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Interview

Judith Poznan und ihr neuer Roman „Aufrappeln“: Krise kann sie

Judith Poznan, geboren 1986 in Berlin-Lichtenberg, machte 2021 mit ihrem Debüt „Prima Aussicht“ Furore. Ihr neues Buch „Aufrappeln“ ist ein herzergreifender Trennungsroman. Wir sprachen mit der Autorin über die Beschissenheitsskala des Wohnungsauszugs, ihre Erfolgszweifel als Arbeiterkind, betrunkenes Posten auf Instagram, das Ringen mit dem Imposter-Syndrom und ihre Selbstbezeichnung als „ostdeutsche Taylor Swift“.

Judith Poznan
Judith Poznan hat mit „Aufrappeln“ einen Trennungsroman geschrieben, der trotzdem herzerwärmend ist. Foto: Scarlett Werth

Judith Poznan: Der Ex ist nur einen Klick entfernt!

tipBerlin Ein Roman über die eigene Trennung – ist das wie: Sich noch mal trennen?

Judith Poznan Nicht ganz. Aber vor allem beim Schreiben ist es so: Man kann ja nicht alles erzählen, aber man weiß, das Nichtgeschriebene ist ja auch präsent – die ganze Zeit. Das ist schon schmerzhaft.

tipBerlin Dein Ex heißt hier „Bruno“. Wer das wirklich ist, das kann ja jeder selbst auf deinem Instagram-Account nachgucken.

Judith Poznan Er ist nur einen Klick entfernt!

tipBerlin Wieviel Überwindung kostet es, über einen Mann, von dem man verlassen wurde, so liebevoll zu schreiben, wie du es tust?

Judith Poznan Wenig, er ist ein guter Mann. Es hilft beim Schreiben, beide Perspektiven einzunehmen. Er wusste immer, dass das keine Abrechnung mit ihm ist. Dass es um mich geht. Wir sind gute Freunde geworden. Ich finde den trotzdem auch mal doof. Und er mich.

Judith Poznan: Mit 31 Mutter – und dauerhaft im Dispo

tipBerlin Als du Mutter wurdest, war das in jeder Hinsicht ungeplant. „31 Jahre alt, dauerhaft im Dispo und gestern noch mit Cornflakes zum Abendessen“, hast du mal in einem Artikel geschrieben.

Judith Poznan Das finde ich rückblickend noch verrückter, als es war, als ich das erlebt habe. Aber wenn ich in einen Krisenmodus reingeworfen werde, kann ich da erst mal ganz gut funktionieren.

tipBerlin Auf einer Beschissenheits-Skala von eins bis zehn, wo standen dann diese Wochen zwischen seinem Trennungsentschluss und deinem Auszug aus seiner Wohnung?

Judith Poznan Anfangs: elf! Weil wir beide nicht wussten, wie wir miteinander umgehen sollten. Erstmal ist man in Ohnmacht, steht in diesem Sturm, weiß nicht, woran man sich festhalten soll. Dann fand ich einen Weg raus.

tipBerlin Auf Instagram hast du darüber sehr offen gepostet, kurz vor deiner ersten Roman-Veröffentlichung, „Prima Aussicht“ über eine Kleinfamilie (du, Bruno, Sohn) auf einem märkischen Campingplatz.

Judith Poznan Sechs Jahre lang wollte ich diesen verdammten Buchvertrag kriegen. Und endlich sieht es so aus, als klappe das, als würde ich mein Leben in den Griff bekommen. Und dann trennt der sich! Ich hätte das einfach nicht gekonnt, dann so zu tun, als wäre privat jetzt alles super, wo dieses Buch rauskommt, das ja wirklich ein Familienthema ist.

Ostkind Judith Poznan und der Mauerfall: „Mein Vater war fuchsteufelswild“

tipBerlin Du bist 1986 in Ost-Berlin, in Lichtenberg geboren worden. Dein Vater war Hausmeister, deine Mutter Krankenschwester.

Judith Poznan Und in Wismar wurde ich gezeugt! Eigenartige Dinge, die ich über meine Eltern weiß.

tipBerlin Deine Eltern gingen mit dir direkt nach dem Mauerfall nach West-Berlin. Sie hatten aber längst einen Ausreiseantrag gestellt.

Judith Poznan Mein Vater war fuchsteufelswild! Er hatte so lange um diesen Ausreiseantrag gekämpft, und jetzt waren die alle schon vor ihm drüben. Darüber kann er sich heute noch in Rage reden, auf eine ironische Art, die mich zum Lachen bringt.

„Aufrappeln“ von Judith Poznan: Viele kleine, tolle Momente

tipBerlin Deine Bücher haben keinen großen Spannungsbogen, aber viele kleine, tolle Momente. Lustige, traurige, seltsame, schöne. Du erfindest nur wenig dabei.

Judith Poznan Ich kann gar nichts anderes. Mir passiert etwas, und ich habe den Impuls, nach Hause zu rennen und es aufzuschreiben. Natürlich ist da viel verdichtet, über- oder untertrieben, es ist am Ende des Tages Literatur.

tipBerlin Wie wurden daraus dann Romane?

Judith Poznan Ich bin gelernte Buchhändlerin. Irgendwann habe ich eine Krise mit Romanen bekommen und begonnen, mich für Tagebücher zu interessieren. Es hat mich auch sicherer gemacht: Das ist der Stil, den ich beherrsche.

Wann beginnt es bloß, dieses Schriftsteller-Gefühl?

tipBerlin Wann beginnt man dann, sich tatsächlich als Schriftstellerin zu fühlen?

Judith Poznan Bei mir, als mir jemand angefangen hat, Geld dafür zu geben. Ich habe ja lange gedacht, ich kann mich erst Schriftstellerin nennen, wenn ich einen Buchvertrag bekomme. Und eine ganze Menge Leute haben gesagt: Nein, du wirst keine Schriftstellerin! Sich da aufzurappeln, das hat mich viel gekostet. Da ist dieses Wort schon wieder. Aufrappeln.

tipBerlin Dabei droht das Imposter-Syndrom, oder?

Judith Poznan Darunter leide ich, ja. Gerade auch, weil ich eine Lese-Rechtschreib-Schwäche habe. Ich habe jahrelang, bevor ich Texte an Redaktionen geschickt habe, die einer Lehrerin gegeben, die in Pension war. Zwei Euro pro Seite! Damit ich nicht aufliege. Ich beschäftige mich auch viel damit, dieses Arbeiterkind zu sein, das es nicht schafft, so richtig im Erfolg zu baden. Als mein erstes Buch rauskam, sagte mein Vater: Dass du es überhaupt geschafft hast! Das war immer die Messlatte in meinem Leben: Hauptsache, ich schaffe es erst mal. Und nicht, ob ich damit auch erfolgreich bin.

tipBerlin Mit dem zweiten Buch wird’s nicht besser?

Judith Poznan Ich weiß nicht, wie viele Bücher es dafür braucht. Selbst bei meinen eigenen Lesungen habe ich das Gefühl, ich muss mich kurz fassen, weil das nicht so interessant ist, was ich da erzähle. Dann rede ich schnell, lese ich schnell. Damit die Leute sich endlich erlöst fühlen und gehen können. Dabei sind die doch wegen mir gekommen. Es ist verrückt.

Judith Poznan: Wenn ich Scham, Schuld auf Instagram teile, fühlt es sich weniger schlimm an

tipBerlin Du hast doch mittlerweile eine Bubble von mehr als 16.000 Follower:innen auf Instagram!

Judith Poznan Die ich mir geschaffen habe, auch! Ich glaube, der erste Befreiungsschlag bei meiner Mutterschaft war, als mir mein Baby im Schlaf aus dem Bett gefallen ist. Ich hatte nach dem Stillen vergessen, das Beistellbett wieder ranzuschieben. Dann kullerte der auf den Boden. Da war er sechs Monate alt.

tipBerlin Diese Angst kennen wir Eltern doch alle.

Judith Poznan Das ist immer noch so furchtbar! Aber das jetzt zuzugeben, aber eben auch von allen deren Fälle geschildert zu kriegen, denen das auch schon passiert ist – das hat mir sehr geholfen. Was auch immer ich an schlimmen Gefühlen habe, Scham, Schuld – wenn ich die auf Instagram teile, fühlt sich das weniger schlimm an.

tipBerlin Hast du eigentlich Instagram-Regeln? „Don’t drink and post“ vielleicht?

Judith Poznan Nee, betrunken zu posten mag ich sehr gern! Dann wird’s immer sehr rührselig. Ich achte aber besonders auf die Weise, was und wie ich über das Kind poste. Mein Exfreund ist, wie gesagt, nur einen Klick entfernt. Wir sprechen uns ab, dass nicht an einem Tag auf beiden Kanäle Ausschnitte von unserem Sohn zu sehen sind, wenn wir mal welche zeigen.

Autorin Judith Poznan: Müssen Dates unterschreiben, dass sie im Buch auftuchen können?

tipBerlin Wie groß ist die Gefahr, dass euer Kind euch trotzdem in 20 Jahren verklagt?

Judith Poznan Dass er generell wegen seiner irren Eltern irgendwann einen Podcast anfängt und über uns redet, damit rechne ich fest.

tipBerlin Müssen Dates unterschreiben, dass sie in deinem nächsten Buch auftauchen können?

Judith Poznan „Ostdeutsche Taylor Swift“ nenne ich mich manchmal (lacht). Ich war aber nie viel in diesem Dating drin in meinem Trennungsjahr. Aber es ist immer gefährlich, mit einer Schriftstellerin bekannt zu sein!

tipBerlin Mit gerade mal 29 Jahren hast du eine Anleitung für deine eigene Beerdigung veröffentlicht. Auf deinem Grabstein soll danach stehen: „Bücher waren ihre Mission“.

Judith Poznan Ich war auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, sah mir die Gräber der großen Schriftstellerinnen und Schriftsteller an. Da war ein Pärchengrabstein, ich weiß nicht mehr von wem, darauf stand: „Wir haben einander gut getan”. Das hat mich sehr berührt. Vielleicht bekomme ich ja mal so einen.

tipBerlin Unser Gespräch begann mit deiner Trennung. Jetzt sind wir beim Pärchengrabstein. Besser kann es ja wohl nicht enden.

Judith Poznan Ja. Schön eigentlich!

  • Aufrappeln   von Judith Poznan, Dumont, 208 S., 22 € (ab 17.5.)  33335
  • Buchpremiere   Pfefferberg Theater, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg, Mi 31.5., 20 Uhr, 11 € plus VVK

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