Familiendrama 

Angela Schanelecs „Ich war zuhause, aber … „

Streifzug durch ein fremdes Fotoalbum: Ein verletzliches, sich preisgebendes Drama von Angela Schanelec

Nachmittagfilm

Es gibt Szenen in Angela Schanelecs „Ich war zuhause, aber…“, die wirken wie aus einem großen, traurigen Kinderbuch. Etwa die in der Schwimmhalle. Aus der Distanz ist Mutter Astrid (Maren Eggert) zu sehen, wie sie aus dem Becken kommt und sich auf eine Bank fallen lässt. Daneben die kleine Tochter Flo (Clara Moeller), die zu ihr geht. Und dann, wenn man genau hinschaut, ist hinter der Glasfassade auch noch der Fami­lienhund zu erkennen, wartend, bewachend. Ein Alltagsmoment, bleischwer. Andere Situationen jedoch, von besonderer Schwärze, werden durch liebliche Begegnungen etwas leichter. Etwa wenn Astrid des Nachts vor dem Grab ihres toten Mannes niederfällt und man zunächst meint, als würden herangewehte Herbstblätter ihren liegenden Körper begrüßen, aber dann begreift, dass es ein Vogel ist, der sich an die Trauernde herangewagt hat.

„Weil es zwischen denen, die sich begegnen, eben keine gemeinsame Wahrheit gibt“, sagt Astrid einmal während eines Gesprächs, das eigentlich kein Gespräch ist, sondern ein Monolog. Monologe sind manchmal wichtig, als Akt des lauten Denkens, weil es dann zu Erkenntnissen kommen kann, die man sonst nicht zu fassen kriegt. Jenen Monolog anhören muss sich ein Regisseur, dessen Film Astrid gesehen und der sie offenbar zornig zurückgelassen hat. In ihm treffen Menschen mit echten Leiden auf solche, die es nur spielen. Für Astrid eine Verhöhnung der Kranken.


Hier und doch woanders


„Ich war zuhause, aber …“ ist ein verletzliches, sich preisgebendes Werk. Es ist wie dieser schockartige, traumwandlerische Zustand, nachdem einem etwas Schlimmes widerfahren ist und man einerseits im Hier und Jetzt agieren muss, aber gleichzeitig auch woanders ist, so, als hätte jemand einem die eine ­Hälfte des Körpers abgeschlagen. Dass sich hier eine ganze Familie so bewegt, macht alles ­empfindlich und unberechenbar. Astrid ­bemüht sich, die Fassung zu bewahren, aber allzu oft gelingt es ihr nicht. Die Kinder versuchen zu trösten. Oder sie fliehen, wie das ältere von ihnen, Phillip (Jakob Lassalle), der gerade für eine Woche verschwunden gewesen ist, vielleicht, um im Wald zu hausen. Astrid reagiert mit Überforderung.

Im Monolog wird ihr bewusst, warum es den 13-Jährigen auf den Waldboden (eine verschmutzte Jacke kündet davon) gezogen haben könnte: Wenn es mit dem Tod alle ­irgendwann trifft, warum dann noch in weichen Betten schlafen? Gleichzeitig probt Phillips Klasse gerade Shakespeares „Hamlet“. Im Abspann ist zu lesen, dass es nach der Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch passiert, jenem wichtigen Theater­regisseur, der 2009 starb und mit dem Schanelec zusammenlebte und auch zwei Kinder hat.

In Gesprächen weigert sich die Regisseu­rin zumeist, Interpretationen über ihre ­Arbeit abzugeben. Das verärgert manche. Dabei handelt es sich bei einem Film wie diesem längst um ein intimes Offert. Es ist, als würde man durch ein fremdes Fotoalbum blättern und hätte niemanden, der einem die einzelnen ­Bilder und Zusammenhänge vermittelt. ­Irgendwie versteht man aber trotzdem. Auch wenn das, was man versteht, eigentlich mehr mit einem selbst zu tun hat. Angela Schanelecs Filme sind Angebote für derlei Begegnungen. Möglicherweise gibt es da einfach nichts zu erklären.

Ich war zuhause, aber … D/SER 2019, 105 Min., R: Angela Schanelec, D: Maren Eggert, Clara Moeller, Jakob Lassalle, Start: 15.8.

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