• Kultur
  • Gegen den Schrecken hilft keine Trüffelsuppe

Bühnenkritik

Gegen den Schrecken hilft keine Trüffelsuppe

Genussbürger wie Du und ich:Thomas Ostermeier inszeniert Maja Zades Farce abgrund

v.l.n.r.: Laurenz Laufenberg, Jenny König, Christoph Gawenda Foto: Arno Declair

Maja Zades Farce „abgrund“, deren Uraufführung Thomas Ostermeier jetzt an der Schaubühne inszeniert hat, folgt einer cleveren Versuchsanordung: Die erste Hälfte montiert ohne Figurenzuweisung das mehr oder weniger leerlaufende Parlando einer Abendgesellschaft im Milieu arrivierter Großstädter aus dem akademischen und irgendwie kreativen Feld. Es sind Distinktionsgewinnler und Genussbürger mit verfeinerten Geschmacksnerven, die sich natürlich nicht nur kulturell und ökonomisch, sondern auch moralisch zu den Bessergestellten zählen. Also wird bei Wein, Käse und Trüffelsuppe mit freundlichem Gleichmut über Meersalz, Hawaii-Urlaube, Dinkelbrot, koksende Freunde, Landpartien nach Brandenburg, die letzten Erbschaften, die Vorzüge und Nachteile sexuell offener Beziehungen, Theaterbesuche, die Unterstützung für Geflüchtete und anderen kultivierten Zeitvertreib geplaudert. 

Gerade als das langsam langweilig zu werden droht und man beim Zusehen von Amüsiertheit und Momenten peinlichen Wiedererkennens aus eigenem Erleben vertrauter Party-Gespräche auf Ekelgefühle umschaltet, geschieht Gott, beziehungsweise Spannungsdramaturgie sei Dank, eine Katastrophe: Im Nebenzimmer hat das kleine Töchterchen der Gastgeber ihre Schwester, einen Säugling, aus dem Fenster geworfen – ein Unglück, ein tödlicher Unfall, der Einbruch der Tragödie ins Eitelkeitenspiel der Party-Gesellschaft. Das ist als Verweis auf die Gefährdung der saturierten Plauderrunde (wie des sie tragenden Milieus der wohlstandsgesicherten oberen Mittelschicht) zwar etwas willkürlich und in der Annahme, Katastrophen und Risiken lauerten vor allem im privaten Bereich selbst Ausdruck des Vertrauens auf immerwährende Systemstabilität, aber im Bühnengeschehen ist es natürlich recht wirkungsvoll. 

Thomas Ostermeier verteilt das Geplauder auf sechs Figuren (gespielt von Christoph Gawenda, Moritz Gottwald, Jenny König, Laurenz Laufenberg, Isabelle Redfern, Alina Stiegler), zwei Paare, der obligatorische schwule Freund und eine erfrischend abgebrühte Singlefreundin. Man sitzt an Barhockern um die Edelstahl-Arbeitsplatte in der Designerküche (Bühne und Kostüme: Nina Wetzel). Das Publikum wird nur indirekt, nämlich über Kopfhörer, zum Zeugen des privaten Smalltalks – ein Distanzeffekt, der das intime Geplauder verfremdet und gleichzeitig akustisch vergrößert. Das hat eine gespenstische Wirkung, unwillkürlich meint man, die Stimmen der Tafelrunde auch im eigenen Kopf zu hören. Die Regie des Wirkungstechnikers Ostermeier karikiert die Figuren nicht, er zeichnet sie ohne übertriebenes Mitgefühl, aber auch ohne Häme, als: unseresgleichen. 

Schaubühne Kurfürstendamm 153, Wilmersdorf, Do 9.5., Di 28.5., Mi 29.5., 20 Uhr, ausverkauft, ggf. Resttickets an der Abendkasse

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin