Neues Modell

Zeit zu Handeln

New York, Paris… Berlin? Eine Super Coop, ein gemeinschaftlich geführter Lebensmittelmarkt, kann sich für die Gesellschaft und jede Einzelnen rechnen. Die Investition: drei Stunden Arbeit im Monat

Gemeinsames Handeln: die Gründungsmitglieder der Super Coop Berlin Foto: Markthalle Neun

Supermärkte sind schon immer ein beliebtes Sujet der Stadtethnologie. In den britischen Cultural Studies haben Forschungsgruppen ganze Semester im Einkaufszentrum verbracht. Richard Sennett etwa hat sich kluge Gedanken über unseren täglichen Einkauf gemacht. Und auf Supermärkte etwa in Los Angeles verwiesen, die ganz bewusst an der Grenze von zwei unterschiedlich beleumundeten Stadtquartieren entstanden sind: Am Ort des Konsum begegneten sich plötzlich Menschen, deren tägliche Routinen sich sonst niemals gekreuzt hätten.

Wir ahnen es also: Im Akt des Konsums steckt immer auch eine soziale Macht, eine soziale Kraft. In einer Zeit, in der sich viele Menschen im urbanen Raum zunehmend ohnmächtig fühlen, wird so ein eigentlich recht altes ökonomisches Modell wieder diskutiert: die Kooperative, also gemeinschaftlich geführte Lebensmittelmärkte. Das prominenteste Beispiel, die Park Slope Coop im New Yorker Stadtteil Brooklyn, existiert bereits seit 40 Jahren und hat rund 17.000 Mitglieder. In Europa ist die La Louve Food Coop in Paris erwähnenswert. Erst vor zwei Jahren gegründet, hat diese heute bereits 6.000 Mitglieder und schreibt im operativen Geschäft schon schwarze Zahlen.

Das Prinzip: Als Mitglied der Food Coop ist man auch ihr Miteigentümer. Vor allem aber ist man sein eigener Angestellter, jedes Mitglied engagiert sich für drei Stunden im Monat, was beispielsweise bei der Park Slope Coop annähernd 98 Prozent der anfallenden Arbeitsleistungen deckt. Zudem kann eine Coop manches günstiger bewerkstelligen als ein konventioneller Supermarkt. So fallen etwa kaum Werbekosten an. Und auch die Warenpräsentation fällt pragmatisch-rustikal aus. Wir kannten das ja auch in Deutschland: Mit dem Verkauf direkt von der Palette hatten auch Aldi und Lidl einmal angefangen.

Nur geht es auch der frisch gegründeten Berliner Super Coop nicht gerade um Discounter-Artikel. Und auch das Prinzip des solidarischen Handels kennt Berlin bereits von Solidarischen Landwirtschaften (SoLaWi) wie dem Speisegut in Gatow und erst recht von den Bioladen-Kombinaten der 1980er-Jahre. Auch der Bioladen-Genossenschaft LPG folgt einem ähnlichen Konzept, wenngleich die Mitglieder dort nicht selbst die Regale einräumen. 

Neu ist also weniger das Geschäftsmodell einer Koope­rative, neu ist der Ansatz, als Kooperative keine besseren, besonderen oder besonders faire Produkte zu fördern, sondern zunächst einmal günstigere. Die Preise der Park Slone Coop liegen rund 20 Prozent unter jenen des konventionellen Einzelhandels.

Laborversuch im Bioladen

Zukunfts- und Konsumforscher Eike Wenzel analysiert Konzepte wie die Super Coop aber auch aus dem Blickwinkel einer sich rasant wandelnden Erwerbsgesellschaft: „Wenn künftig viele typische Berufsbilder, etwa im produzierenden Gewerbe, wegbrechen und eine Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen unausweichbar wird, wär es gut, bereits über gemeinschaftliche Konzepte der Teilnahme und Teilhabe zu verfügen.“ 

Wir haben, so Wenzels These, vermutlich bald mehr Zeit und sogar Lust, diese sinnvoll und im Sinne der Allgemeinheit zu investieren. Warum nicht im eigenen, gemeinschaftlichen Lebensmittelmarkt?

In der Seelingstraße kann man im Kleinen schon ausprobieren, wie sich das Ganze dann im Großen anfühlen soll. Der Gemeinwohl-Bioladen in Charlottenburg-Nord ist nicht nur selbst eine als Kooperative geführte Unternehmung, auch wer sich in der Super Coop Berlin engagiert, kann dort seit Mitte diesen Monats einkaufen –und mitarbeiten. Es ist ein Laborversuch für eine größere Lebensmittelkooperative in Berlin. Nach einem geeigneten Standort, so Johanna Kühner, die Sprecherin der Initiative, werde bereits gesucht. 

Ins Gespräch gebracht wurde die kooperative Handelsform auch in den aktuellen Debatten rund um die Kreuzberger Markthalle Neun. Dort haben die Betreiber einer Discounterfiliale gekündigt, die Anwohner sehen die Grundversorgung in Gefahr. Eine Food Coop könnte nun nicht nur für günstige Lebensmittel, sondern für ein gemeinsames Handeln sorgen. Markthallen-Geschäftsführer Bernd Maier kann sich für den Ansatz begeistern: „Eine andere Ernährungskultur funktioniert nur, wenn alle mitgenommen werden und wenn alle mitmachen können, dafür sind solche Kooperativen ein gutes Symbol – und ein spannendes Modell.“

Johanna Kühner hält Verkaufspreise von 20 bis 40 Prozent unter jenen der Super- oder Bio-Märkte für realisierbar: „Zudem sind Konzepte wie das der Kreislaufwirtschaft oder generell Müllvermeidung in einem demokratischen Prozess leichter durchzusetzen als in einem auf Gewinn ausgerichteten Unternehmen.“ Die Berliner Super Coop soll vor allem biologisch und lokal produzierte Lebensmittel anbieten: „Allerdings sind auch konventionelle Produkte verfügbar, solange sich die Mitglieder dafür entscheiden.“

Super Coop Berlin Kontakt und Informationen, auch über den weiteren Verlauf des Projekts, unter: supercoop.de

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