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Corona und Restaurants

Zukunft der Berliner Gastronomie: „Traditionelle Statussymbole haben sich überlebt“

Auf der ganzen Welt bedeutet Corona einen harter Einschnitt für Restaurants, Bars, Cafés. So auch in Berlin, wo die Gastronomie doch gerade erst in den letzten zehn Jahren eine wahre Renaissance erlebt hat: mehr Angebot, mehr Vielfalt, höhere Qualität. Wie wird es nun weitergehen? Wie sieht die Zukunft der Berliner Gastronomie aus? Wir sprachen darüber mit dem Koch Vadim Otto Ursus.

Vadim Otto Ursus in seinem derzeit geschlossenen Restaurant.
Vadim Otto Ursus sieht vorsichtig optimistisch in die die Zukunft der Gastronomie. Foto: Robert Rieger

Wir hatten den jungen Berliner Koch beinahe zwei Jahre lang begleitet. Von den ersten Pop-up-Dinnern nach seinen Wanderjahren, die ihn unter anderem auf die Faröer Inseln und ins Noma zu René Redzepi geführt hatten, bis zur Eröffnung seines Produktküchenrestaurants Otto im vergangenen Herbst.

In der Oderberger Straße serviert er seitdem vor allem Dinge, die er zuvor in seinem Kochlabor in der Schorfheide kultiviert, fermentiert und verarbeitet hat. Nun ist auch das Otto geschlossen.

Aber Vadim Otto Ursus hat daraus binnen 14 Tagen einen Speisekammerverkauf gemacht, den er auch nach der Wiedereröffnung seines Restaurants weiterführen wird. Ein Gespräch über die Stadt, das Land, die Krise und die Zukunft der Gastronomie.


tip Berlin Vadim Otto Ursus, wie geht es Ihnen? Wie geht es ihrem Restaurant?

Vadim Otto Ursus Gut, hätte ich jetzt gern gesagt. Tatsächlich steckt in dem ganzen Machen und Tun gerade ja auch jede Menge positive Energie. Wir haben hier in zwei, drei Wochen ein komplett neues Business hochgezogen: die Otto Pantry, unsere Speisekammer.

Mit einem Team, das auch mental sehr eng zusammenarbeitet, kann das schon ganz gut schaffen, mit so einer Situation umzugehen. Für den Laden, aber hoffentlich auch für jede*n Einzelne*n.

tip Berlin Kann Berlin, und jetzt kommt ein beliebtes Berlin-Klischee, solche Krisen also doch besser wegstecken als andere Städte?

Vadim Otto Ursus Berlin war ein Ort, an dem es schon immer viel Freiraum und viele Freiheiten gab, Raum für Experimente. Und ich merke durchaus, dass eine kreative Stadt, die Berlin für mich noch immer ist, mit so einer Situation besser umgehen kann. Ich glaube und hoffe auch, dass viele von den Ideen, die jetzt eher aus der Not geboren scheinen, nachhaltig wirken.

Die Zukunft der Gastronomie: Schluss mit den Preissteigerungen?

tip Berlin Dabei hatte man zuletzt das Gefühl, das das kulinarische Berlin professioneller und weltläufiger geworden war, geschmackvoller und, ja, auch teurer.

Vadim Otto Ursus Das war schon so eine Entwicklung in den vergangenen Jahren, international betrachtet sowieso, aber auch in Berlin: Die Restaurants sind teurer geworden und das bis zu einem gewissen Punkt ja auch zurecht.

Weil man eben mehr in seine Produkte und auch in die Produzent*innen investiert hat und hoffentlich auch in seine Mitarbeiter*innen. Irgendwann war da aber ein Punkt erreicht, bei dem mindestens ich gedacht habe, dass es nur noch darum geht, über den Preis eine nochmals gesteigerte Exklusivität zu behaupten.

tip Berlin Aber ist das nicht umgekehrt auch ein Reiz, gerade jetzt in der Krise: sich über höhere Preise eine gewisse Grundlage anzufuttern?

Vadim Otto Ursus In der sogenannten Hochküche gab es immer dieses ungeschriebene Gesetz: Wer dort arbeitet, kann es sich eigentlich nicht leisten, dort zu essen. Eine der Grundbedingungen für mein Restaurant war immer auch, einen Ort zu schaffen, den ich oder meine Freunde uns leisten können. Nicht einmal im Jahr oder überhaupt einmal im Leben, sondern wenn man Lust drauf hat. Klar ist das immer ein schmaler Grad mit dem fairen Preis. Wir sind so fair, wie es für uns und unsere Produzent*innen guten Gewissens möglich ist.

tip Berlin Nach der Jahrtausendwende war die Molekularküche in vieler Munde. Ferran Adriá kochte gar im Rahmen der documenta. Mit der Finanzkrise erlebte Fine Dining dann eine ebensolche Krise. Werden wir nach Corona Ähnliches erleben, wird sich in der Zukunft der Gastronomie die Vergangenheit wiederholen?

Vadim Otto Ursus Andere sagen oder hoffen, dass die Leute dann um so entschiedener in die Restaurants rennen. Ob Berlin aber noch genauso bereit ist, mehr Geld fürs Essen auszugeben, das sehe ich nicht so richtig. Ich glaube auch, das bestimmte Fine-Dining-Rituale, das 18. Amuse-Bouche in einem Berliner Zwei-Sterne-Restaurant etwa, jetzt endgültig passé sind. Diese komischen Spielchen, jetzt bekommt der Gast vermeintlich etwas geschenkt, passen nicht mehr in eine Zeit, der es viel eher um eine Aufrichtigkeit geht, um Begegnungen auf Augenhöhe.

Künftige Entwicklungen: Die traditionellen Statussymbole haben sich überlebt

tip Berlin Hat sich Fine Dining, wie wir es kannten, überlebt?

Vadim Otto Ursus Was sich mindestens überlebt hat, sind die traditionellen Statussymbole, der „Guide Michelin“ zum Beispiel. Für mich und für meine Generation waren die Michelin-Sterne eh kein wirkliches Thema mehr. Dass der „Guide Michelin“ aber in Deutschland, und meines Wissens auch in Frankreich, keine wirkliche profunde Stellungnahme zu dieser elementaren Krise der Gastronomie hinbekommen hat, hat endgültig gezeigt, dass so ein Medium aus der Zeit gefallen ist. 

tip Berlin Wird Corona Ihre Art zu kochen verändern?

Vadim Otto Ursus Bestimmt. Das tut es ja schon jetzt.

Ladenverkauf aus dem Fenster. Vadim Otto Ursus über die Zukunft der Gastronomie
Ladenverkauf aus dem Fenster: für sein „Speisekammer“-Angebot muss das Team des Restaurant Otto umdenken. Foto: Clemens Niedenthal

tip Berlin Inwiefern?

Vadim Otto Ursus Die Gerichte, die wir für unsere Pantry, also die Speisekammer, machen, werden immer einfacher, purer. Vielleicht, weil so eine grundsätzliche Zeit auch nach grundsätzlichem Essen verlangt. Gulasch, Linseneintopf, Pesto aus Berliner Lauch.

Klar bieten wir auch meine Garums an, diese in der Tradition der japanischen Küche fermentierten Wild- oder Fischsaucen. Am Ende freuen sich die Leute aber über ein paar Wildknacker auf die Hand. Ich muss Produkte anbieten, die intuitiv funktionieren.

Verändert Corona auch das Kochen?

tip Berlin Es ist also doch nicht einfach nur ein Restaurant zum Mit-nach-Hause-nehmen?

Vadim Otto Ursus Eben nicht, zuhause ist das Restaurant ja nicht mehr da. Mir wurde noch einmal deutlich, wie sehr zeitgemäße Küche über die Erzählung, auch die Erklärung am Tisch funktioniert. Das fällt jetzt alles weg, was mir andererseits auch sehr sympathisch ist. 

tip Berlin Wer kommt zu Ihnen in die Speisekammer?

Vadim Otto Ursus Am Anfang haben erstmal Stammgäste bei uns bestellt. Jetzt kommen auch die Nachbarn und holen sich zwei Kilo Kartoffeln oder einen Wildkräutersalat. Gerade hat uns der Inhaber der Kaffeebar nebenan im Tauschgeschäft sein erstes selbstgemachtes Sauerkraut gegeben.

Das ist schön zu sehen, dass sich die Leute sich jetzt im Selbermachen versuchen. Wie sie plötzlich merken, wie viel besser richtig gute Kartoffel schmeckt oder ein handwerklich hergestellter Jogurt. Wenn man jetzt jeden Tag zuhause ist, kommt man mit dem ganzen Industriequatsch nicht mehr weit.

tip Berlin Ohnehin träumen jetzt schon viele wieder von der eigenen Scholle. Sie haben eine. Wie intensiv nutzen Sie gerade ihr Küchengrundstück in der Schorfheide?

Draußen auf dem Land ist die Krise ganz weit weg

Vadim Otto Ursus Ich bin mittlerweile wieder zwei bis drei ganze Tage pro Woche draußen. Salate sammeln, aus der Milch vom Nachbarn Jogurt machen. Jetzt blühen gerade die Kirschen und der Waldmeister sprießt, also gibt es ab dieser Woche Kirschblütenkombucha und Waldmeistersirup.

Wenn man draußen auf dem Land ist, ist auch Corona plötzlich ganz weit weg. Es gibt keinen Laden im Ort, den man nur mit Maske betreten dürfte, es kommt ja nicht einmal eine Polizeistreife vorbei.

tip Berlin Warum also nicht einfach irgendwann ganz draußen bleiben?

Vadim Otto Ursus Ach, das ist doch auch ein Trugschluss, der in vielen Städter*innen keimt. Mir ist schon bewusst, dass ich Berlin als Inspirationsquelle und Kontrastfolie unbedingt brauche, dass das eine ohne das andere nicht funktioniert.

Ihr habt jetzt Lust auf Wildknacker und Gulasch? Hier entlang geht es zur Otto Pantry.


Gastronomie und Corona – Kampf ohne Perspektive?

Ist das Ende der Eckkneipe gekommen? Corona bedroht die Kneipe in Berlin akut. Aber auch Restaurants, Imbisse, eigentlich alle Anbieter fertiger Speisen müssen neu denken. Gastronomie und Corona: Wie der Kampf ohne Perspektive Berlin verändern könnte. Ein Käsekurator warnt;: „Wir erleben eine Gesundheitskrise“ – Wie Corona das Einkaufen in Berlin verändert.

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