• Stadtleben
  • Flüchtlingsrat Berlin: Das läuft schief im Umgang mit Ukraine-Geflüchteten

Ukraine

Flüchtlingsrat Berlin: Das läuft schief im Umgang mit Ukraine-Geflüchteten

Der Verein Flüchtlingsrat Berlin erfährt oft mit als erstes von Problemen in der Unterbringung und Weiterverteilung von Geflüchteten. Martina Mauer vom Flüchtlingsrat berichtet in einem Gastbeitrag von den dringendsten Problemen. Ein Protokoll von Martin Schwarzbeck.

Geflüchtete werden am Ankunftszentrum Tegel schnellstmöglich in die übrige Bundesrepublik weiterverteilt. Foto: Imago/Stefan Trappe

Hauptproblem Nr. 1: Die bundesweite Verteilung

„Die Geflüchteten kommen meist am Hauptbahnhof an, werden dann ins Ankunftszentrum Tegel gebracht. Dort wird abgefragt, ob sie in Berlin enge Verwandte, einen Arbeitsvertrag, Studienplatz, Ausbildungsplatz oder eine dauerhafte Wohnmöglichkeit haben. Wenn nicht, werden sie in andere Bundesländer verteilt. Wer sich gegen die Verteilung sperrt, bekommt in Berlin künftig keine Sozialleistungen mehr. Auch die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für ukrainische Kriegsflüchtlinge gibt es in Berlin nur, wenn man eine der genannten Bedingungen erfüllt. Allerdings halten sich die Menschen visumsfrei bis Ende August hier auf, weshalb eine Registrierung nicht zwingend erforderlich ist.

Wie wünschen uns hier viel mehr Informationen für die Geflüchteten, damit sie ihre Situation verstehen und eigenständig informierte Entscheidungen treffen können. Und die Menschen benötigen Zeit, um sich zu überlegen, wo kann und will ich leben und arbeiten, wo kann ich gegebenenfalls mein Studium fortsetzen. In Tegel fehlen dafür der Raum und die Ruhe, es ist sehr hektisch dort, Beratung findet kaum statt.

Das Ankunftszentrum funktioniert wie eine Schleuse: Hauptsache, die Menschen sind schnell weg aus Berlin. Denn die Behörden  haben Angst, je länger die Menschen bleiben, desto mehr Kontakte knüpfen sie, desto schwerer kriegt man sie hier wieder weg. Es kam vor, dass ein Bus nach Frankfurt vorfuhr, und als der voll war, wurde allen übrigen gesagt, sie sollten jetzt in den Bus nach Lyon in Frankreich steigen. Die Menschen wollten gar nicht nach Frankreich, sie wollten in Deutschland bleiben, wussten aber nicht, dass sie das auch dürfen.“

Hauptproblem Nr.2: Kaum Berücksichtigung besonderer Schutzbedarfe

„Problematisch ist auch, dass bei der Verteilentscheidung, besondere Schutzbedarfe kaum Berücksichtigung finden. Wer Arbeit hat, darf in Berlin bleiben, wer eine Behinderung oder Krankheit hat, soll in andere Städte gehen. So sieht es ein Senatsbeschluss vor. Besondere Bedarfe werden gar nicht erst ermittelt. Ein drastisches Beispiel für diese fehlgeleitete Politik ist der Umgang mit einer Gruppe gehörloser Geflüchteter aus der Ukraine. Während ihnen erst in Aussicht gestellt wurde, dass sie in Berlin bleiben können, wird nun seitens der Behörden massiv Druck ausgeübt, dass die Menschen einer Verteilentscheidung nach Köln nachkommen.

Den Geflüchteten wurde die Sozialhilfe gekürzt und eine Unterkunft zugewiesen, in der es nicht einmal Küchen gibt. Die Menschen haben mehrfach artikuliert, dass sie als Gruppe zusammen in Berlin bleiben möchten, denn hier gibt es die benötigte Unterstützungsstruktur und auch schon einige Angebote für Schul- und Arbeitsplätze. Die Gruppe ist wegen ihrer gemeinsamen ukrainischen Gebärdensprache zwingend aufeinander angewiesen. Viele von ihnen sind traumatisiert und sie haben große Angst, auseinandergerissen zu werden und in der Isolation zu landen.“

Hauptproblem Nr. 3: Die Drittstaatsangehörigen

„Auch die Situation von aus der Ukraine geflüchteter Drittstaatsangehöriger ist häufig prekär, also von Menschen, die in der Ukraine gelebt, studiert oder gearbeitet haben, aber nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzen. Sie dürfen sich bis Ende August visumsfrei in Deutschland aufhalten, aber eine Aufenthaltserlaubnis als Kriegsflüchtlinge erhalten sie nur, wenn die Ausländerbehörde eine Rückkehr ins Herkunftsland für unzumutbar hält. Wir befürchten, dass die Ausländerbehörden hier sehr enge Maßstäbe ansetzen. Es gibt aber sehr viele individuelle Gründe, warum Menschen, die in der Ukraine gelebt haben, nicht in ihr Ursprungsland zurückkehren können. Viele hängen aktuell völlig in der Luft. Jetzt ist die Frage: Wie will der Senat seine landesrechtlichen Spielräume nutzen, um diesen Menschen eine Perspektive zu bieten?

Viele berichten, dass sie als People of Colour auf der Flucht und auch in Berlin Diskriminierung erfahren haben. Zum Beispiel gab es mehrere Fälle, bei denen Geflüchteten von Polizei oder Ausländerbehörde rechtswidrig die Pässe abgenommen wurden. Ohne Pass waren die Menschen völlig blockiert, sie konnten nicht weiterreisen, kein Konto eröffnen, nichts. Sie haben wochenlang versucht ihre Dokumente wieder zu bekommen, was erst nach Intervention des Flüchtlingsrats gelang.“

Umgang mit Geflüchteten am Ankunftszentrum Tegel: Statt einer Aufenthaltserlaubnis gibt es nur ein PDF zum selbst drucken. Foto: Imago: Stefan Trappe

Hauptproblem Nr. 4: Die Arbeitserlaubnis

Für eine Arbeitserlaubnis braucht es eine Aufenthaltserlaubnis. Weil das Landesamt für Einwanderung nicht die Kapazitäten hat, für mehrere 1.000 Geflüchtete sofort eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen, hat es ein online-Registrierungsverfahren eingeführt. Dort kann man die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis beantragen und bekommt irgendwann einen Vorsprachetermin mitgeteilt. Statt der gesetzlich vorgesehenen Fiktionsbescheinigung, die auf amtlichen Vordruck der Bundesdruckerei die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bis zu diesem Termin bestätigt, erhalten die Menschen zunächst nur ein PDF zum Selbstausdruck, das weder eine Unterschrift trägt, noch ein Foto, noch ein Hologramm oder einen Stempel.

Der Aufenthalt und eine Arbeitsaufnahme gelten mit dieser vorläufigen Bescheinigung als erlaubt – wenn die Voraussetzungen für den vorübergehenden Schutz für Kriegsflüchtlinge gegeben sind. So enthält dieses PDF zahlreiche Wenn-Bestimmungen, wie zum Beispiel, dass die Einreise erst nach Ausbruch des Krieges erfolgt sein muss oder bei Drittstaatern, dass  eine Rückkehr ins Herkunftsland unmöglich sein muss. Dadurch wird diese Bescheinigung maximal uneindeutig. Arbeitnehmer:innen machen sich strafbar, wenn sie jemanden beschäftigen, ohne sich vorab versichert zu haben, dass eine  Arbeitserlaubnis vorliegt. Aber sollen sie nun, bevor sie jemanden aus der Ukraine beschäftigen wollen, selbst prüfen, ob für die Person alle genannten Wenn-Bestimmungen erfüllt sind? Die Zettelbescheinigungen sind nicht nur auf dem Arbeitsmarkt problematisch, sondern auch bei der Wohnungssuche, bei der Eröffnung eines Kontos und in vielen anderen Lebensbereichen.


Mehr zum Thema

Spenden für Geflüchtete: wie wir den Menschen aus der Ukraine helfen können. Geschichten von der Flucht: Irina Shylova kam aus der Ukraine nach Berlin. Kulturelle Vernetzung: Berlin und Kyjiw sind Schwesterstädte der Herzen. Mehr Geschichten aus dem Stadtleben gibt es auf unserer Überblicksseite.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin