Sport

Olympische Verhältnisse bei den Finals Berlin 2019


König Fußball wird entthront: Am 3. und 4. August kämpfen Nebenfiguren des Sports um Deutsche Meisterschaften – und vor allem darum, endlich ein großes Publikum zu finden. Darunter Kanuten und Schwimmer, Ringer und Turner, aber auch die Könner der Trendsportart Trial

Bogensport Schusslinie Qualifikation, Foto: Deutscher Schützenbund

Kürzlich hat der Deutsche Leichtathletik-Verband eine Pressemitteilung herumgeschickt. Die kommenden Deutschen Meisterschaften, so der DLV, könnten zum „größten Zwillingstreffen des Jahres werden“. Die Funktionäre hatten all jenen, die sich einst den Bauch ihrer Mutter teilten, freien Eintritt zu den Titelkämpfen im Berliner Olympiastadion in Aussicht gestellt. Bislang, verkündete der stolze Verband, hätten sich „mehr als 150 Mehrlinge fürs das Event angemeldet“, darunter auch Drillinge und „sogar einmal Vierlinge“. Anlass der Aktion: Die Berliner Diskus-Legende Robert Harting und seine ebenfalls diskuswerfende Frau Julia Harting waren im Mai Eltern von Zwillingen geworden.

Es gibt mehrere Erkenntnisse, die man aus dieser kleinen Anekdote ziehen kann. Es gibt ziemlich viele leichtathletikinteressierte Zwillinge. Robert Harting taugt immer noch eher als Aufmerksamkeitshersteller als aktive Athleten, obwohl der mehrfache Weltmeister seit dem vergangenen Jahr im sportlichen Ruhestand ist. Vor allem aber: Die Leichtathletik wäre gerne wieder „ein Event“.

Ein Bedürfnis, das die Leichtathletik hierzulande mit jeder anderen Sportart teilt, die nicht Fußball heißt. Ein Bedürfnis, das zu den „Finals Berlin 2019“ geführt hat. An einem einzigen Wochenende, am 3. und 4. August, werden zehn verschiedene Sportarten ihre Deutschen Meisterschaften in Berlin austragen. Darunter die beiden sogenannten olympischen Kernsportarten Schwimmen und Leichtathletik, ebenso traditionsreiche Betätigungsformen wie Boxen oder Turnen, aber auch der Newcomer Trial, eine verwegene Unterdisziplin des Radsports.

So unterschiedlich sie auch sein mögen, all diesen Sportarten ist eins gemeinsam: Ihre Athletinnen und Athleten fühlen sich unterbewertet. All diese Sportarten sind vom alles absorbierenden Fußball in den Medien zu Randerscheinungen degradiert worden. Selbst für die einstmals gefeierte Leichtathletik interessiert sich die Öffentlichkeit nur noch alle vier Jahre, wenn die Olympischen Spiele stattfinden.

Die Lösung soll sein: ein Event. Ein kleines Olympia.

Vorgemacht haben es die „European Championships“. Im vergangenen Sommer wurden in acht Sportarten zur selben Zeit Europameister gesucht, konzentriert auf zwei Städte. Mehr als 4.500 Athleten aus 52 Ländern kamen nach Berlin und Glasgow, mehr als eine Milliarde Menschen, so wird geschätzt, schaltete den Fernseher sein. Es gab eine Eröffnungsfeier, einen Medaillenspiegel – ganz wie bei Olympia – und vor allem viel mediale Aufmerksamkeit. Aufgrund des Erfolgs sollen 2023 wieder „European Championships“ stattfinden, im Gespräch als Gastgeberstädte sind Rom, Brüssel, London, Berlin oder Hamburg.


Sendezeit für Nischensportarten


Einen vielleicht nicht so großen, aber doch ähnlichen Effekt erhofft sich Siegfried Heckl auch von den Finals in Berlin. „Das ist ein tolles Event aus unserer Sicht“, sagt der für Trial zuständige Referent beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR), „weil wir sonst kaum in der Öffentlichkeit stattfinden – und ohne Öffentlichkeit ist es schwer, Sponsoren zu finden.“ Die Trial-Fahrerinnen, die sich auf ihren Fahrrädern durchaus spektakulär über zum Teil gewaltige Hindernisse befördern, hoffen auf mehr TV-Übertragungszeit, als sie sonst gewohnt sind. Eine Hoffnung, die in Erfüllung gehen dürfte, denn bislang findet Trial eigentlich überhaupt nicht im überregionalen Fernsehen statt. Für die Finals aber haben ARD und ZDF angekündigt, an den beiden Wettkampftagen am Wochenende 99 Kameras einzusetzen und mehr als 20 Stunden live zu übertragen. Die Entscheidungen, die es nicht ins Free-TV schaffen, werden immerhin als Stream im Internet zu sehen sein.

Damit der Trial-Sport diese Chance auch bestmöglich nutzt, hat der Verband eine Vor­ausscheidung organisiert. In Berlin werden nur die Allerbesten antreten, oft nur drei oder vier Fahrer oder Fahrerinnen pro Wettbewerb. So soll garantiert werden, dass sich die Nischensportart in der wertvollen Sendezeit spektakulär präsentieren kann. Und irgendwann vielleicht aus der Nische heraus kommt: „Ein Wunschtraum wäre es“, sagt Trial-Referent Heckl, „wenn wenigstens die Top-Fahrer nicht mehr draufzahlen müssten und über Sponsoren und Verband ihren Job halbprofessionell machen könnten.“ Die erhöhte Aufmerksamkeit, die die Finals für die einzelnen Sportarten generieren, soll in einen Imagegewinn verwandelt werden.

Bei der Team Relay Weltmeisterschaft während der ITU World Triahtlon Series in Hamburg am 14.07.2018, Foto: Jörg Schüler

Auch für Berlin, einst schmählich gescheiterte Möchtegern-Olympia-Bewerberin, sind die Finals eine willkommene und zudem bezahlbare Gelegenheit, sein Image aufzupolieren. Nur drei Millionen Euro kostet das Land das Sport-Wochenende mit bundesweiter Strahlkraft, das, so Sportsstaatssekretär Aleksander Dzembritzki bei einer Pressekonferenz, „einen wichtigen Beitrag zur Vielfalt der Sportmetropole Berlin leisten“ soll. Die Partywelthauptstadt als Zentrum des deutschen Sports.

Tatsächlich wird sich Berlin an diesem einen Wochenende sehr viel anders zeigen als gewohnt. Unter der Oberbaumbrücke, über die sich die Feierwütigen aus aller Welt wälzen, kämpfen die Kanutinnen um Meistertitel. Die Max-Schmeling-Halle, wo sonst hauptsächlich Konzerte stattfinden und die Füchse Bundesliga-Handball spielen, wird geturnt, und das Velodrom, ebenfalls eine beliebte Musik-Location, wird wieder einmal seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt und begrüßt die Bahnradsportler*innen.

Die allermeisten Wettbewerbe aber finden auf dem Gelände um das Olympiastadion herum statt. Mit Leichtathletik, Schwimmen, Bogenschießen, dem Modernen Fünfkampf und dem Zieleinlauf des Triathlons – alles in Laufweite voneinander entfernt – könnte tatsächlich so etwas wie eine olympische Atmosphäre entstehen. Von der auch das Boxen profitieren möchte, das im Kuppelsaal im Olympiapark steigt, wo bei den Spielen 1936 die Fechtwettbewerbe stattfanden.

„Toll, dass wir an dieser sporthistorischen Stelle boxen werden“, sagt Manfred Dörrbecker, Pressesprecher des Deutschen Boxsport-Verbandes (DBV). Die Boxer rechnen damit, dass die 1.080 Sitzplätze im Kuppelsaal am Wochenende gut gefüllt sein werden. Nicht unbedingt eine Verbesserung zu sonstigen Deutschen Meisterschaften, wo an den Finaltagen bis zu 1.500 Zuschauer kommen. Vor allem aber hofft Dörrbecker auf „eine größere Öffentlichkeitswirkung, die uns Auftrieb geben wird. Durch die zentrale Werbung gibt es schon jetzt mehr Anfragen und ein größeres Interesse als sonst.“ Nachteile der Eventisierung sieht Dörrbecker ebensowenig wie Heckl. „Man muss sich eben anpassen, sich bewegen und mediengerechter werden, sonst geht man unter“, sagt der Pressesprecher der Boxer, der sich auch ganz persönlich auf das Ereignis freut. „Sonst kriegt man ja nicht viel mit von anderen Sportarten, da fehlt die Gelegenheit.“ In Berlin würde Dörrbecker gern zum Bogenschießen oder gleich nebenan ins Stadion zur Leichtathletik – aber nicht wegen des größten Zwillingstreffens des Jahres.

Orte und Zeiten unter finals2019.berlin.de

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