Festival

FIND – Festival Internationale Neue Dramatik 2019

Neues aus Grönland, Mexiko, China, London und anderen Katastrophengebieten. Die Schaubühne holt mit dem Festival Internationale Neue Dramatik die globalen Konfliktlagen auf die Bühne

The Wooster Group: THE TOWN HALL AFFAIR, Foto: Steve Gunther

Europa, 2025. Kriege und der Klimawandel verwüsten den verarmten Kontinent. Die Gletscher der Arktis sind geschmolzen, Grönland hat mildes Klima. Die Insel ist unabhängig von Dänemark und gesegnet mit Uran, Mineralien und anderen wertvollen Bodenschätzen, multinationale Konzerne beuten das Land aus. Sechs Klimaflüchtlinge wollen Europa als blinde Passagiere auf einem früheren Kreuzfahrtschiff nach Norden verlassen. Auf dem Meer vor Grönland kommt es zur Katastrophe. Die belgische Regisseurin Anne-Cécile Vandalem hat mit „Arctique“ einen Polit-Thriller inszeniert, mit dem die Schaubühne ihr FIND-Festival eröffnet. Das „Festival Internationale Neue Dramatik“ ist immer für Entdeckungen gut, in diesem Jahr unter anderem mit Gastspielen aus Brüssel, Santiago de Chile, New York, Peking, London, Barcelona und Montréal.

Soll das eine Drohung sein?

Aus New York kommen alte Bekannte: The Wooster Group, wahrscheinlich die berühmteste freie Gruppe der Welt, die schon in den 1970ern einen extrem einflussreichen Stilmix aus Performance, Video und Schauspiel entwickelt hat, beehrt das Festival mit einem ihrer seltenen Berlinbesuche. Ihre neue Produktion „The Town Hall Affair“ bezieht sich auf D.A.Pennebakers Dokumentarfilm „Town Bloody Hall“, der 1971 eine Diskussion über die Emanzipation festhielt, moderiert ausgerechnet vom Macho-Schriftsteller Norman Mailer – ein Zeitdokument, das wie ein früher Vorläufer aktueller Identitätsdebatten wirkt. In der Überblendung der Zeitebenen wird die New Yorker Diskussion der 1970er zum Echoraum heutiger Konfliktlagen.

Wie es sich gehört, ist das dezidiert politische Festival auch sonst debatten- und konfliktfreudig: „Die Aufführungen erforschen die politischen und gesellschaftlichen Umstände der gegenwärtigen Welt: strukturelle und institutionalisierte Gewalt, dysfunktionale Justiz-, Sozial- und Gesundheitssysteme und die Erosion des öffentlichen Gemeinwesens durch den Neoliberalismus; Flucht, Migration und Klimawandel; patriarchale Unterdrückung und deren Brechung und Infragestellung durch Feminismus und Genderdebatten“ verspricht die Schaubühnen-Dramaturgie. Das klingt im Overkill der Themen zwar fast wie eine Drohung, ist aber angesichts der Weltlage wahrscheinlich unvermeidlich und könnte spannend werden.

Ein Höhepunkt, vielleicht auch ein Fremdkörper im Festivalprogramm, ist die chinesische Produktion „Popular Mechanics“ des Regisseurs Li Jianjun und seiner „New Youth Group“, eine der wenigen freien Gruppen des Landes. In der Dokumentarinszenierung spielen Laien aus Peking berühmte Figuren des europäischen Theaters, von Hamlet bis zu Tschechows unglücklichen „Drei Schwestern“, oder Action-Helden aus Hongkong-Filmen – ein Dok-Theater der kulturellen Globalisierung. Dabei bewegen sich die Darsteller immer wieder zwischen den fiktiven Figuren und ihrem eigenen Leben, ein Ineinander der Träume und Sehnsüchte.

Der chilenische Regisseur Marco Layera holt neun Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren auf die Bühne. Sie erzählen von Verletzlichkeit, Stigmatisierung, Gewalt und ihrer Auflehnung dagegen. Das Londoner Gruppe Kandinsky untersucht mit „Trap Street“ die Ruine eines Plattenbaus, sichtbar werden ein Familiendrama und die gesellschaftlichen Folgen der neoliberalen Zerstörung des Sozialstaats. Was das Grenzregime zwischen den USA und Mexiko für das Leben der Menschen bedeutet, die als illegale Armuts- und Gewaltflüchtlinge in die USA einwandern wollen, erforscht das mexikanische Kollektiv Teatro Línea de Sombra (Mexiko-Stadt) mit den Zeugnissen Geflüchteter – sichtbar wird das Panorama einer humanitären Katastrophe.

Termine siehe: Schaubühne oder auf www.schaubuehne.de

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