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Vaterrolle: Ein Plädoyer für mehr Weitblick

Vatertag ist mehr als Bollerwagen und Bier. Ein Vater wiederum ist mehr als nur Erzeuger und weitaus mehr als eine soziale Randnotiz. Unsere Autorin ist selbst Mutter und findet, dass der Blick auf Väter nach wie vor viel zu eng ist, obwohl doch männliche Vorbilder so prägend für das Leben sind. „Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich!“, sagte Herbert Grönemeyer. Sie machen so einiges anders als Mütter, übernehmen wichtige Aufgaben – und kommen in Wissenschaft und Politik oft zu kurz. Warum sich das ändern sollte, lest ihr hier.

Das neue Vaterbild

Väter als Fels ihrer Kinder
Eine starke Beziehung zwischen Vater und Kind vermag Berge zu versetzen. (Symbolbild) Foto: Imago/Westend61

„Samstags gehört Vati mir!“ So lautete eine Gewerkschaftskampagne von 1956. Schon damals zeigten sich die ersten, zarten Stimmen einer Kindheit, die ihr Bedürfnis nach der Präsenz des Vaters einforderte. Mehr als 80 Jahre lang beschäftigte sich die Familienforschung hauptsächlich mit Müttern. In den ersten Studien über Väter lag der Fokus noch auf einem Vergleich zwischen den Elternteilen, anstatt die distinktive Funktion beider hervorzuheben. Moderne Väter sind präsenter und engagierter, als ihre eigenen Väter es noch waren, und bringen dabei wichtige Vielfalt in die Familiendynamik.

Von Generation zu Generation ist das anders. Auch historisch hat sich der Blick auf Vaterschaft gewandelt. Dass Väterlichkeit positiv und förderlich sein kann, nahm man in der Vergangenheit nicht so wahr. Gerade zur Zeit des Zweiten Weltkriegs dominierte ein anderer Blick auf Väter: Sie galten als bedrohliche und distanzierte Autoritätsfiguren. Und die Forschung beschränkte sich lange darauf, den Vater nicht als Person zu betrachten, sondern nur auf die Funktion einzugehen.

Dabei sind sich Wissenschaftler heute einig, dass Väter eine wichtige Rolle in der Entwicklung und Erziehung ihrer Kinder einnehmen. Inge Seiffge-Krenke, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Mainz, spricht davon, dass Vaterbilder im Vergleich zu Mütterbildern nicht nur variationsreicher sind, sondern mitunter auch schwieriger zu erfüllen. Nicht normative Formen der Vaterschaft werden auch heute noch von Wissenschaft und Gesellschaft in ihrer Bedeutung vernachlässigt.

Die Vaterrolle kann man auch weiter fassen

Väter sind Vorbilder ihrer Kinder
Väter trauen Kindern in der Regel mehr zu und sind in ihrer Erziehung üblicherweise risikobereiter. (Symbolbild) Foto: Imago/Westend61

Väterliches Engagement lässt sich ebensowenig in eine Schablone pressen wie mütterliches. Das Zerrbild, wonach nur ein stets präsenter Vater es besser machen kann als ein Ernährervater, ist historisch zwar verständlich. Zeitgemäß ist das allerdings nicht mehr. Verfügbarkeit, emotionale Zugänglichkeit und Verantwortlichkeit zeigen sich nicht nur beim gemeinsamen Spielen und Unternehmungen, sondern auch darin, sich Gedanken um die Schule, Gesundheit und Zukunft des Kindes zu machen. Diese Formen sichtbaren und unsichtbaren Engagements dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Auch die Rolle von Großvätern, Pflegevätern, Stiefvätern oder Vaterfiguren wird massiv unterschätzt. Ein Vater muss nicht biologisch mit einem Kind verwandt sein, um die Rolle eines männlichen Vorbilds übernehmen und eine väterliche Bindung zu einem Kind aufbauen zu können. Vaterfiguren und männliche Vorbilder begegnen uns in großem Facettenreichtum und hinterlassen tiefe Spuren auf dem Weg des Erwachsenwerdens.

Kai-Uwe, selbst Vater, schrieb mir: „Ich habe meine Tochter von Anfang an im Tragetuch rumgetragen, überall mitgenommen. Dabei war die Devise. Die Selbstständigkeit war mir immer wichtig, neben dem Grundvertrauen. Dementsprechend heute ein super Verhältnis, nach 22 Jahren.“

Väter machen vieles anders bei der Kindererziehung

Väter erziehen Kinder anders
Das Kamikaze-Spiel als spielfeinfühlig gesicherter Schutzraum ist ein wichtiger Lernprozess bei der Regulierung von Gefühlen. (Symbolbild) Foto: Imago/Lane Oatey

Die verschiedenen Erziehungsstile von Müttern und Vätern stehen keinesfalls im Konflikt miteinander, sondern wirken ergänzend und individuell fördernd. Ein besonderer Aspekt ist das motorisch wilde und typisch männliche Spiel, das Väter gerne mit ihren Kindern treiben, wenn sie mit ihnen raufen und sie körperlich herausfordern. Rough-and-tumble play, oder auch „Kamikaze-Spiel“, ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ein wichtiges Mittel, um zu lernen, mit negativen Affekten umzugehen und produktive Aggressivität zu fördern.

Die Rolle, die Väter bei der Autonomieentwicklung und Emotionsregulierung ihrer Kinder spielen, kann nicht einfach so von Müttern übernommen werden, wie eine Metastudie herausfand. Väter fördern in einem höheren Maße die Neugierde ihrer Kinder, ermuntern sie zur Exploration und haben einen größeren Fokus auf Motorik und Körper. Anna-Katharina schrieb mir auf Twitter: „Mein Vater war ein wunderbarer Papa. Er hat mich immer in meinen Interessen bestärkt. Und kaum ein anderer konnte mich je so gut auffangen und wieder optimistisch stimmen. Danke Papa!“

Besonders für die Identitätsfindung von Jungen sind Väter und Vaterfiguren unverzichtbar. In der epidemiologischen Forschung zeichnen sich Ergebnisse ab, wonach fehlende Väter, deren Abwesenheit auf einem Konflikthintergrund wie Trennung oder Krieg beruht, zu vermehrten psychosomatischen Erkrankungen bei ihren Kindern führen – oft noch bis weit ins Erwachsenenalter hinein. Ein verstorbener Vater, von dem Abschied genommen werden kann, wirkt sich anders auf die Psyche eines Kindes aus als ein Vater, der zwar da ist, aber durch soziale Konflikte aus dem Leben des Kindes verschwunden ist.

Was Väter brauchen? Weniger Tradition, mehr Island

Vater und Sohn
Väter wollen ihren Kindern Empathie und Selbstbewusstsein vermitteln. (Symbolbild) Foto: Imago/Cavan Images

In der Politik und Arbeitswelt fehlt es oft an realer Sensibilisierung für die Betreuungsarbeit, die auch Väter leisten wollen. Das fängt im Arbeitsleben an: Führungskräfte haben oft wenig Verständnis für den Wunsch eines Vaters nach Elternzeit, weil sie davon ausgehen, dass die Betreuungsarbeit von Müttern übernommen wird.

Was Vätern nach wie vor fehlt ist Zeitsouveränität, um ihrem Wunsch nach Kinderbetreuung nachzukommen. Auch Modelle, die den Vater direkt ansprechen, fehlen in der Familienpolitik gänzlich. Was Eltern anspricht, verfehlt in der Wahrnehmung und im Verhalten oft die Väter. So hat die Elternzeit in vielen Familien zu einer Art Retraditionalisierung geführt, bei der die Mutter komplett zu Hause bleibt, während der Vater die alleinige Versorgerrolle übernimmt.

Mit der Einführung des Elterngeldes 2007 wurden Gespräche über Vätermonate lauter – etwas, wovon sich Väter konkreter angesprochen fühlten. Wer Väter direkt erreichen will, schafft das nicht mit dem Label „Familie“. Island reserviert beispielsweise exklusive Vätermonate in der Elternzeit, die nicht getauscht werden können und mindestens drei Monate umfassen. Der Anteil der Väter, die eine gewisse Zeit bei ihren Kindern bleiben, hat sich dadurch drastisch erhöht: 96 Prozent der isländischen Väter gehen in Elternzeit. Das ist die höchste Rate der Welt.

Väter sind Partner und unersetzlicher Teil der Gesellschaft

Väter und ihre Kinder
Normative Vaterschaft gibt es nicht. Väter und Vaterfiguren haben in jeder Beziehung ihre Bedeutung. (Symbolbild) Foto: Imago/agefotostock

Väter profitieren von einer positiven Partnerschaftsqualität und einer Gesellschaft, die sie als wichtigen und individuellen Faktor der Kindererziehung anerkennt. So argumentiert Johannes Huber, Diplom-Psychologe und Professor an der Technischen Hochschule Rosenheim, dass Väter mehr als Mütter dazu tendieren, sich aus der Elternrolle zu verabschieden, wenn die Qualität ihrer Partnerschaft deutlich abnimmt. Die Paarbeziehung in ihrer Qualität hat großen Einfluss auf die Vaterschaft und die Bereitschaft von Vätern, ihrer Rolle nachzukommen.

Auch bei Trennungen ist ein gutes Verhältnis der Eltern zueinander wichtig für die Ausübung der Vaterschaft. Mütterliches Gatekeeping macht es Vätern schwerer, ihre Vaterrolle auszuführen. Der Verein Väter-Netzwerk e.V. fordert zum Beispiel das Wechselmodell als Standard bei Trennungen, das nur bei sehr triftigen Gründen wie Desinteresse oder Kindswohlgefährdung dem Residenzmodell weichen sollte.

Gesamtgesellschaftlich haben wir noch einen weiten Weg vor uns, Väter als wertvollen und distinktiven Teil der Familie und Kindererziehung zu unterstützen. Die Angebote für Väternetzwerke sind rar gesät. Dabei versetzt laut Huber die Zusammenkunft von Männern und die temporäre Geschlechtertrennung viele Väter in die Lage, sich mitzuteilen und auch ihre eigene Bindungsbiografie, besonders zu ihren eigenen Vätern, zu reflektieren.

Danke, Papa!

Kinder sind dankbar für ihre Väter
Gute Väter, glückliche Kinder: Väter bereichern die Leben ihrer Kinder von klein auf. (Symbolbild) Foto: Imago/Cavan Images

„Du kannst die Zahnspangengummis schneller auswechseln, aber Papa ist dafür witziger!“ Das sagte meine Tochter letztens zu mir, nachdem ich nur 20 Sekunden gebraucht habe, um an ihrer Spange herumzufummeln. Wenn ich an ihren Vater denke, dann denke ich an Verlässlichkeit und daran, dass er unser Kind auf ganz andere Art herausfordert und es daran stetig wächst. Einen besseren Vater für unsere Tochter könnte ich mir gar nicht vorstellen – und sie sich sicherlich auch nicht. Darum heißt es auch von uns zum Vatertag: Danke, Papa!


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