausgewogenes Teig-Frucht-Verhältnis. 

Eindeutig mit Sauerteig und sehr viel Gelassenheit gemacht ist hingegen der Panettone von Giomecca in Prenzlauer Berg. Er ist etwas gedrungener und trockener und eignet sich hervorragend zum in den Kaffee Tunken (wozu er eigentlich auch gedacht ist). Gleichzeitig besticht er durch ein intensives Aroma: Säure, Vanille, Süße und Butter. Wer sich an den zarten kandierten Früchten im klassischen Panettone stört, wird sich hier über die Variante mit Maronen freuen, die Giorgio Mecca in seiner italienischen Pasticceria backt. Panettone mit Kastanien? Typisch etwa im Piemont oder im Schweizer Bergell.

Klassische Panettone herzustellen ist sehr aufwendig. Die Arbeit mit Sauerteig erfordert viel Zeit, außerdem ist der Eigelb-intensive Teig sehr filigran und muss schonend und mit Muße verarbeitet werden, damit er schließlich seine offene, wolkenartige Krume erhält. Sogar einen speziellen Ofen braucht es, einen besonders hohen, und einen Raum, in dem die Kuchen nach dem Backen zum Auskühlen kopfüber aufgehangen werden können.

Der Kuchen von Princess Cheesecake ist viel zu fein um wahr zu sein.
Bei Princess Cheesecake (oben) schmecken uns nicht nur die bio-zertifizierten Zutaten aus Brandenburg. Foto: Florian Bolk

Kuchen zum Frühstück? Sì. Croissants an der Tagesordnung? Ovvio. Focaccia am Nachmittag? Certo!

Weil Gebackenes für Italienerinnen und Italiener also absolut essenziell ist, haben die nach Berlin ausgewanderten (die ersten italienischen Zuckerbäcker kamen übrigens schon Ende des 17. Jahrhunderts an die Spree) dafür gesorgt, dass auch diese Stadt ausreichend mit entsprechenden Bäckereien ausgestattet ist. Alfredo Sironi machte im Jahr 2013 den Anfang und befeuerte seinen ersten Backofen in der Markthalle Neun in Kreuzberg. Bekannt wurde er vor allem für sein Pane di Milano, ein Weizensauerteigbrot aus italienischem Mehl, und für seine Pizza und Focaccia, die er als große, üppig belegte Stücke verkauft. 

Die gläserne Bäckerei The Sanctuary an der Torstraße stellt unter Beweis: Italien kann vegan.
The Sanctuary ist eine konsequent vegane italienische Backstube. Foto: Marianne Rennella

Cornetto, Focaccia, Maritozzo und Co. frisch gebacken

Feinste Focaccia gibt es seit dem Herbst 2022 auch im The Sanctuary, einer veganen Bäckerei an der Torstraße in Mitte. In der gläsernen Backstube der Inhaberin Federica Fronterré bäckt Alberto Castelli, der leitende Bäcker, Focaccia Genovese, die traditionelle Version aus Ligurien. Diese ist relativ flach, knusprig und innen überraschend saftig. Hauptmerkmal ist außerdem eine großzügige Menge Olivenöl, welches für eine perfekte Harmonie aus Kohlenhydraten und Fett sorgt. Wie begeistert unsere Autorin vom Focaccia-Handwerk in Berlin ist, lest ihr hier.

Während Focaccia quasi von Natur aus vegan ist, hat Federica zusammen mit Alberto und ihrem Konditormeister Uwe Bauer auch die süßen Gebäcke in rein pflanzliche Rezepturen umgewandelt. Das Ergebnis sind beispielsweise mit Erbsensahne und Pistaziencreme gefüllte Hefebrötchen, die sogenannten Maritozzi, oder Blätterteigschnecken mit Zimt, die Girelle, die den Originalen in nichts nachstehen. 

Backen in Berlin: Das Latodolce versüßt jeden Tag im Graefekiez.
In der „gläsernen Patisserie“ Latodolce von Natalia Giordano stellt Patissier Alfredo süße Köstlichkeiten en miniature wie kleine Törtchen und „Icing Cakes“ her. Foto: Latodolce

Auf italienisches Gebäck in Miniatur konzentriert sich dagegen Natalia Giordano in ihrer Pasticceria namens Latodolce in der Graefestraße. Diese Manufaktur hat nicht nur das schönste Schaufenster Kreuzbergs, sondern auch kleine Mandeltörtchen, bunte Baisers, rosafarbene Mandeln und italienische Petit Fours. Ihre Kekse und Küchlein verkauft die gebürtige Kalabresin direkt aus der vollständig einsehbaren Patisserie heraus. 

Blech reden? Blech backen!

So macht das auch das Domberger Brot-Werk, wobei es sich hierbei jedoch um eine Bäckerei und nicht um eine Patisserie handelt und das Gebäck gegensätzlicher kaum sein könnte: Uckermarker Butter-Zucker-Kuchen vom Blech. Die Stücke sind groß, es ist ein rustikaler Kuchen. Üppig viel Butter und Zucker sind enthalten sowie Mehl, Wasser und Salz und ein kleines bisschen Hefe, um den Sauerteig zu unterstützen. Der Kuchen macht seinem Namen alle Ehre und bleibt so pur und schlicht wie möglich. 

Domberger Brot-Werk. Foto: Marianne Rennella

Blechkuchen ist der typische Bäckerkuchen. Während das Domberger Brot-Werk dabei auf Minimalismus und Sauerteig setzt, belegen traditionelle Bäckereien den Blechkuchen häufig aufwendiger. Bekannte Exemplare sind zum Beispiel Mandarine-Schmand, Mohn-Rosine oder Pflaume-Streusel. Auch die Bäckerei Siebert in Prenzlauer Berg bietet blechkuchentechnisch einiges. Der Weg in die gemütliche, urige Backstube lohnt sich für den Walnuss-Birnen-Kuchen, für das trubelige Treiben zwischen entzückten Kindern und Filterkaffee trinkenden Handwerkern und für die Tatsache, dass die Bäckerei Siebert die älteste Berlins ist. Herr Siebert eröffnete den Handwerksbetrieb im Jahr 1906: Die Bäckerei wird bereits in fünfter Generation fortgeführt.

Am Paul-Licke-Ufer sitzt es sich sehr schön zum Frühstück.  Foto: F. Anthea Schaap

Fast noch ganz neu dagegen ist das Terz am Herrfurthplatz in Neukölln, das sich in den wunderschönen Räumlichkeiten der Evangelischen Genezarethkirche befindet. Auch hier haben sie den in unsere kollektive Kindheit verweisenden Charme des Blechkuchens erkannt und sich diesem auch aufgrund der Nähe zum Tempelhofer Feld gewidmet: Kein anderes Stück lässt sich so praktisch transportieren und kleckerfrei beim Spazieren oder Picknicken essen, wie ein kompakter im Blech gebackener Quarkkuchen. Auch der mit Streuseln bedeckte Apfelkuchen oder der Schokolade-Mandel-Kuchen haben den Tempelhofer-Feld-Test bestanden und beweisen, dass Blechkuchen weitaus mehr sein kann als nur ein Bäckerkuchen und auch in die schönen Cafés der Stadt gehört. 

So ein Plunder

Noch funktionaler als Wegzehrung wären einzig Plunderteilchen, die im Zeitalter der Aufbackbäckereien allerdings zum wortwörtlichen Plunder verkommen waren. Hier brauchte es ein Korrektiv von Außen. Handwerksbäckereien, die von Dänen oder Australierinnen in Berlin gegründet wurden und ihren Teil dazu beitrugen, dass Teilchen wieder in aller Munde sind. Als die Bäckerei Albatross Mitte des vergangenen Jahrzehnts im Graefekiez eröffnete, wurde sie zum Posterboy der jungen, zeitgenössischen und qualitätsbewussten Backstuben in Berlin. Und sie sorgte dafür, dass die bis dahin nur wenig bekannte bretonische Croissant-Variation „Kouign-Amann“ (mit Meersalz!) zur It-Bag unter den Teigwaren werden sollte. 

Unser Gastro-Guide für Berlin: Die Speisekarte 2023

Aber auch Johannes Jungnickel, in Schöneberg aufgewachsen und mit seiner Bäckerei Hansis Brot im Weddinger Sprengelkiez zuhause, begeistert uns immer wieder mit seinem buttrigen Sprengel-S, einer Variation des blätterteigigen Schweinsohrs.

Raus aus der Welt

Was alle die hier genannten Köstlichkeiten noch gemeinsam haben? Sie laden ein zur Selbstermächtigung. Zu einer Auszeit aus der Hektik der Welt. Weshalb wir unbedingt daran appellieren, im Café des Vertrauens nicht zuallererst nach dem Wifi-Passwort zu fragen. Und den Laptop zugeklappt zu lassen und die Arbeit vor der Tür. Kaffeeklatsch hieß das früher einmal, die Sahnetorten, die Wilmersdorfer Witwen, das Café Kranzler, aber das ist ja schon lange nicht mehr.

Das Canal ist der Éclair-Spezialist in Berlin.
Kleines, großes Glück: Eclairs bei Canal in der Linienstraße. Foto: Stephanie von Becker

Später wurde das Café vom erweiterten Trottoir, dem Ort der Flaneur:innen, zum erweiterten Wohnzimmer, im Kreuzberg der Achtzigerjahre, im Prenzlauer Berg der Jahrtausendwende. Bald darauf, die Zeiten waren geschäftiger geworden, reüssierte es als Co-Working-Space.

Arbeit also. Womit wir wieder beim Backen wären, diesem zeitintensiven, immer auch nach Muße fragenden Handwerk. Wir plädieren dafür, sich ebenso Zeit zu nehmen, für Dilek Topkaras Torten, Annette Zellers Kuchen und Johann Jungnickels Schweinsohren. Für das gebackene Glück dieser Stadt.

  • 21 Gramm Hermannstraße 179, Neukölln, Mi–So ab 9.30–17 Uhr, Brunch bis 15.45 Uhr, Tel. 030/76 79 58 10, online
  • Backaro Proskauer Straße 23, Friedrichshain, Di–So 7.30–20 Uhr, Tel. 030/26 31 66 16, Facebook
  • Canal Berlin Linienstraße 54, Mitte, Mi–Sa 12–19 Uhr, So 12–18 Uhr, online
  • Cookies & Co Senefelderstraße 4, Prenzlauer Berg, Mi–Fr 9–18 Uhr, Sa+So 10–18 Uhr, Tel 0173/375 48 96, online
  • Dilekerei Eulerstr. 11b, Wedding, So 12–18 Uhr, Tel. 030/92 90 01 22, online
  • Domberger Brot-Werk Essener Straße 11, Moabit, Mo 15-18.30, Di-Do 8-18.30 Uhr, Fr 8-18 Uhr, Sa 8-13 Uhr, Tel. 030/23 56 04 71, online
  • Giomecca Erich-Weinert-Straße 3, Prenzlauer Berg, Di–Fr 10.30–19 Uhr, Sa 10.30–18 Uhr, So 12–17 Uhr, Tel. 0172/167 68 22, online
  • Hansis Brot Kiautschoustraße 1, Wedding, Mi-Fr 9-19 Uhr, Sa 9-14 Uhr, Instagram
  • La Maison Paul-Lincke-Ufer 17, Kreuzberg, Di-So 7-21 Uhr, Instagram
  • Latodolce Graefestraße 11, Kreuzberg, tgl. 8–18 Uhr, Tel. 030/92 27 42 74, online
  • Princess Cheesecake Knesebeckstraße 32, Charlottenburg, Mo–Fr 11–18 Uhr, Sa+So 11–19 Uhr, Tel. 030/88 62 58 70, online
  • Sofi Bakery Sophienstraße 21, Mitte, Mo-Fr 7.30-18.30 Uhr (Di geschlossen), Sa–So 8.30–17.30 Uhr, online
  • Tee.Salon.Iki Böckhstraße 50, Kreuzberg, Di-So 12-19 Uhr, online
  • The Sanctuary Torstr. 175, Mitte, Mi–So 9.30–18 Uhr, online

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Übrigens: Immer neue Gastro-Tipps gibt es hier. Alle aktuellen News und Empfehlungen aus der Berliner Gastro-Welt gibt es in der Rubrik Essen und Trinken. Immer noch hungrig in Berlin? Mit der Berlin Food App von tipBerlin ist das passende Restaurant schnell gefunden.

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