Architektur und Lunch

Gurke, Schmand, Beton: Die Chipperfield Kantine in Mitte

Mitten in Mitte, aber doch ziemlich versteckt, präsentiert die Chipperfield Kantine eine gelungene Architektur, eine nicht minder beglückende Lunch-Küche und vor allem einen zeitgemäßen Umgang mit den Ressourcen der Stadt

Foto: Ute Zscharnt / David Chipperfield Architects

Just zwischen August- und Linienstraße, den beiden Galerie-Meilen im Norden von Berlin-Mitte, verläuft die Joachimstraße. Maren Thimm, die in der Linienstraße das Restaurant „Lokal“ betreibt, betreibt in der Joachimstraße auch die „Kantine“ – keine Kantine im herkömmlichen Sinn, mit Convenience Food und oft belangloser Einrichtung, sondern ein anregender Treffpunkt, sowohl Betriebskantine als auch offen für Passanten.

Großen Anteil an diesem Ort hat der Erbauer und Hausherr der Kantine, das Architekturbüro Chipperfield, das in Berlin insbesondere mit Gebäuden auf der Museumsinsel für einen in dieser Stadt ja fast ungewohnten Spaß an der zeitgenössischen Architektur gesorgt hat: mit dem wiederbelebten Neuen Museum und der James-Simon-Galerie. Urbane Orte schaffen, jenseits von Kommerz, für die bürgerliche Begegnung, das ist das Mantra von Chipperfield.

So ist die „Kantine“, wie der Betrieb offiziell heißt, eigentlich die Chipperfield Kantine, weil sich hier die Mitarbeiter des Architekturbüros, rund 120 Leute, täglich treffen können, ob zum Frühstück, mittags zum Lunch oder nachmittags zum Kaffee. Gleichzeitig steht die „Kantine“ auch Leuten aus der Nachbarschaft offen – oder den Flaneuren.

Verlockende, luftige Räume

Der Chipperfield Campus erstreckt sich in die Tiefe. Dem Vorderhaus folgt kein gewöhnlicher Hinterhof, sondern ein fließender Raum, in den Gebäude hineingestellt wurden. Der Besucher durchschreitet den Tordurchgang des Vorderhauses, fühlt sich nach hinten gezogen und erblickt linker Hand einen einfachen Baukörper aus Beton, zweigeschossig, an der Vorderseite mit großen Fenstern, kompakt und doch transparent. Es ist die Kantine, der eine Terrasse vorgelagert ist – eine verlockende, luftige Hofräumlichkeit.

Auf den ersten Blick erscheint es ungewohnt, dass ein modernes Gebäude mehr Betonwand als Glaswand zur Schau stellt. Ein Bau für die Ewigkeit, denkt man, nichts Ephemeres, Flüchtiges.

Aber der fließende Hofraum macht das Ganze gleich sympathisch, hinzu kommt die Terrasse, grün beschattet von Dachplatanen, der Boden belegt mit hellem Splitt, der wunderbar knirscht, wenn die Leute mit ihren Tellern und Gläsern einen Platz an den Biergartentischen suchen.

Es sei nicht darum gegangen, so der für den Bau zuständige Architekt Alexander Schwarz, eine neue Typologie für die Kantine zu entwerfen, sondern ein typisches Chipperfield-Gebäude, das vielseitig nutzbar ist und eben auch als Kantine eingerichtet werden kann. Hier können Architekturliebhaber und mögliche Auftraggeber erleben, wie sich die Räume eines Chipperfield-Baus anfühlen: ungewöhnlich, aber abstrakt und klar. „Die polierte Betonwand“, sagt Schwarz, „ist eine Alleskönnerin – sie ist Außen- wie Innenwand, bietet Schutz und Geborgenheit, Ruhe und Aufgeräumtheit, gibt nicht vor, mehr zu sein, als sie ist, echt und unverfälscht.“

Innen erblickt der Gast eine lange hellbraune Lederwandbank, davor kleine Tische. Und davor ein langgestreckter Tresen aus Beton, bedeckt mit Marmor – teils Theke mit Kasse, Kaffeemaschine, einigen Glasglocken mit Gebäck darunter, teils Arbeitsplatz für die Köche, dahinter wiederum der Herd und die Spüle. Die Küche arbeitet selbständig – und ist nicht, wie man oft liest, abhängig von der Küche im „Lokal“.

Im oberen Gastraum stehen große Eichholztische und Bänke, von David Chipperfield selbst entworfen. Bodenlange, graugrüne Vorhänge bringen etwas Sanftes in den Raum. Man sitzt dort an den langen Tischen mit Menschen, die man nicht kennt, mit denen man aber leicht ins Gespräch kommt. Sucht man nach angelsächsischen Begriffen, die die „Kantine“ charakterisieren könnten, so sind es „Live-Cooking“ unten und „Family-Style“ oben.

Es ist schön, hier zu sitzen, sei es drinnen, sei es draußen. Und die Kochkunst gibt sich so unverfälscht wie die Baukunst, mit frischen, natürlichen Zutaten: Salat mit Spinat, Gurke, gehobeltem Fenchel, Weintrauben, Schafs­käse und milder Marinade, knackig und saftig; Süßkartoffelsuppe mit Curry oder Fusilli mit Kalbs-Hühner-Ragout. Täglich ist ein bisschen Italianità dabei. Aber es gibt auch anderes wie Kabeljaufilet, auf den Punkt gebraten, mit Spargel-Gurken-Schmand-Salat. Der Gast bestellt an der Theke und bringt einen Teil des Bestellten an den Tisch. Die warmen Gerichte werden serviert, nett und freundlich.

Man erlebt das, was die digitale Welt nicht zu bieten hat, fühlt, wie es ist, wenn der menschliche Körper in einem körperhaften Raum steht, nimmt lebendige Sinnlichkeit wahr, Wärme, Düfte, Aromata, Blicke. Der Alltag, das Wohnliche, die Ernährung, die Bekömmlichkeit der Speisen und der Umgang mit Menschen – all das wird hier ernst genommen, ohne ernst und steif zu wirken, sondern heiter und munter.

Kantine (Chipperfiled Kantine) Joachimstr. 11 (im Hof), Mitte, Mo–Do 8.30–17.30 Uhr, Fr bis 19 Uhr, www.kantine-berlinmitte.de

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