Es ist ein Traum jedes IndieMusikfans: Morgens in einem Sommerhäuschen aufwachen, mit Kaffeebecher aus dem Fenster schauen, und draußen sitzt Daniel Johnston unterm Apfelbaum und schrappelt ein paar seiner schrägen Melodien. Oder Warren Ellis über den Weg laufen, dem Teufelsgeiger der Bad Seeds, wie der mit Digicam bewaffnet im Festivaldorf unterwegs ist und bedröhnte Kollegen interviewt.
Das britische Festival All Tomorrow’s Parties gilt als Utopia der Indie-Musikwelt: initiiert von Liebhabern, kuratiert von Musikern, durchgeführt in einem skurrilen, lauschigen Feriendorf an der englischen Küste, frei von den Zwängen von Veranstaltern oder Biersponsoren. Die ATP-Macher gönnen sich nach zehn Jahren Festivalkult eine Hommage in eigener Sache. Dafür versammelt der Experimentalfilmer Jonathan Caouette („Tarnation“) im Cut-and-Paste-Stil zumeist vorgefundenes Material: Filmchen aus den Handys und Digicams der Festivalbesucher und Musiker, ergänzt um drollige Zeitdokumente, etwa flimmernde Werbeclips für einen Urlaub im Pontins Holiday Camp, alte Interviews mit Patti Smith oder einem jugendlich wirkenden Iggy Pop, der mit bohrendem Blick den Begriff Punkrock erklärt.
Wenn Caouette im nächsten Atemzug die Elektro-Noise-Exzesse der japanischen Band The Boredoms dagegenschneidet oder einen Vorgarten-Gig in Strumpfhosenmasken von Lightning Bolt, veranschaulicht das auch, auf welche Weise sich Underground-Kultur gewandelt hat: weg von der Musiker-Persona hin zum Happening. Nun haben sich seit der ersten, von Belle & Sebastian ausgeheckten Festival-Ausgabe ’99 die Zeiten verändert. Längst hat auch das ATP am sogenannten Mainstream angedockt, lässt sich bei Namen wie Animal Collective, Two Gallants, Gossip oder Battles nicht wirklich von ATP-Bands sprechen, auch wenn sich das die Macher wünschen würden und Jonathan Caouette mit seiner Collage den freien Geist des Anfangs noch einmal so richtig hochleben lässt.
Text: Ulrike Rechel
tip-Bewertung: Annehmbar
Termine: All Tomorrow’s Parties im Kino in Berlin
All Tomorrow’s Parties, Großbritannien 2009; Regie: All Tomorrow’s People, Jonathan Caouette; mit Belle & Sebastian, Sonic Youth, Mogwai u.v.a.; Farbe, 82 Minuten;
Kinostart: 18. Februar