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Architektur

Harry Gerlachs bunte Horror-Häuser: Beendet das grelle Grauen!

Harry Gerlach, dieser Name steht für die hässlichsten Häuser Berlins. Knallbunt und seelenlos, ein Albtraum in allen Farben des Regenbogens. Wenn Wände schreien könnten, wäre es in direkter Nachbarschaft der Gerlach-Immobilien ohrenbetäubend laut.

Mit ihrer penetranten Farbgebung reißen die Häuser der Firma ganze Nachbarschaften in ästhetische Abgründe. Aber was kann man tun? Eigenmächtig neu streichen? Abreißen? Enteignen? Egal wie radikal: Hauptsache, Harry Gerlachs Immobilienimperium wird endlich grau.


Hier hat sich Harry Gerlach ausgetobt: Am Nordufer in Wedding sind die Häuser gnadenlos und grell. Foto: imago images / Jürgen Ritter
Hier hat sich Harry Gerlach ausgetobt: Am Nordufer in Wedding sind die Häuser kunterbunt. Foto: imago images / Jürgen Ritter

Gesehen hat die Häuser sicher schon jede*r Berliner*in. Harry Gerlach lebt sein Faible für Farben schließlich seit den 1960er-Jahren aus. Und kaum ein Berliner Kiez wird verschont. Hermannstraße, Flughafenstraße, Südstern, Nordufer – Gerlach bekennt Farbe, dass es nur so in den Augen flimmert. Die Fassade wird großflächig getüncht, knallig und eintönig zugleich. Und wenn im Farbkasteneifer ausnahmsweise auf Spielereien wie pinke Balkone und violette Erker verzichtet wird, dann bleibt ein brachial gesetzter Sinnspruch übrig: „Ick steh uff Wedding dit is meen Ding.“ Natürlich auf Berlinerisch. Damit kennen wir uns ja auch aus.

Harry Gerlachs Monumente der Naivität

Das kann wirklich jeder und jede in Berlin besser. Das Problem: Niemand darf es. Vermieter*innen sind mächtige Menschen. Der englische Begriff „landlord“ kaschiert das weitaus weniger. Gerlach, das ist ein Königreich. Die Farben sind eine Machtdemonstration.

Aber auch Monumente der Naivität: „Berlin sollte ein bisschen bunter und freundlicher werden. Man sollte immer lächeln, wenn man nach Hause kommt“, schreibt die Geschäftsführerin Jeannine Gerlach auf der Website des Familienunternehmens. Voll lieb!

Ein Haus  von Harry Gerlach in Wedding: "uff". Foto: imago images / STPP
Ein Haus von Harry Gerlach in Wedding. Das wichtigste Wort: „uff“. Foto: imago images / STPP

Unternehmensgründer Harry Gerlach ist bisher nur selten öffentlich in Erscheinung getreten. Nur einige O-Töne hat er hinterlassen: 2014 etwa im exilchinesischen Portal „The Epoch Times“. Anlass war eine Show der religiös inspirierten Theatertruppe Shen Yun, die Jahr für Jahr im Frühling für ihre quietschbunte Tanz-Folklore-Show jede verfügbare Werbefläche mietet. Harry Gerlach sah darin eine Aufforderung: „Diese Farben kann man alle verwenden, zum Beispiel für die Hausgestaltung“, so wird er zitiert.

Gutes Bunt und schlechtes Bunt

Dabei muss Farbe ja nicht schlecht sein: In Berlin befindet sich schließlich mit der Waldsiedlung Zehlendorf ein Architektur-Meisterwerk aus Bauhaus-Zeiten, das nicht zuletzt durch Farbgebung überzeugt. Bruno Taut baute dort die „Papageiensiedlung“.

Und die Berliner Künstlerin Katharina Grosse hat im Hamburger Bahnhof mit der Ausstellung „It Wasn’t Us“ eine regelrechte Farbexplosion verursacht. Das ist ausgesprochen spektakulär – aber wohnen will man bei ihr nicht.

Und so steht man dann doch wieder irgendwo in Berlin herum, an der Reinickendorfer Antonienstraße etwa, entdeckt einen dieser sagenhaft hässlichen Farbkleckse – und fühlt sich hilflos.

Denn dank Harry Gerlach hat Berlin sich an zentralen Ecken das ästhetische Konzept einer McDonald’s-Filiale geliehen. Dabei gibt es doch so viel: preußischen Glanz in schönen Schlössern. Kühne Fehlschläge wie das unglaublich enttäuschende Sony Center. Und die so verlachte, aber geile Baller-Architektur. Aber neben einem penetranten Gerlach-Haus hätte nichts davon Bestand.

Schöner als die Häuser: Die Harry-Gerlach-Firmenphilosophie

Dabei lebt es sich wahrscheinlich sehr gut in diesen Häusern. Und überhaupt ist das natürlich eine Beschwerde über ein Luxusproblem. Denn wer in dieser Stadt eine bezahlbare Wohnung gefunden hat, kann sich glücklich schätzen. Auch wenn Gerlach den Mieter*innen das grelle Grauen zumutet, scheint die Firma ihre Kund*innen gut zu behandeln. Dass zur Philosophie gehört, möglichst langfristig zu vermieten, wie die Unternehmenswebsite verrät, ist ja in der schnelllebigen und von Gier geprägten Branche ein Alleinstellungsmerkmal.

Man sollte Milde walten lassen

Die denkbar einfachste Lösung für das Farbfiasko wäre es, weitaus mehr Berliner Straßenzüge unter Denkmalschutz zu stellen. Dann hätte in jedem Fall von Fassadenrenovierung mit dem Tuschkasten das Immobilienunternehmen weitaus weniger Spielraum. Die zuständige Bezirksverwaltung hätte ein Wörtchen mitzureden: Grelles Gelb, Türkis und Pink wären Tagesordnungspunkte im demokratischen Prozess.

Mit Farbenlehre haben Berliner Abgeordnete ohnehin Erfahrungen. Schon eine Kombination aus Rot, Rot und Grün, die eigentlich ohne kreischende Kontraste auskommen müsste, sorgt für Spannungen. Daraus lassen sich zumindest für schlichtere Fassaden ein paar Schlüsse ziehen.

Die Stadt ist jedoch nicht komplett erhaltenswert, Bausünden gibt es genug in Berlin. Denkmalschutz überall? Lieber nicht.

Wie soll’s mit Harry Gerlach weitergehen? Eine Idee

Was also tun? Farbbeutel an die Hauswand? Ein Blick ins Grundgesetz ist da sinnvoller. „Eigentum verpflichtet“, heißt es in Artikel 14. Dessen Paragrafen sieht die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ als Auftrag. Das Bündnis strebt einen Volksentscheid über die Überführung von Immobilienkonzernen mit mehr als 3000 Wohnungen in Gemeineigentum an. Ein kontroverses Vorhaben, dessen Kosten sich auf einen dreistelligen Milliardenbetrag belaufen dürften.

Einige Hektoliter grauer Wandfarbe dürften da nicht weiter ins Gewicht fallen. Irgendwo in der Beschlussvorlage für die Innenverwaltung ist doch sicher Platz für einen Nebensatz zum Thema Streichen. Schon wären die Gerlach-Fassaden rechtssicher grau. Das würde völlig reichen. Denn abreißen muss man die Häuser nicht: Die sind doch noch gut – und innen sicher schöner als außen.


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