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Filmkritik

„Kajillionaire“ von Miranda July: Die seltsamste Familie der Welt

Tragikomödie Die Familie Dyne (Vater Robert, Mutter Theresa und eine Tochter mit dem eigenwilligen Namen Old Dolio) lebt am Rande der Gesellschaft von kleinen Geschäften, die nicht immer legal sind. Zum Beispiel stiehlt Old Dolio ab und zu die Post anderer, und stellt sie selbst zu, in der Hoffnung auf Finderlohn. Dass sie dann statt Bargeld einen Massagegutschein bekommt, ist eine erste Pointe in „Kajillionaire“ von Miranda July.

"Kajillionaire" von Miranda July
„Kajillionaire“ von Miranda July. Foto: Universal

Die Begegnung mit der Masseurin hat etwas von einer surrealen Komödie, und so geht es im wesentlichen weiter. Los Angeles zeigt sich hier von einer unwirklichen Rückseite, mit einer Schaumfabrik, von der rosarote Blasen täglich mehrfach in die Wohnung der Dynes überlaufen. Die müssen das klebrige Zeug hektisch aufwischen. Die Miete sind sie auch schuldig, dafür haben sie allerdings schon eine Lösung: Sie haben einen Gutschein für einen Flug nach New York bekommen, und fliegen nur deswegen, weil sie auf dem Rückweg einen (natürlich) leeren Koffer bei der Gepäckausgabe „verlieren“ können, für den es Entschädigung gibt.

Armut als System: „Kajillionaire“ von Miranda July

Miranda July hat in ihrem Leben schon viele verschiedene Dinge gemacht, sie wurde als Künstlerin bekannt, hat Bücher geschrieben, und 2005 dann auch ihren ersten Film veröffentlicht: „Ich und Du und alle, die wir kennen“. In „Kajilllionaire“ (das Wort meint eine fantastische Steigerungsstufe von Millionär) erzählt sie von einer schrecklichen Familie, schrecklich vor allem für Old Dolio (Evan Rachel Wood, bekannt zuletzt aus der Serie „Westworld“).

Die Tochter ist vollkommen der Schicksalsgemeinschaft mit ihren beiden de facto halb obdachlosen Eltern ausgeliefert – deutlich will July hier darauf heraus, dass Armut ein System ist, das sich selbst reproduziert. Von der fröhlichen Gauner-Notgemeinschaft eines Vorbildfilms wie „Paper Moon“ sind die Dynes weit entfernt.

Erst als die dynamische Melanie (Gina Rodriguez) die Konstellation verändert, eröffnet sich für Old Dolio eine Perspektive über die eingespielten Mechanismen mit ihren Eltern hinaus. Im Kern ist „Kajillionaire“ also eine Emanzipationsgeschichte, eine Menschwerdung einer jungen Frau, die davor vor allem funktioniert hat, und die auch durch das Spiel von Evan Rachel Wood manchmal fast wie ein Automat wirkt. Man sieht deutlich, dass Miranda July den Film stark von ihren Ideen (und erst in zweiter Linie von den Figuren) her dachte. Das Ergebnis ist trotzdem originell, latent unheimlich und sozial relevant.

USA 2020; 106 Min.; R: Miranda July; D: Evan Rachel Wood, Gina Rodriguez, Richard Jenkins, Debra Winger; Kinostart: 22. 10. 2020

Außerdem diese Woche neu im Kino: die Filmstarts vom 22. Oktober; weiterhin im Kino: die Filmstarts vom 15. Oktober und die Filmstarts vom 8. Oktober

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