Neulich, kurz vor ihrer Schließung wegen Umbaus, in der Jugend-Bibliothek „Hallescher Komet“ der AGB in Kreuzberg: Fast ausschließlich Migrantenkinder wuseln zwischen den Regalen, suchen nach hilfreicher Literatur für ihre Hausaufgaben oder stöbern einfach nur nach interessanten Schmökern. Auch in vielen anderen Berliner Bibliotheken, im Wedding etwa oder in Neukölln, ist das Bild ähnlich. Migranten und ihre Kinder interessieren sich nicht für Bildung? Integration ist ihnen egal? Man muss, wie Thilo Sarrazin, schon ziemlich weitab vom echten Leben sein, um türkischen, arabischen oder afrikanischen Einwanderern pauschal jede Bemühung abzusprechen, in unserer Gesellschaft Leistung zu bringen und Erfolg zu haben. Melek Özer etwa, türkischstämmige Mutter eines 15-jährigen Jungen und eine der Schulsuche-Protagonistinnen unserer letzten Titelgeschichte „Eine Klasse für sich“ (tip 18/10), mag mit ihrer Kopftuchaufmachung optisch viele Klischees bedienen. Ihr unglaublicher Einsatz aber, ihrem Sohn bestmögliche Bildung zu verschaffen, dürfte Vorurteile sprengen und nötigt Respekt ab.
Zumal die Özers, nebst unzähligen anderen eingewanderten Familien, nicht, wie etwa der mit einer Lehrerin verheiratete Arztsohn Sarrazin, das Glück haben, aus Schichten zu stammen, in denen Bildung und Privilegien von Generation zu Generation weitergereicht werden. Was wir brauchen ist keine ewig gleiche, völlig pauschale Migrantenschelte, sondern, wie von der UN seit Langem gefordert, endlich ein Bildungssystem, das auch solche Schüler fördert, deren Ausgangsbedingungen nicht optimal sind. Dazu gehören vor allem Ganztagsschulen, die diesen Namen auch verdienen: etwa mit einer ernsthaften Hausaufgabenbetreuung, die den schwarzen Peter nicht zurück zu den mehr oder minder befähigten Eltern schiebt.
Text: Eva Apraku
Foto: Dieter Schütz/Pixelio
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