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Ostsee

Marteria und seine Leidenschaft Angeln: „Es geht um Leben und Tod“

Der Rapper Marteria steht auf die Ostsee und Fische. Von seinem Briefkasten bis zum Badezimmer, überall starren einem die Tiere entgegen. Irgendwie naheliegend, dass er leidenschaftlicher Angler ist. Irgendwie aber auch nicht. Zwar ist er gebürtiger Rostocker, wuchs quasi am Wasser (genauer an der Ostsee) auf, aber Angeln steht für Ruhe, für wenig Bewegung. Beides passt nicht: Marteria führte bisher ein sehr bewegtes Leben, war Model, Profifußballer, derzeit ist er vor allem Rapper. Warum sich das alles aber gerade nicht widersprechen muss, wie er zum Angeln kam und was es für ihn bedeutet, erzählt er im Interview.

Marterias Liebe fürs Angeln: Kein gestelltes Foto, der meint das ernst. Foto: F. Anthea Schaap

Marteria: Der Opa war Fischer, der Vater Seemann

tipBerlin Marteria, was ist denn nun wirklich so toll am Angeln?

Marteria Das ist eine Frage, die nur einfach klingt, aber sehr schwer zu beantworten ist. Ich glaube, Angeln ist etwas, das man sich nicht aussucht. Niemand steht morgens auf und sagt: Heute fange ich mit dem Angeln an. Das hängt davon ab, wo man herkommt, wie man erzogen wird. Das Klischee vom kleinen Jungen, der mit seinem Opa angeln geht, da ist schon was dran.

tipBerlin So war es bei Ihnen?

Marteria Ja, genau. Mein Opa war Fischer. Als er nach dem Krieg aus der Gefangenschaft zurückkam, hat er in einem kleinen Dorf in Mecklenburg in der Forellenzucht gearbeitet. Mein Vater war Seemann. Und ich war drei Jahre alt, als ich meinen ersten Fisch gefangen habe: eine Plötze.

tipBerlin Und so fing das alles an…

Marteria So fing das an. Mit vier Jahren bin ich mit meinem Bruder an die Mole in Rostock-Warnemünde gegangen, das war selbstverständlich. So wie Leute aus den Bergen das Wandern und das Skifahren in der DNA haben, so haben Leute vom Meer eben Angeln, Segeln oder Surfen in ihrer DNA. Die Segler, die ich kenne, sind auch alle Angler, und in Sachsen und Bayern klettern die Skifahrer im Sommer wahrscheinlich. Man angelt halt einfach und es ist schön, mit einem Eimer voller Fische wieder nach Hause zu kommen. Obwohl, für unsere Mutter damals wahrscheinlich nicht, die erstmal 200 Heringe schuppen musste.

tipBerlin Das erklärt, wie Sie dazu gekommen sind. Aber worin besteht die Faszination?

Marteria Es macht einfach Spaß.

Marteria: „Angeln ist kein Sport“

tipBerlin Schwer vorstellbar, dass es einem Vierjährigen Spaß macht, stundenlang am Wasser zu sitzen und zu warten.

Marteria Ich kann nur sagen: Gerade diese Konzentration hat mich immer fasziniert, schon als Kind. Ich glaube, gerade heutzutage tut es Kindern gut, sich mal auf eine Sache richtig konzentrieren zu
können. Und wenn dann noch die Erfolgserlebnisse kommen, dann entsteht daraus die Faszination.

tipBerlin Steht das Angeln mit solchen Voraussetzungen kurz vor dem Durchbruch als Trend-Sportart?

Marteria Nein, und das liegt daran, dass Angeln gar kein Sport ist.

Früher Kicker, heute Angler: Rapper Marteria. Foto: F. Anthea Schaap

tipBerlin Ach? Heißt es nicht: der Angelsport?

Marteria Ja, selbst in der Angelszene wird vom Angelsport gesprochen. Aber ich finde das vollkommen falsch, weil es am Thema vorbei geht. Ja, es stimmt, es ist auch eine körperliche Betätigung, zumindest beim Raubfischangeln, wo man nicht einfach am Ufer sitzt, sondern immer wieder auswirft und einholt – dabei kann man schon auch mal ins Schwitzen geraten. Aber was für mich entscheidend ist: Es geht um Lebewesen, und es geht um Leben und Tod, also kann es kein Sport sein.

tipBerlin Was ist es dann?

Marteria Keine Ahnung, auf jeden Fall mehr als nur ein Sport. Ich gehe Angeln, um einen Fisch zu fangen und den anschließend zu essen. Dazu muss man Respekt vor dem Lebewesen haben, aber auch Respekt vor dem Handwerk – man muss wissen, was man da macht. Es geht um kleine Sachen, die aber große Auswirkungen haben. Wenn ich sage, ich esse nur noch Fische, die ich selber fange, dann bedeutet das auch, dass ich keinen Thunfisch esse und erst recht nicht welchen im Supermarkt kaufe, denn Thunfisch gibt es hier in unseren Gewässern eben nicht. In letzter Konsequenz bedeutet es für mich, dass ich hier mit einem kleinen Garten, einem kleinen Gewächshaus und dem Meer vor der Tür beinahe autark leben kann.

„Die Leute essen zwar den Fisch, aber wissen ja nicht mal, wo er herkommt“

tipBerlin So wird Angeln aber nie ein Trend.

Marteria Eigentlich ist Angeln schon Trend, wenn man nur auf die reinen Zahlen guckt. Nur der Deutsche Fußball-Bund hat mehr Mitglieder als der Anglerverband. Aber in anderen Ländern, in Nord- und Südamerika oder Skandinavien, ist Angeln als Teil der Alltagskultur viel stärker verankert als hierzulande. In Holland sieht man kaum ein teures Auto, weil dort das eigene Boot das Statussymbol ist – und jeder angelt. In Deutschland ist es dagegen mühsam, überhaupt über Angeln zu sprechen. Die Leute essen zwar den Fisch, aber wissen ja nicht mal, wo er herkommt – und wollen es wahrscheinlich auch nicht wissen.

tipBerlin Vielleicht weil sie sich nicht vorstellen können, ein solches Lebewesen umbringen zu müssen, um es essen zu können?

Marteria Vielleicht.

tipBerlin Wann haben Sie das gelernt?

Marteria Gleich zu Anfang. Diese erste Plötze, die ich mit drei gefangen habe, habe ich auch selbst getötet. Und das war zwar eine Überwindung, aber meine freie Entscheidung. Und es ist bis heute eine Überwindung – und das finde ich auch wichtig. Man lernt die Praktiken, wie man einen Fisch schnell tötet, aber das ist ja nicht alles. Es ist auch ein Ritual, schließlich nimmt man Leben. Also lege ich die Hand auf den Fisch, bedanke mich, bevor ich ihn aus dem Kreislauf entnehme, und zu dem Ritual gehört dann auch die Zubereitung. Das ist eine Frage des Respekts.

tipBerlin Haben Sie das alles von ihrem Vater gelernt?

Marteria Ja, von ihm, vom Opa, von meinem Bruder, aber ganz vieles bringt man sich auch selber bei. Und dann entwickelt man sich, wächst in diese Welt rein, entdeckt die eigenen Vorlieben, ob man nun eher Raubfische, also Hecht, Zander oder Barsch angelt. Oder ob man Meeresangler wird und Dorsche und Schollen fängt, oder Friedfischangler – das sind dann eher die aus dem Klischee, die sitzen und warten und auschecken.

tipBerlin Das ist Ihnen zu langweilig?

Marteria Ich mag das manchmal, aber ja, auf Dauer wird mir da langweilig. Aber in England lieben sie das, weil es dort so viele Karpfengewässer gibt.

Für Marteria ist das Angeln „eine Wissenschaft“

tipBerlin Warum lieben Sie vor allem das Raubfischangeln?

Marteria Raubfische muss man überlisten. Für den Laien: Man hat einen kleinen Gummifisch an der Angel, den muss man immer wieder rauswerfen und wieder reinziehen und das so geschickt machen, dass der Fisch glaubt, da schwimmt jetzt an ihm kein Gummifisch, sondern ein echter kleiner Fisch vorbei. Und von diesen Ködern gibt es 35 verschiedene, die man kombinieren kann mit verschieden langen und schweren Angeln.

tipBerlin Eine Geheimwissenschaft?

Marteria Nicht geheim, aber eine Wissenschaft. Aber ist das nicht bei jedem Hobby so, dass man sich interessiert und immer weiter eintaucht? Ein weiterer großer Vorteil meines Hobbys ist außerdem, dass ich die schönsten Plätze der Welt kennenlerne, die man als normaler Tourist nicht findet. Die Angelszene ist weltweit vernetzt – und die Leute sind überall gleich, aber natürlich auch immer verschieden.

tipBerlin Was verbindet diese internationale Gemeinde neben dem Angeln selbst?

Marteria Meine Erfahrung ist, dass das oft zugehackte Typen sind, die irgendwann mal in einer Band gespielt und es übertrieben haben, die sich irgendwann nicht mehr weiter fertigmachen wollten und das Angeln entdeckt haben. Für viele geht es um Suchtverlagerung. So war das bei mir ja auch nach meinem Nierenversagen.

Ein bisschen wie Markus Söder in hübsch: Marteria Foto: F. Anthea Schaap

tipBerlin Nach einem Benefiz-Fußballspiel 2015 landeten sie im Krankenhaus.

Marteria Ja, danach habe ich vier Jahre lang keinen Alkohol getrunken – und stattdessen meine Angelleidenschaft wieder entdeckt. Und solche Typen wie mich treffe ich immer – ob in Neuseeland oder in Kanada.

tipBerlin Warum macht Angeln süchtig?

Marteria Wenn man rausfährt morgens, wenn das Leben beginnt, und man sich als Teil dieses Planeten fühlt, als Teil des Lebens, als Teil der Natur – das ist ein unglaubliches Gefühl, das ich immer wieder haben will. Und ich glaube, das ist es auch, was die Menschen generationenübergreifend am Angeln lieben. Dazu kommt noch das Gefühl, wenn nach vier Stunden der Hecht anbeißt, da geht ein Schlag durch deinen Körper, ein Hormonstoß.

„Es gibt viele Fische wie die Dorsche, die müsste man eigentlich ein paar Jahre in Ruhe lassen“

tipBerlin Wenn man schon auf der ganzen Welt geangelt hat, wird die Ostsee dann nicht langweilig?

Marteria Nein, das ist einfach Zuhause. Mein Lieblingsfisch ist immer noch der Hecht, den liebe ich, seit ich ein kleiner Junge war. Hier bei uns an der Ostsee ist der Hering der Brotfisch, man angelt Flunder und Scholle. Es gibt die Meerforellen-Zeit, das ist toll, die von der Klippe zu angeln. Ab Mitte Dezember beginnt die Lachssaison: Das wissen viele ja nicht, aber wir haben hier Atlantische Lachse, die größte Lachsart, die es gibt. Aber wir müssen aufpassen: Es gibt viele Fische wie die Dorsche, die müsste man eigentlich ein paar Jahre in Ruhe lassen, damit sich die Populationen erholen können. Es ist krass überfischt.

tipBerlin Merken Sie das selbst beim Angeln?

Marteria Ja, klar, das merkt man natürlich. Ich weiß, wo meine Fische sind, ich fange schon noch was, aber die allermeisten gehen das falsch an. Die schmeißen die kleinen Fische wieder rein, aber nehmen den großen Fisch mit nach Hause.

tipBerlin Und das ist falsch? Sind die Vorgaben nicht so?

Marteria Ja, aber man müsste es eigentlich genau andersherum machen: Man müsste die richtig Großen wieder reinwerfen, damit sie laichen und ihre guten Gene weitergeben können. Ganz kleine Fische, die noch nicht gelaicht haben, sollten auch wieder rein, aber die dazwischen, die schon einmal gelaicht haben, die kann man behalten. Ein Entnahmefenster in der Mitte, das ist das Sinnvollste, um die Population zu erhalten. Die ganz großen Fische kann man ja fangen, das Foto mit ihnen machen, und danach sollte man sie wieder freilassen, damit sie sich weiter vermehren können.

tipBerlin Das nennt man Catch & Release.

Marteria Ja, genau.

„Catch & Release nicht anzuwenden, ist die größte Umweltsünde, die man einem Gewässer antun kann“

tipBerlin Und das ist verboten. 2018 mussten Sie wegen Catch & Release ein Bußgeld von 5.000 Euro zahlen.

Marteria Ja, das war in Bayern.

tipBerlin Machen Sie es trotzdem noch?

Marteria Ich darf es ja nicht, erlaubt ist es nur in Müritzgewässern. Also: Ich mache es nicht. Aber ich sage auch: Catch & Release nicht anzuwenden, ist die größte Umweltsünde, die man einem Gewässer antun kann.

tipBerlin Übersetzt: Sehr viele verstoßen gegen die geltenden Gesetze?

Marteria Ja, eigentlich alle vernünftigen Angler, die noch nicht 65 Jahre alt sind. Diese Gesetze sind 200 Jahre alt, in anderen Ländern lachen sich die Leute tot über unsere Situation, dass hier Catch & Release verboten ist.

Vergesst die Fische! Schaut euch lieber Marterias süßen Becher an. Foto: F. Anthea Schaap

tipBerlin Warum ist Catch & Release gut für das Gewässer?

Marteria Wenn es keine großen Hechte mehr gibt, dann geht das ganze System kaputt, weil der Hecht die Wasserpolizei ist, der kranke Plötzen oder Barsche jagt, um das ganze System gesund zu halten. Deswegen ist es in Holland oder Skandinavien verboten, einen Hecht zu töten. In Deutschland dagegen ist es verboten, einen Hecht nicht zu töten, wenn man ihn an der Angel hatte. In Holland gibt es Catch & Release, da wird der gefangene Hecht wieder ins Gewässer gesetzt. Wenn ich in Deutschland dasselbe mache, kann ich dafür angeklagt werden. Das ist nur bei den Müritzfischern anders, die haben verstanden – und haben ein Entnahmefenster.

„Der Blue Marlin löst bei vielen starke Emotionen aus“

tipBerlin Sie umgehen das, indem Sie viel herumreisen und überall auf der Welt angeln. Der Höhepunkt war ein Blue Marlin, den sie in der Karibik gefangen haben. Warum war das wichtig?

Marteria Fast jeder Angler will mal einen Blue Marlin fangen, weil der nun mal durch Hemingways „Der alte Mann und das Meer“ der berühmteste Fisch der Welt ist. Ein Freund von mir, der Arzt und Schriftsteller Peter Döbler, hat Republikflucht aus der DDR begangen, ist 45 Kilometer über die Ostsee nach Fehmarn rübergeschwommen – und einer seiner Gründe dafür war der Blue Marlin. Dieser Fisch löst bei vielen starke Emotionen aus. Aber wenn man dann um die ganze Welt reist und man hat ihn plötzlich an der Angel, dann fällt viel ab, und es gehen einem eine Menge Sachen durch den Kopf, auch widerstreitende Gefühle – und eben auch, dass es vielleicht besser wäre, ihn da gar nicht rauszuholen.

tipBerlin Sie haben eine Leere gefühlt?

Marteria Ja, vielleicht. Die Mission war erfüllt, der Traum gelebt. Wie ein Bergsteiger, der die Big Seven bestiegen hat. Ein Läufer, der ein Leben lang auf den Marathon trainiert hat. Und wenn ich mit solchen Leuten sprach, war das oft so: Jetzt habe ich es geschafft, und das ist schön, aber was jetzt? Aber das ist wahrscheinlich auch normal. Aber in diesem speziellen Fall ging es schon vor allem um das Lebewesen: Der ist so schön, lass ihn doch einfach da! Das ist natürlich Quatsch, weil so ein kleiner Hering dasselbe Recht auf Leben hat, aber bei einem Blue Marlin bekommt man halt eher so ein ehrwürdiges Gefühl.

tipBerlin Wie alt waren Sie, als Sie zum ersten Mal „Der alte Mann und das Meer“ gelesen haben?

Marteria Ich war acht Jahre alt.

tipBerlin Haben Sie verstanden, worum es geht?

Marteria Nein, natürlich nicht. Damals war das nur eine Angelgeschichte für mich. Später war das anders. Zuletzt habe ich sie gelesen, als ich mit dem Nierenversagen ein paar Tage in der Charité lag. Das ist für mich eine Geschichte übers Scheitern, übers Durchhalten, auch wenn etwas nicht klappt. Und so war das bei mir ja auch im Leben, ich mache Musik, seit ich 17 bin, aber meinen Durchbruch hatte ich erst mit 29, ich habe immer weiter gekämpft für das, was ich liebe. Als Kind hatte ich die schöne, naive Vorstellung, dass das Leben einfach ist, aber das ist halt nicht so.

’n Angelhaken. Foto: F. Anthea Schaap

tipBerlin Sie sind nicht der einzige Musiker, der angelt. Marco Michael Wanda macht es, Eric Clapton, Till Lindemann von Rammstein, Sido hat schon Prominentenangeln veranstaltet. Was suchen Musiker beim Angeln, die Stille nach dem Konzert?

Marteria Es ist das Bedürfnis nach einem Leben, das nicht vor Tausenden von Leuten stattfindet. Es geht um einen Ausgleich – so wie für alle Menschen mit einem Hobby. Ob man Fahrrad fährt oder läuft, es ist immer der Ausgleich.

„Das ist hier einfach Heimat für mich, hier bin ich aufgewachsen“

tipBerlin War das auch der Grund, warum Sie aus Berlin zurück an die Küste gezogen sind?

Marteria Das ist hier einfach Heimat für mich, hier bin ich aufgewachsen. Letztens war ich mal in Helsinki in der Sauna und das Kältebecken ging in die Ostsee raus – und das habe ich sofort gespürt, das hat sich wie Zuhause angefühlt. Unfassbar. Das ist mein Meer, und das merke ich jeden Tag. Aber das ist nicht alles: Hier ist alles Blau-Weiß-Rot, Hansa Rostock ist ein großes Thema, hier steht das ganze Bundesland hinter dem Verein.

tipBerlin Und die Liebe zum Meer spielt da wahrscheinlich auch eine Rolle, oder?

Marteria Ich fühl mich einfach wohl am Meer. Als ich noch in Berlin gewohnt habe und darüber nachgedacht habe, rauszuziehen, hab ich mich auch in Brandenburg umgesehen, aber das war einfach nicht meine Identität. Das ist schön da, da gibt es tolle Leute, aber das sind nicht meine Menschen. Auch hier sind die Leute zwar eher ein bisschen stur, die sagen kaum mal ein Wort mehr, als sein muss, aber sie sind nett. Ich brauche das Meer zum Atmen, die Luft ist solch ein Unterschied zur Stadt. Wenn man drei Pickel hat und hierher kommt, dann sind die weg.

tipBerlin Im Videoclip zum Song „Niemand bringt Marten um“ sind Sie im Boot von „Hacki’s Angelfahrten“ unterwegs. Ist Ihnen wichtig, immer wieder auch die Küste zu promoten?

Marteria Ja, auf jeden Fall. Und es ist auch ehrlich: Hacki ist einer meiner besten Freunde – und eine weltweite Legende in der Angelszene. Er war der Erste in Deutschland, der Angelführungen zum Beruf gemacht hat, damals noch am Peenestrom, jetzt eben auf Rügen. Till Lindemann und andere Freunde von mir angeln seit 25 Jahren mit ihm.

tipBerlin Geht es auch darum, Werbung für die lokale Tourismusindustrie zu machen?

Marteria Nicht wirklich. Hacki hat es nicht nötig, der ist immer ausgebucht, obwohl er nicht mal Social Media macht. Für ihn war das Video eher scheiße. Wir hatten uns sein Boot ausgeliehen, aber dass wir am Ende noch seine Telefonnummer einblenden, das wusste er nicht. Da hatte er ein paar Wochen lang Stress, mittlerweile rufen nur noch 20 Leute am Tag an.

„Das ist wie im ganzen Osten: Jeder vierte, fünfte tendiert dazu, rechts zu sein – und gefühlt sind das sogar mehr“

tipBerlin Ist dieses Verantwortungsgefühl für die Heimat auch der Grund, wenn Sie sich gegen Rechts einsetzen?

Marteria Auf jeden Fall, es gehört dazu, sich einzusetzen. Wir haben das Glück, in Mecklenburg ein paar Leute zu haben, die den Mund aufmachen, und das sind ja nicht nur Feine Sahne Fischfilet oder ich, sondern viele mehr, die für mehr Gerechtigkeit und mehr Offenheit werben. Wir müssen halt kämpfen hier oben. Das ist wie im ganzen Osten: Jeder vierte, fünfte tendiert dazu, rechts zu sein – und gefühlt sind das sogar mehr.

tipBerlin Ganz schön heftig…

Marteria Aber es gibt hier eben einen ganzen Querschnitt an Menschen, nicht nur eine elitäre Blase. Wenn ich zum Stammtisch gehe, dann gibt es da arbeitslos und Anwalt, rechts und links, Künstler und Maurer. So einen Querschnitt hast du in der Großstadt nicht, da bleibst du eher unter deinesgleichen. Hier gibt es eine ganze Menge Querdenker, aber hier redet man eben noch miteinander, und dieses Aufeinanderzugehen ist wichtig, gerade jetzt, weil man halt mit Argumenten doch noch was erreichen kann.

tipBerlin War dieses Leben in einer Blase auch ein Grund, aus Berlin wegzugehen?

Marteria Nein, das nicht. Ich kannte diese Arroganz ja nicht anders, ich war ja selber arrogant, ich war auch immer ein Stadtmensch gewesen, zuerst in Rostock und dann in Berlin. Ich wusste ja gar nicht, wie das ist auf dem Dorf. Das war für mich früher nur Hinterland. Ich wusste gar nicht, dass es hier gewisse Grundwerte gibt, die ich jetzt auch gut finde. Zum Beispiel eine selbstverständliche Verbundenheit mit der Natur, die dafür sorgt, dass keiner hier Grün wählt, weil alle ja irgendwie schon grün leben.

tipBerlin Ist es Ihnen auf dem Land nicht manchmal zu ruhig?

Zu den Waffen: Marterias Angeln Foto: F. Anthea Schaap

Marteria Ich dachte auch immer, mir wäre es auf dem Land zu langweilig. Aber Langeweile kommt hier gar nicht auf, es ist immer was zu tun, mein Leben hier ist total actiongeladen. Aber ich bin ja auch noch oft in Berlin und Rostock, ich genieße beide Seiten. Aber das war nicht der Grund wegzuziehen. Es war eher der Lärm und die Hektik in der Großstadt, alles war so wahnsinnig. Der Körper schreit dann und sagt, was ihm wichtig ist.

tipBerlin In „Strandkind“, einem Song von ihrem letzten Album, heißt es: „Auch die Uhr läuft hier ab, aber ist wenigstens Sand drin.“ Das klingt ziemlich depressiv. Warum läuft die Uhr denn ab hier an der Küste?

Marteria Die läuft überall ab. Hier nur tatsächlich ein bisschen langsamer.


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