Wie das Beispiel von Nationaltorhüter Robert Enke zeigt, sind Depressionen eine epidemisch um sich greifende Volkskrankheit, die nicht nur bei Frauen oft im Selbstmord endet. Die Elektroschocktherapie, einst auch durch den Film „Einer flog übers Kuckucksnest“ als skandalöse Zwangsbehandlung gebrandmarkt, ist als eine mögliche Heilmethode gegen Depressionen inzwischen längst rehabilitiert. In ihrer ersten englischsprachigen Produktion „Helen“ bezieht sich die Regisseurin und Autorin Sandra Nettelbeck explizit auf dieses Faktum, doch ihr Spielfilm über eine depressive Frau gerät zum tränenseligen Psychodrama, zur sentimentalen familiären Liebes- und Erlösungsgeschichte.
Ashley Judd spielt eine zerbrechliche Musikprofessorin, Goran Visnjic ihren schönen, verständnisvollen Mann, Alexia Fast das mitleidende Teenager-Töchterchen. Ihr Haus im kanadischen Vancouver wirkt wie ein Bausatz für perfektes Wohnen, die Freunde entsprechen dem adretten Personal eines gehobenen Problemfilms. Dicht an der Hauptfigur folgt der Film der Abwärtsspirale von Helens Krankheit, ihrem raschen Ich-Zerfall, dem Verlust der Musik und der Arbeitskraft, der Liebesfähigkeit und Lebensenergie. Beständig schwören alle einander unter Tränen tiefe Zuneigung, was dem Schmerz eine fade Süße verleiht.
Es geht um die Zerstörungskraft, die die Depression eines geliebten Menschen in seinem Umkreis anrichtet, und darum, wie die Kranken selbst um ihren Weg aus der Krise kämpfen, etwa durch die Überwindung der Angst vor dem Elektroschock. Helen driftet ins geschlossene Universum der psychisch Kranken, indem sie Komplizin einer ebenfalls todtraurig autoaggressiven Exstudentin (Lauren Lee Smith) wird und zeitweilig mit ihr in einem verkommenen Loft zusammenlebt. Welthaltige Probleme wie ein allmähliches Versiegen der Kreditkarte oder Zusammenstöße mit einem schwächelnden Gesundheitssystem kommen in dieser pittoresken Außenseiterwelt nicht vor. Am Ende hat die Liebe gesiegt.
Text: Claudia Lenssen
tip-Bewertung: Zwiespältig
Orte und Zeiten: „Helen“ im Kino in Berlin
Helen, Deutschland/USA 2009; Regie: Sandra Nettelbeck; Darsteller: Ashley Judd (Helen), Goran Visnjic (David), Lauren Lee Smith (Mathilda); Farbe, 119 Minuten
Kinostart: 26. November