Kolumne

Jackie A. entdeckt … Akku aufladen

Aussteigen am S- Bahnhof Frankfurter Allee: Den Döner-Verkäufer unten im Kiosk kenne ich schon. Er erzählte mal, dass er in Syrien eigene Breakdance-Auftritte hatte, in Deutschland aber nur noch Döner verkauft und „Deutsche lernt“. „Geht doch schon!“, log ich und fragte halb im Spaß, ob er nicht mitkommen wolle ins Tanzstudio, um zu zeigen, was er drauf hat. Er lachte, sagte: „Zu müde.“ Und mir war’s auch recht, dass er da weiter den Imbiss betreibt, denn wo sollte ich sonst noch was zu essen bekommen, nachher nach dem Training?

„Wir üben wieder und wieder Afro-Fusion, bis die Oberschenkel schmerzen“

Dem Obdachlosen an der Ecke will ich noch schnell einen Euro zustecken. Da ist der ganz empört. „Was soll das?“, ranzt er mich an, er sammele hier nicht,  und ob er wirklich schon so fertig aussehe? Eilig gehe ich weiter, nur noch ein paar Meter sind es zum Tanz-Studio „One Vibe“. Im Umkleideraum herrscht Betrieb, junge Menschen schälen sich aus Pullovern, es gibt Umarmungen, bevor wir uns im Saal aufstellen, hinter Trainerin Luana, deren Tanzschritte wir hier bei „Afro-Fusion“ für Einsteiger nur mit Mühe folgen können. Wir üben wieder und wieder, bis die Oberschenkel schmerzen.

„Afro-Fusion“ oder „Afro-House“ ist ein schneller Tanz, die Bewegungen ungewohnt. Dass das Training nicht zur Qual wird, liegt an der ganz und gar grandiosen Musik. Und wenn Luana nach der Stunde die Trackliste in unsere Whatsapp-Gruppe postet, wird darauf meist schon gewartet. Was war das nochmal? …– von A-Star? Genial! Eine Kollegin merkte mal etwas ketzerisch an, dass sie es schwierig fände, wenn Frauen um die 50 ihren zweiten Frühling beckenkreisend zu afrikanischen Rhythmen entdeckten. Ich weiß schon, was sie meint, schrieb ich doch selbst mal einen spitzen Text zum Phänomen „Weltmusik mit, naja, speziellem Fankreis“.

Allerdings hat sich in den letzten Jahren so ziemlich alles verändert, seit Tunes aus Afrika einen wahren Hype auslösten, inklusive Netflix-Dokus und Tanz-Challenges auf Instagram. Die Kursteilnehmer hier kommen aus allen Ecken der Welt, sprechen Deutsch, Englisch oder Französisch. Erfolgserlebnisse stellten sich bei mir eher langsam ein. Also warum Afro-Fusion? Bei mir ist es so: Egal wie müde und mies gelaunt ich eintreffe – nach der Stunde sind die mentalen Akkus aufgeladen, Frust oder Bad Vibes gewissermaßen weggeschwitzt. Und dem Brandenburger Winterblues kam ich bisher erfolgreich davon. Andere verarbeiten so auch Krankheit, traumatische Erlebnisse oder bauen ein angeschlagenes Selbstbewusstsein auf.

Warum sich nicht viel mehr Menschen so ein Tanz-Training gönnen?, frage ich mich später beim Einsteigen am S-Bahnhof Frankfurter Allee.

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